Kündigung wegen Krankheit: Was müssen Arbeitgeber und Arbeitnehmer wissen?

23.10.2020, Redaktion Anwalt-Suchservice / Lesedauer ca. 7 Min. (450 mal gelesen)
Krankenhaus,Betten Wann müssen erkrankte Arbeitnehmer mit einer Kündigung rechnen? © Rh - Anwalt-Suchservice

Um Arbeitnehmern zu kündigen, brauchen Arbeitgeber gute Gründe. Eine Erkrankung kann ein solcher Grund sein. Eine krankheitsbedingte Kündigung ist an besondere Voraussetzungen gebunden.

Auf Betriebe mit mehr als zehn Mitarbeitern ist das Kündigungsschutzgesetz anwendbar. Dieses schreibt vor, dass Arbeitgeber nur mit einem gesetzlich zulässigen Grund kündigen dürfen. Von einer krankheitsbedingten Kündigung wird im Gesetz nicht gesprochen. Bei den Arbeitsgerichten ist jedoch anerkannt, dass eine Erkrankung auch zu den ”in der Person des Arbeitnehmers” liegenden Gründen zählen kann, die eine Kündigung ermöglichen.
Dies kann zum Beispiel der Fall sein, wenn der oder die Beschäftigte die vereinbarte Tätigkeit dauerhaft nicht mehr ausführen kann und es keine anderweitige Einsatzmöglichkeit im Betrieb für sie oder ihn gibt - etwa auf einem körperlich nicht so anstrengenden Arbeitsplatz.
Kommt das Kündigungsschutzgesetz nicht zur Anwendung, ist der Arbeitgeber in seinen Kündigungsgründen nicht so stark eingeschränkt – die Kündigung darf allerdings trotzdem nicht sittenwidrig oder treuwidrig sein.

Ist Krankheit ein Kündigungsgrund?


Eine Krankheit ist für sich genommen grundsätzlich kein Kündigungsgrund. Allerdings können unter bestimmten Umständen gerade bei längeren oder dauerhaften Erkrankungen die Folgen der Erkrankung – Fehlzeiten und gesetzliche Lohnfortzahlungsansprüche – die Kündigung eines Arbeitsvertrages rechtfertigen. Zwar besteht während einer Erkrankung ein Anspruch auf Lohnfortzahlung. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Arbeitgeber nicht kündigen darf – dies beruht auf der Regelung in § 8 Entgeltfortzahlungsgesetz. Aber: Eine krankheitsbedingte Kündigung ist an mehrere Voraussetzungen gebunden.

Welche verschiedenen Fälle der krankheitsbedingten Kündigung gibt es?


Man unterscheidet vier Gruppen von Fällen, in denen die Gerichte eine krankheitsbedingte Kündigung für zulässig halten. Dies sind:

- Arbeitsunfähigkeit auf Dauer,
- lang anhaltende Erkrankung,
- häufig wiederkehrende kurze Erkrankungen,
- durch Krankheit bedingte schlechte Leistungen.

In all dieses Fällen müssen jedoch immer drei Voraussetzungen erfüllt sein:

- Aufgrund der Erkrankung des Arbeitnehmers sind betriebliche Interessen erheblich beeinträchtigt (Beispiele: andere Arbeitnehmer müssen ständig einspringen, Betriebsabläufe werden gestört, es entstehen erhöhte Lohnfortzahlungskosten),
- die medizinische Prognose für die Zukunft ist negativ (es besteht aus ärztlicher Sicht keine Aussicht auf Besserung),
- eine Abwägung der Interessen von Chef und Mitarbeiter fällt zugunsten des Arbeitgebers aus.

