Cannabis als Medikament: Wie ist die Rechtslage?

23.11.2022, Redaktion Anwalt-Suchservice
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Cannabis,Hanf,Medizin,Rezept Cannabis kann bei vielen Erkrankungen helfen - mittlerweile auf Rezept. © Bu - Anwalt-Suchservice

Bei vielen chronischen und schweren Erkrankungen wird Cannabis unter anderem zur Schmerzlinderung eingesetzt. Es ist inzwischen unter bestimmten Voraussetzungen auf Rezept erhältlich.

Zwar ist Cannabis nach wie vor eine illegale Droge, deren Besitz strafbar ist. Allerdings wird ihm auch ein medizinischer Nutzen zugesprochen. In früheren Zeiten war es für Patienten praktisch unmöglich, eine Sondererlaubnis zum legalen Erwerb von Cannabis zu bekommen. Diese Regeln haben sich aber im März 2017 geändert. Grundsätzlich bliebt der Selbstanbau verboten – vor der Gesetzesreform wurde er jedoch von den Gerichten unter bestimmten Umständen erlaubt.

Wie wird Cannabis als Medikament eingesetzt?


Für Cannabis gibt es viele medizinische Anwendungsmöglichkeiten. Es hat einerseits eine brechreizlindernde und appetitanregende Wirkung. Dies kommt beispielsweise Patienten in der Krebstherapie zugute, die aufgrund einer Chemotherapie unter dauerndem Brechreiz leiden und kaum noch Nahrung aufnehmen können. Es wird auch zur Schmerztherapie verwendet, insbesondere bei chronischen Schmerzen und wenn ein Patient keine anderen Schmerzmittel mehr verträgt. Dabei wird es meist gegen Schmerzen eingesetzt, die ihre Ursache im Nervensystem haben. Dies sind zum Beispiel Schmerzen bei Krebspatienten nach einer Strahlentherapie oder Phantomschmerzen nach Amputationen. Bei Multipler Sklerose nutzt man es zur Unterdrückung von Spasmen, Lähmungen und Krämpfen. Die Pflanze wirkt entzündungshemmend und muskelentspannend. Verschrieben wird Cannabis in Form von Hanfblüten, aber auch in Kapseln, Tropfen, Öl oder Mundspray. Beispiele für aus Cannabis gewonnene Wirkstoffe sind Dronabinol und Nabilon.

Wie ist die aktuelle Rechtslage?


Am 10. März 2017 wurden im Rahmen des “Gesetzes zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften" verschiedene Gesetze geändert. Darunter war auch eine Änderung der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung, die es Ärzten seitdem ermöglicht, Cannabis als Medikament zu verschreiben. Dieses erhält der Patient dann in der Apotheke. Der Anbau von medizinischem Hanf erfolgt unter kontrollierten Bedingungen durch lizensierte Produzenten. Die Kosten für das Cannabis-Medikament trägt die Krankenversicherung. Entfallen ist die früher notwendige Genehmigung durch die Bundesopiumstelle. Aber: Der Eigenanbau von Cannabis bleibt grundsätzlich verboten. Besondere Gesetze befassen sich mit dem Anbau und der Preisgestaltung.

Wer bekommt Cannabis auf Rezept?


Gesetzlich Krankenversicherte haben gemäß § 31 Absatz 6 des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V) Anspruch auf Versorgung mit Cannabis, wenn sie unter einer schwerwiegenden Erkrankung leiden und

- andere Therapien nicht verfügbar sind, nicht anschlagen oder die Nebenwirkungen größer wären als bei einer Cannabis-Behandlung,
- eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine positive Entwicklung für den Krankheitsverlauf oder die Symptome besteht.

Meist wird Cannabis Personen verschrieben, die schwer krank sind. Dazu gehören Patienten, die wegen Multipler Sklerose ständig Schmerzen haben, oder Aids- und Krebspatienten mit permanenter Appetitlosigkeit und Übelkeit. Die Einnahme der Medikamente nehmen die Patienten selbst vor, unter ärztlicher Kontrolle.

Wo kommt das medizinische Cannabis her?


Medizinisches Cannabis gab es lange Zeit nur als Import aus dem Ausland, besonders aus den Niederlanden und Kanada. Solche Importe unterliegen der Kontrolle der Bundesopiumstelle. Mittlerweile gibt es drei Unternehmen, die in Deutschland Cannabis anbauen. Seit einiger Zeit ist dieses in den Apotheken erhältlich. Dabei wird der Anbau und der Handel streng reglementiert von der Cannabisagentur, einer Dienststelle des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM).
Diese Agentur kauft das Cannabis, verkauft es ohne Gewinn an Hersteller von Medikamenten und legt auch einen Hersteller-Abgabepreis fest. Derzeit liegt dieser bei 4,30 Euro pro Gramm. Auf den Endpreis in den Apotheken hat die Agentur keinen Einfluss. Importe finden offenbar auch weiterhin statt.

