Aktuelles Urteil: € 3.000,00 € anstatt € 50.000 Streitwert für das Filesharing eines ganzen Musikalbums

11.11.2010, Autor: Herr Lars Jaeschke / Lesedauer ca. 3 Min. (4368 mal gelesen)
Kürzlich hat das Amtsgericht Aachen (AG Aachen, Urteil vom 16.07.2010, Az.: 115 C 77/10, BeckRS 2010, 20709) entschieden, dass der Gegenstandswert für eine Filesharing-Abmahnung eines ganzen Musikalbums (12 Liedern) nur € 3.000,00 betrage – die Kläger hatten € 50.000,00 angesetzt.

I. Hoffnung für Abmahnopfer

Die Argumentation des AG Aachen lässt sich auf viele Fälle übertragen, bei denen abmahnende Kanzleien überzogene Gebühren verlangen:

„Die Rechtsanwaltsgebühren sind nach den Bestimmungen des RVG nach einem Streitwert von 3.000 € abzurechnen. Der von der Klägerin angenommene Streitwert von 50.000 € ist nicht zugrunde zu legen. Denn auch wenn dieser sich aus dem Angaben in der Abmahnung vom 27.10.2009 errechnen ließe, so ist nicht dieser dort angegebene Wert, sondern der tatsächliche Wert des rechtlich verfolgten Interesses maßgeblich. (…) Dabei ist in nichtvermögensrechtlichen Streitigkeiten der Streitwert unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls nach billigem Ermessen zu bestimmen. Die Abmahnung vom 27.10.2009 diente dem Ziel, ein weiteres Anbieten von zugunsten der Firma V geschützten Musiktiteln im Internet zum Download zu verhindern. Das Interesse des Beklagten ging dahin, diesen Anspruch der Beklagten abzuwehren. Dieses Interesse ist nicht in mathematischer Abhängigkeit von der Anzahl der in das Netz gestellten Titel zu bemessen, vielmehr sind die Gesamtumstände des Einzelfalles zu berücksichtigen (vgl. OLG Köln, Urteil vom 23.12.2009, Aktenzeichen: 6 U 101/09, I-6 U 101/09 - zitiert nach juris). Gleichwohl ist der Umfang und das Ausmaß der streitigen Rechtsverletzung sowie der mögliche Schaden, der bei einer Fortsetzung der Teilnahme an der Tauschbörse durch erneutes Einstellen von Titeln in nicht vorherzusehender Anzahl droht, zu berücksichtigen. In Anbetracht der Tatsache, dass die Anzahl der online gestellten Titel vorliegend bei einem Album mit 12 Titeln lag, welches recht aktuell und damit die Gefahr höherer Downloadzahlen beinhaltete, schätzt das Gericht den Streitwert auch unter Berücksichtigung der weiteren durch das Oberlandesgericht Köln dargestellten Kriterien auf 3.000 €. Dabei hat das Gericht auch berücksichtigt, dass die Zahl der öffentlich zugänglich gemachten Titel deutlich unterhalb der durch das Oberlandesgericht Köln (OLG Köln, a. a. O.) und das Landgericht Köln (LG Köln, Urteil vom 27.01.2010, Aktenzeichen: 28 O 241/09 - zitiert nach Juris) zu beurteilenden Mengen lag. Das Oberlandesgericht Köln setzte für die Onlinestellung von 964 Musikdateien im Einzelfall einen Streitwert von 200.000 € an. Das Landgericht Köln setzte für 543 Titel einen Streitwert in Höhe von 160.000 € an. Insgesamt ist daher vorliegend von einem Streitwert in Höhe von 3.000 € auszugehen.“
Die Filesharing-Abmahner können so mit Ihren eignen Waffen geschlagen werden, denn die Urteile, die das AG Aachen anführt, zitieren auch die Abmahnkanzleien gern – nur mit anderer Wertung.

II. Vorgehen nach Erhalt einer Abmahnung

Die von der Gegenseite vorgelegte und meistens viel zu weite Unterlassungseklärung sollte nicht unterschrieben werden, sondern Rat bei einem spezialisierten Fachanwalt eingeholt werden.
Abmahnende Kanzleien versenden oft mehrere hundert Abmahnschreiben pro Woche. Oft sind diese Standardschreiben in vielerlei Hinsicht unsubstantiiert und daher so gut wie immer vorbehaltlich einer oft anzuratenden vergleichsweisen Einigung zunächst zurückzuweisen. Meist wird weder wird eine Originalvollmacht vorgelegt (Erfordernis umstritten), noch ein Nachweis für die behauptete Inhaberschaft der ausschliesslichen Nutzungs- und Verwertungsrechte an den streitgegenständlichen Werken erbracht. Abgemahnte haben zudem nicht selten den behaupteten Urheberrechtsverstoss nicht begangen. Ob und in welchem Umfang tatsächlich Daten geflossen sind, kann der behauptete „Tatnachweis“ in vielen Fällen nicht vermitteln. Ein konkreter Schaden wird fast nie dargelegt. Ein zu ersetzender Schaden für die Kosten der Inanspruchnahme der abmahnenden Anwälte wäre zudem allein aus der zwischen diesen und ihren Mandanten mutmaßlich geschlossenen Honorarvereinbarung zu berechnen, vgl. Urteil des AG Frankfurt a.M., Urteil vom 29.01.2010 - 13 C 1078/09 – Kostenerstattung bei Filesharing-Abmahnung. Ob der Abgemahnte in der jeweils konkreten Konstellation als Störer zu haften hätte, ist zudem oft sehr fraglich. Ergänzend sei darauf hingewiesen, dass bei Abmahnungen wegen Urheberrechtsverletzungen durch Filesharing sehr wohl § 97a UrhG Anwendung finden kann, auch wenn die Rechteinhaber dies bestreiten. Diesbezüglich ist nicht nur auf die aktuelle BGH-Entscheidung hinzuweisen, auch die Instanzgerichte urteilen zunehmend in diese Richtung. Hier ist etwa auf die Entscheidung des AG Frankfurt vom 01.02.2010 hinzuweisen, in welcher nun auch das AG Frankfurt am Main in Filesharing-Fällen – in denen ein haftungsbegründendes Verhalten des Beklagten nachgewiesen werden kann, was oft schon zweifelhaft ist – § 97a Abs. 2 UrhG für einschlägig hält, wonach die Höhe der Abmahnkosten auf € 100,00 begrenzt sind, sondern auch etwa auf die Entscheidung des Amtsgerichts Halle/Saale, Urteil vom 24.11.2009, Az. 59 C 3258/09 und andere Urteile.

Bei qualifizierter anwaltlicher Beratung kann durch die Abgabe einer aus Sicht des Abgemahnten „entschärften“, aber dennoch rechtssicheren, modizifizierten Unterlassungserklärung den abmahnenden Kanzleien schon „viel Wind aus den Segeln“ genommen werden. Wenn eine Rechtsverletzung nachgewiesen werden kann ist dann dennoch so gut wie immer ein für den Abgemahnten wirtschaftlich sinnvoller Vergleich möglich.


Autor dieses Rechtstipps

Rechtsanwalt
Dr. Lars Jaeschke

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