Eine krankheitsbedingte Kündigung ist das letzte Mittel. Die erwähnte Interessenabwägung muss daher beispielsweise das Alter des Arbeitnehmers, die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit, die Ursachen der Erkrankung, seinen Familienstand, eine etwaige Schwerbehinderung und mögliche Unterhaltspflichten mit berücksichtigen. Selbst ein fehlendes Wiedereingliederungsmanagement des Arbeitgebers kann eine Kündigung nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts deutlich erschweren (Urteil vom 24.3.2011, Az. 2 AZR 170/10). Zu berücksichtigen ist auch, ob der Arbeitnehmer anderweitig weiter beschäftigt werden kann – auf einem anderen Arbeitsplatz oder nach einer Fortbildung oder Umschulung

Wann bin ich dauerhaft krankheitsbedingt arbeitsunfähig?


Wenn feststeht, dass ein Arbeitnehmer nie wieder arbeiten kann, ist der Fall klar. Ist dies jedoch noch ungewiss, gilt laut Bundesarbeitsgericht die Faustregel: Wenn innerhalb von 24 Monaten nicht mit einer Genesung gerechnet werden kann, gilt der Arbeitnehmer als dauerhaft arbeitsunfähig (Urteil vom 8.11.2007, Az. 2 AZR 425/06).

Trotzdem bleibt betroffenen Arbeitnehmern noch eine Chance: Gibt es die Möglichkeit, ihnen einen anderen Arbeitsplatz zuzuweisen, mit dem sie trotz der Erkrankung zurechtkommen, oder können sie mit einer Umschulung oder Fortbildung für einen solchen Arbeitsplatz fit gemacht werden, darf ihnen nicht gekündigt werden (Bundesarbeitsgericht, Az. 2 AZR 1020/08 und Az. 2 AZR 205/90).

Was versteht man unter einer Langzeiterkrankung?


Man spricht von einer lang andauernden oder Langzeiterkrankung, wenn die Erkrankung über sechs Wochen dauert. Für den Arbeitgeber sind lang andauernde Erkrankungen oft eine geringere Belastung als ständige kurze Erkrankungen – schon aus organisatorischen Gründen. Daher sind Langzeiterkrankungen weniger häufig Grund für eine Kündigung. Trotzdem ist eine Kündigung möglich, wenn die oben aufgezählten drei Voraussetzungen vorliegen. Allerdings hat der Arbeitnehmer auch dann eine besondere Chance in Form des betrieblichen Wiedereingliederungsmanagements (siehe unten).

Wann kann bei häufigen Kurzerkrankungen gekündigt werden?


Für den Arbeitgeber sind häufige Kurzerkrankungen besonders lästig, da sie einerseits unvorhersehbare Störungen im Betriebsablauf verursachen und immer wieder eine Vertretung durch andere Mitarbeiter erfordern. Andererseits beginnt die sechs-Wochen-Höchstfrist für die Lohnfortzahlung immer wieder von neuem zu laufen. Folge ist, dass die Lohnfortzahlungen leicht viel höher ausfallen können, als es bei einer normalen, längeren Erkrankung von über sechs Wochen am Stück der Fall wäre. Daher wird wegen häufiger Kurzerkrankungen öfter gekündigt.

Die Gerichte haben bisher keine einheitliche Meinung dazu, ab wie vielen Fehltagen eine Kündigung ausgesprochen werden kann. In der Regel wird die zu erwartende Lohnfortzahlung jedenfalls 30 Tage (also sechs Wochen) überschreiten müssen. Nach einem Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz stellen Fehlzeiten bis zu sechs Wochen pro Jahr noch keinen Kündigungsgrund dar. In diesem Fall konnte der Arbeitgeber auch keine negative gesundheitliche Zukunftsprognose für die Arbeitnehmerin nachweisen (Urteil vom 5.9.2011, Az. 5 Sa 152/11).

Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz hat auch entschieden, dass der Arbeitgeber für eine Kündigung konkret darlegen muss, warum er weitere Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchtet (Urteil vom 12.12.2017, Az. 8 Sa 170/17). Hier dürfen Fehlzeiten, die auf einem einmaligen Ereignis beruhen (Beispiel: Fuß verstaucht) nicht in die Gesamtzahl der Fehltage einfließen und so eine negative Zukunftsprognose untermauern.