Wie funktioniert die Kostenübernahme?


Wer als Patient Cannabis auf Rezept bekommen möchte, muss zuerst bei der Krankenkasse einen Antrag auf Kostenübernahme stellen. Wenn dieser abgelehnt wird, kann man dagegen Widerspruch einlegen. Die Krankenkassen prüfen unter Mitwirkung ihres Medizinischen Dienstes, ob eine Verordnung von Cannabis gerechtfertigt ist. Abgelehnt werden soll diese nur im Ausnahmefall.
Zu den Voraussetzungen für eine Kostenübernahme gehört, dass Patient und Arzt bereit sind, an einer begleitenden Studie teilzunehmen, bei der in den nächsten Jahren untersucht werden soll, wie hoch der Nutzen von Cannabis als Medikament ist. Dabei werden die persönlichen Daten der Patienten anonymisiert.

Cannabis: Wann zahlt die Krankenkasse?


Nach einem Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe kommt eine durch die gesetzliche Krankenkasse finanzierte Versorgung mit Cannabis-Medikamenten nur in Frage, wenn "wenn geeignete, allgemein anerkannte und dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmethoden nicht mehr zur Verfügung stehen". Es müssen also alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sein. In dem Fall ging es um einen 27-jährigen Mann mit einem chronischen Schmerzsyndrom. Nachdem verschiedene Schmerzmittel nicht mehr halfen, hatte ihm ein Arzt ein Cannabis-Mundspray verordnet - durchaus mit Erfolg. Die Krankenkasse berief sich jedoch darauf, dass es auch andere Möglichkeiten gegeben hätte - etwa eine multimodale Therapie, ein aktivierendes Training, Reha-Behandlungen und eine psychotherapeutische Mitbehandlung. Das Gericht bestätigte die Ansicht der Kasse. Allerdings ist gegen das Urteil eine Berufung möglich (Urteil vom 27.1.2022, Az. S 15 KR 2520/20).

Update vom 23.11.2022: Bundessozialgericht zu Cannabis auf Rezept


Am 10.11. 2022 hat das Bundessozialgericht in vier Fällen entschieden, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, damit die Krankenkasse eine Verordnung von Cannabis billigen muss. Voraussetzung für eine Cannabistherapie ist zunächst eine schwerwiegende Erkrankung. Eine Erkrankung gilt als schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich ist oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt.

Cannabis darf dem Urteil zufolge auch verordnet werden, wenn noch andere Standardtherapien verfügbar wären. Voraussetzung ist jedoch, dass der behandelnde Arzt genau begründet, warum hier keine Standardtherapie zur Anwendung kommen kann. Der Arzt muss dazu das Krankheitsbild des Patienten genau dokumentieren. Die Therapiealternativen müssen geprüft und die Erfolgschancen und Risiken der verschiedenen Therapien sorgfältig gegeneinander abgewogen werden. Nimmt der Arzt eine solche umfangreiche Einschätzung vor, darf die Krankenkasse das Ergebnis nur noch daraufhin überprüfen, ob die Grundlagen für die ärztliche Entscheidung vollständig, nachvollziehbar und das Abwägungsergebnis nicht vollkommen unplausibel ist. Der Arzt muss ebenfalls im Einzelfall genau abwägen, ob eine Suchtmittelabhängigkeit der Behandlung entgegensteht.

Einen Anspruch auf Versorgung mit dem kostengünstigsten Mittel haben Patienten nur, wenn es mehrere gleich geeignete Mittel gibt (Urteile vom 10.11.2022, Az. B 1 KR 21/21 R, B 1 KR 28/21 R, B 1 KR 9/22 R, B 1 KR 19/22 R).

Was gilt für den Eigenanbau?


Auch nach der neuen Rechtslage ist der Eigenanbau grundsätzlich verboten. Der Gesetzgeber sieht hier zu große Gefahren und Unsicherheiten. So kann zum Beispiel die Wirkstoff-Konzentration bei selbst angebauten Pflanzen stark schwanken.

Aber: § 3 Absatz 2 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) erlaubt dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), ausnahmsweise eine Genehmigung für den Anbau zu wissenschaftlichen oder anderen im öffentlichen Interesse liegenden Zwecken zu erteilen. Eine solche Erlaubnis wurde erstmals 2007 einer Multiple-Sklerose-Patientin erteilt.

2016 – also noch vor der Gesetzesänderung – befasste sich das Bundesverwaltungsgericht mit der Klage eines Multiple-Sklerose-Patienten gegen das Bundesinstitut. Der Kläger hatte bei der Behörde vergeblich die Erteilung einer Sondererlaubnis zum Eigenanbau von Cannabis in seiner Wohnung beantragt. Es hätte zwar auch damals schon theoretisch die Möglichkeit gegeben, mit einer Ausnahmegenehmigung eigens importierten Medizinalhanf über eine Apotheke zu erhalten. Allerdings wollte die Krankenkasse die Kosten nicht übernehmen, und der wegen seiner Krankheit arbeitsunfähige Mann konnte sich den Hanf selbst nicht leisten.

