Altersgruppe "Ü-40" in Sozialplänen

04.10.2011, Autor: Herr Marcus Schneider-Bodien / Lesedauer ca. 4 Min. (2950 mal gelesen)
Der 1. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat mit einem Urteil vom 12.4.2011 eine vereinfachte Altersgruppenbildung mit 3 Gruppen (unter 30, von 30 bis 39 und über 40) in einem Sozialplan als gerechtfertigt angesehen. Eine Altersgruppe Ü-40 ist danach möglich ohne dass hier weitere Differenzierungen notwendig sind.

Der 1. Senat des Bundearbeitsgerichts hat mit Urteil vom 12.04.2011 (1 AZR 764/09) die Gelegenheit wahrgenommen, eine neue Altersgruppenbildung in Sozialplänen für rechtmäßig zu erklären.

Im zugrundeliegenden Sozialplan hatten die Betriebsparteien bezüglich des Faktors zur Abfindungshöhe nur 3 Altersgruppen gebildet.
Danach betrug der Faktor:
bis zum 29. Lebensjahr des Mitarbeiters 80 %,
ab dem 30. bis zum 39. Lebensjahr des Mitarbeiters 90 % und
ab dem 40. Lebensjahr des Mitarbeiters 100 %.
Die 39-jährige Klägerin fühlte sich wegen ihres „jugendlichen Alters“ diskriminiert und machte die verbleibende Differenz zur 100 %-igen Sozialplanabfindung für Mitarbeiter ab dem 40. Lebensjahr geltend.

Sowohl das Arbeitsgericht Leipzig, das sächsische Landesarbeitsgericht als auch nunmehr der 1. Senat des Bundesarbeitsgerichts unter Ihrer Präsidentin Frau Schmidt haben die entsprechende Klage abgewiesen.

Der 1. Senat führt in den Entscheidungsgründen aus, es läge zwar eine Diskriminierung der Klägerin wegen ihres „jugendlichen Alters“ vor, diese Ungleichbehandlung stehe jedoch im Einklang mit § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG und sei in ihrer konkreten Ausgestaltung nicht unverhältnismäßig.

Es wurde bestätigt, dass § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG durch ein im Allgemeininteresse liegendes sozialpolitisches Ziel des deutschen Gesetzgebers im Sinne des Artikels 6 Abs. 1 Satz 1 der Richtlinie 2000/78/EG gerechtfertigt sei. Die einem Arbeitnehmer durch den Arbeitsplatzverlust drohenden Nachteile werden nach Auffassung des 1. Senats maßgeblich durch die Aussichten, alsbald einen neuen Arbeitsplatz zu finden, bestimmt.

Deshalb habe der Gesetzgeber in § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG diesem Umstand Rechnung getragen, dass ältere Arbeitnehmer auf dem Arbeitsmarkt typischerweise größere Schwierigkeiten haben als jüngere Arbeitnehmer. Die Bevorzugung älterer Arbeitnehmer sei ein gerechtfertigtes, allgemeines sozialpolitisches Interesse. Deshalb sah sich der Senat auch nicht veranlasst, das Verfahren dem europäischen Gerichtshof vorzulegen, zur Feststellung der Rechtmäßigkeit des § 10 Satz 3 Nr. 6 AGG.
Die tatbestandsmäßig festzustellende Diskriminierung der Klägerin im Sinne des § 10 Abs. 3 Satz 1 AGG sei gerechtfertigt und in ihrer konkreten Ausgestaltung auch nicht unverhältnismäßig.
Ausdrücklich bezog sich der 1. Senat auf die Informationen der Bundesagentur für Arbeit. Danach betrug im Jahre 2007 der Arbeitslosenbestand in den Altersgruppen 25 bis unter 30 Jahre 11,4 %, 30 bis unter 35 Jahre 10,7 %, 35 bis unter 40 Jahre 12,7 %, 40 bis unter 45 Jahre 14,2 %, 45 bis unter 50 Jahre 13,9 % und 50 bis unter 55 Jahre 13,6 % (amtliche Nachrichten der Bundesagentur für Arbeit, Arbeitsmarkt 2007, Seite 194).
Darin zeigt sich nach Auffassung des Senats - abgesehen von einem geringfügigen Rückgang in der Gruppe 30 bis unter 35 Jahre - mit zunehmendem Alter ein stetiger Anstieg am Anteil des Arbeitslosenbestandes. Dieses Ergebnis werde auch durch die veröffentlichten Statistiken zur durchschnittlichen Dauer der Arbeitslosigkeit nach Altersgruppen untermauert.
Im Jahre 2007 belief sich die Durchschnittsdauer der Arbeitslosigkeit in der Gruppe der 25 bis 29-jährigen auf 200 Tage, in der Gruppe der 30 bis 34-jährigen auf 267 Tage, in der Gruppe der 35 bis 39-jährigen auf 303 Tage, in der Gruppe der 40 bis 44-jährigen auf 330 Tage, in der Gruppe der 45 bis 49-jährigen auf 362 Tage und in der Gruppe der 50 bis 54-jährigen auf 415 Tage (Statistik der Bundesagentur für Arbeit - durchschnittliche Dauer der Arbeitslosigkeit nach Altersgruppen 2007).
Wenn man hier nach der Vollendung des 25. Lebensjahres 5 Jahresgruppen berücksichtigt, ergibt sich ein stetiger Anstieg.
Die pauschale Absicht der Betriebsparteien, im zu überprüfenden Sozialplan über 40-jährige bei der Höhe der Abfindung gegenüber den 30 bis 39-jährigen um 10 % zu bevorzugen, sei daher gerechtfertigt und auch verhältnismäßig. Es bleibt den Betriebsparteien daher nach dieser Entscheidung unbenommen, nicht wie bisher 5- bzw. 10-Jahresgruppen in Sozialplänen festzulegen, sondern es besteht auch die Möglichkeit, - wie hier - nur 3 Altersgruppen zu bilden.

Für die Beratung stellt sich die Frage, ob zur Vermeidung der Diskriminierungsproblematik nicht besser gänzlich auf den Faktor „Alter“ verzichtet werden soll und dieser lediglich mittelbar durch Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit in die Sozialpläne einfließen soll (so z.B. ausdrücklich Dr. Andrea Bonanni in Arbeitsrechtsberater 2011, 218 ff. - Altersdifferenzierung bei Sozialplanabfindungen).

Einen derartigen Verzicht legt die besprochene Entscheidung des BAG vom 12.04.2011 aber gerade nicht nahe, sondern sie sanktioniert die dort vorgenommene Altersgruppenbildung in dem vom Unterzeichner verhandelten Sozialplan.

Weiterhin ist Frau Dr. Bonanni der Auffassung, dass nach der vorliegenden Entscheidung des BAG auf eine Differenzierung der Altersgruppenbildung ab dem Alter 40 generell verzichtet werden muss. Dies hat das Bundesarbeitsgericht in dem Urteil vom 12.04.2011 ebenfalls nicht entschieden. Weitere Differenzierungen dürften nach wie vor möglich sein.

Nach Auffassung des Unterzeichners erweitert die Entscheidung des 1. Senats lediglich die Möglichkeiten der Betriebsparteien bei der Verhandlung und Festlegung von Altersgruppen in Sozialplänen. Eine Altersgruppe „Ü-40“ in der konkreten Ausgestaltung hielt der 1. Senat des BAG ausdrücklich für zulässig.


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