Wann liegt eine negative Zukunftsprognose vor?


Wenn der Arbeitnehmer häufig, aber immer nur kurz krank wird, zieht man die Erkrankungszeiten der letzten zwei Jahre als Maßstab für die Zukunftsprognose heran.

Musste der Arbeitgeber innerhalb der vergangenen zwei Jahre jeweils für eine längere Zeit als sechs Wochen im Jahr Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall leisten, wird daraus meist geschlossen, dass dieser Zustand auch in Zukunft so bleiben wird. Damit liegt dann eine schlechte Prognose vor. Allerdings fließen nicht immer alle Fehlzeiten in die Rechnung ein. Oft beruhen die einzelnen Fehlzeiten nämlich auf unterschiedlichen Gründen. Fehlzeiten aufgrund einer Schwangerschaft oder eines Unfalls können nicht einfach mit denen wegen einer anderen Erkrankung zusammenaddiert werden. Und aus einer völlig ausgeheilten und erledigten Erkrankung darf man keine Schlüsse auf die Zukunft ziehen. Hier kann die Vorlage entsprechender Beweise eine Kündigung verhindern.

Was gilt bei schlechten Leistungen durch Krankheit?


Eine Kündigung kann durchaus auch gerechtfertigt sein, wenn ein Arbeitnehmer wegen einer Erkrankung weniger leistet, wenn er also langsamer, uneffektiver oder unkonzentrierter arbeitet. Dazu hat das Bundesarbeitsgericht vor Jahren entschieden, dass mindestens eine Leistungsreduzierung um ein Drittel vorliegen muss, um eine Kündigung zu rechtfertigen (Urteil vom 26.9.1991, Az. 2 AZR 132/91). Trotzdem müssen zusätzlich die drei oben genannten Voraussetzungen erfüllt sein – einschließlich einer Interessenabwägung, bei der berücksichtigt wird, ob der Arbeitnehmer vielleicht irgendwo anders im Betrieb eingesetzt werden kann. Je nach Einzelfall kann es dem Chef sogar zuzumuten sein, dass der Arbeitnehmer künftig nur noch in Teilzeit arbeitet.
Wenn jemand aus Altersgründen nicht mehr so effektiv wie früher arbeitet, ist dies jedoch kein Kündigungsgrund!

Welche Chancen bietet das betriebliche Wiedereingliederungsmanagement?


Wenn ein Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres mindestens sechs Wochen lang krank war – hier werden auch häufige Kurzerkrankungen entsprechend tageweise gezählt – ist der Arbeitgeber gesetzlich dazu verpflichtet, ihm ein sogenanntes betriebliches Wiedereingliederungsmanagement anzubieten. Dies schreibt § 167 Abs. 2 des neunten Sozialgesetzbuches (SGB IX) vor. Im Klartext: Der Chef muss sich mit dem Betriebsrat, ggf. der Schwerbehindertenvertretung des Betriebes, und dem Arbeitnehmer zusammensetzen, um möglichst irgendeine vernünftige Lösung zu finden. Diese soll dazu führen, die Arbeitsunfähigkeit zu überwinden, neuer Arbeitsunfähigkeit vorzubeugen und den Arbeitsplatz zu erhalten. Wenn erforderlich, wird auch der Betriebsarzt hinzugezogen. Welche Schritte im Einzelnen durchzuführen sind, lässt das Gesetz offen. Dies hängt vom jeweiligen Betrieb und Arbeitsplatz ab.

Kündigung wegen Alkoholsucht?