In diesem Fall sah das Bundesverwaltungsgericht die Voraussetzungen für eine Erlaubnis zum Eigenanbau als gegeben an: Der Anbau sei hier im öffentlichen Interesse, weil der Antragsteller schwer erkrankt sei und es keine gleich wirksame und für ihn erschwingliche Therapie gäbe. Es sei davon auszugehen, dass der Mann aufgrund seiner langjährigen Erfahrung und seiner Anbaumethode auch die richtige Dosierung zu sich nehmen werde. Die Therapie finde unter ärztlicher Aufsicht statt; die Wohnung sei ausreichend gegen unbefugtes Eindringen gesichert. Der Patient hatte bereits seine Krankenkasse verklagt, weitere Klagen gegen diese waren ihm dem Gericht zufolge nicht zumutbar (Urteil vom 6.4.2016, Az. 3 C 10.14).

Gilt diese Rechtsprechung heute noch?


An den entsprechenden Vorschriften hat sich nichts geändert. Aber: Die Situation ist heute eine andere, eben weil es jetzt möglich ist, bei einer schweren Erkrankung Cannabis auf Rezept zu erhalten. Zwar ist nicht auszuschließen, dass in einem Extremfall auch heute wieder ein ähnliches Urteil fallen würde – die Wahrscheinlichkeit dürfte aber geringer geworden sein.

Update vom 23.11.2022: Legalisierung: Gesetzesänderungen in Planung


Das Bundeskabinett hat am 26.10.2022 ein Eckpunktepapier des Gesundheitsministers zur Legalisierung von Cannabis gebilligt. Nun kann also an einem Gesetzesentwurf gearbeitet werden. Wann dies umgesetzt wird, steht noch nicht fest.
Künftig soll der Erwerb und Besitz von 20 bis 30 Gramm straffrei bleiben. Der private Anbau von bis zu drei weiblichen, blühenden Pflanzen pro Person soll erlaubt sein. Lizensierte Fachgeschäfte und möglicherweise Apotheken sollen Cannabis an Personen über 18 verkaufen dürfen. Für Käufer unter 21 ist eine Obergrenze beim Wirkstoffgehalt geplant. Als problematisch wird von Unternehmen aus dem Cannabisbereich angesehen, dass kein Import erlaubt werden soll - die einheimische kontrollierte Produktion wird sehr wahrscheinlich in den ersten Jahren nicht einmal für den medizinischen Bereich ausreichen.

Wie sieht die bisherige Praxis aus?


Statistiken des Bundesgesundheitsministeriums zufolge nahmen 2016 insgesamt 779 Menschen medizinisches Cannabis zu sich, 2017 waren es 1.061 und 2018 rechnete man mit etwa 5.000 (Zahlen inklusive Ausnahmegenehmigungen).

Im Jahr 2019 wurde gesetzlich krankenversicherten Patienten über 267.000 Mal Cannabis verschrieben (Anzahl der Rezepte, nicht der Patienten!). Dies ist eine Steigerung von 44 Prozent zum Vorjahr. 2020 waren es 320.000 Verordnungen.

Es kommt jedoch immer noch vor, dass der Antrag von Patienten auf Kostenübernahme durch die Krankenkasse abgelehnt wird. Dabei ist die Definition einer “schweren” Erkrankung häufig das Problem.

Wann ist eine Beschlagnahme unzulässig?


Am 11. Februar 2015 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass eine Hausdurchsuchung mit Beschlagnahme von Cannabispflanzen bei einem Schwerkranken, der eine behördliche Erlaubnis zum Cannabisbesitz zu Therapiezwecken hat, sich aber die entsprechenden cannabishaltigen Fertigpräparate nicht leisten könne, unverhältnismäßig und verfassungswidrig ist (Az. 2 BvR 1694/14). Die Verfassungsrichter waren besonders darüber irritiert, das das zuständige Amtsgericht bei der Anordnung dieser Maßnahmen keinerlei Verhältnismäßigkeitsprüfung vorgenommen und sogar völlig auf eine einzelfallbezogene Begründung verzichtet hatte.

Praxistipp


Die Entscheidungen einer Krankenkasse sind anfechtbar. Hier kann ein Fachanwalt für Medizinrecht betroffenen Patienten helfen, ihren Anspruch auf Kostenerstattung durchzusetzen. Beispielsweise kann der Anwalt ausreichend begründen, warum genau im jeweiligen Einzelfall eine ausreichend schwere Erkrankung vorliegt.

(Ma)


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 Ulf Matzen
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