Wer als Berufskraftfahrer unter Alkoholeinfluss unterwegs ist, verletzt seine arbeitsvertraglichen Pflichten erheblich. Dies kann zur Kündigung führen.
Bei einer Alkoholabhängigkeit sieht dies aber anders aus: Diese gilt als Krankheit, und dem Arbeitnehmer ist im Zeitpunkt der Vertragspflichtverletzung kein Schuldvorwurf zu machen. Eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses ist dann nur möglich, wenn anzunehmen ist, dass der Arbeitnehmer aufgrund seiner Alkoholabhängigkeit seinen arbeitsvertraglichen Pflichten dauerhaft nicht nachkommen kann. Daran fehlt es, wenn der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Kündigung ernsthaft zu einer Alkoholtherapie bereit war. Im Übrigen kann bei einer bestehenden Therapiebereitschaft vom Arbeitgeber in der Regel erwartet werden, das Fehlverhalten abzumahnen und das Arbeitsverhältnis fortzusetzen.

Dies geht aus einer Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg hervor. Ein LKW-Fahrer hatte mit 0,64 ‰ Blutalkohol einen Unfall verursacht, bei dem der Unfallgegner verletzt wurde und größerer Sachschaden entstand. Im Betrieb bestand absolutes Alkoholverbot. Die Vorinstanz hatte eine Kündigung wegen der Schwere der Pflichtverletzung auch ohne Ausspruch einer Abmahnung für zulässig gehalten (LAG Berlin-Brandenburg, Az. 7 Sa 852/14).

Kündigung wegen einer HIV-Infektion


Bei einer HIV-Infektion kommt es wie so oft auf den Einzelfall an. Führt diese zu einer dauerhaften Erkrankung mit Arbeitsunfähigkeit oder Leistungseinschränkungen, gelten die gleichen Grundsätze, wie bei anderen Krankheiten. Eine Kündigung ist also grundsätzlich möglich.

Die reine Infektion an sich ist im Normalfall kein Kündigungsgrund und wurde vom Bundesarbeitsgericht 2013 sogar als Behinderung eingestuft. Das bedeutet: Sie fällt unter das Antidiskriminierungsgesetz (AGG). Eine Kündigung (nur) aus diesem Grund ist unzulässig und kann Entschädigungsansprüche zur Folge haben.

Im betreffenden Fall hatte sich ein Arbeitnehmer für eine Tätigkeit im Reinraumbereich eines Pharmaunternehmens beworben, in dem unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen Krebsmedikamente hergestellt werden und nicht einmal Menschen mit Erkältung Zutritt haben. Nach seiner Einstellung gab er beim Betriebsarzt an, HIV-positiv zu sein - und wurde sofort noch in der Probezeit wieder entlassen.

Aus dem Urteil ergibt sich allerdings, dass eine Kündigung wegen einer HIV-Infektion auch wirksam sein kann, wenn der Arbeitgeber sich die Mühe macht, vernünftig zu begründen, warum gerade im konkreten Fall eine Ansteckungsgefahr bestehen kann und warum es nicht möglich ist, diese durch entsprechende Sicherheitsvorkehrungen auszuschließen (BAG, Urteil vom 19.12.2013, Az. 6 AZR 190/12).
Der Rechtsstreit wurde an die Vorinstanz zurückverwiesen und dort durch Vergleich beigelegt.

In bestimmten Berufen können Arbeitnehmer verpflichtet sein, den Arbeitgeber über ihre HIV-Infektion zu informieren. Dies gilt dann, wenn durch die Tätigkeit ein Infektionsrisiko für andere besteht. Aber auch bei zum Beispiel Piloten oder Flugpersonal gibt es eine solche Pflicht, da sie in manche Länder mit einer HIV-Infektion nicht einreisen dürfen.

Praxistipp


Viele Arbeitgeber machen Fehler bei einer krankheitsbedingten Kündigung. Besondere Schwierigkeiten bereitet die korrekte Interessenabwägung mit der Berücksichtigung einer möglichen Beschäftigung des Arbeitnehmers auf einem anderen Arbeitsplatz. Hier gibt es für einen Fachanwalt für Arbeitsrecht oft Ansatzpunkte, um eine Kündigung anzugreifen. Beachten Sie: Eine Kündigungsschutzklage muss innerhalb von drei Wochen nach Erhalt der Kündigung eingereicht werden.

(Ma)


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 Ulf Matzen
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