Grenzbeschlagnahme bei privatem Erwerb aus Drittstaat

Autor: RA und Fachanwalt für gewerblichen Rechtsschutz Dr. Kristofer Bott, Frankfurt/M.
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 03/2014
Die Zollbehörden dürfen mutmaßlich gefälschte Waren, die aus einem Drittstaat in die Gemeinschaft geliefert werden, auch dann beschlagnahmen, wenn sie für den privaten Gebrauch bestimmt sind und der Verkäufer für sie in der Gemeinschaft keine Werbung gemacht hat.

EuGH, Urt. v. 6.2.2014 - Rs. C-98/13

Vorinstanz: Hojesteret (Dänemark), Vorabentscheidungsersuchen

VO 1383/2003 Art. 2, RiL 2001/29/EG Art. 4, RiL 2008/95/EG Art. 5, VO EG 207/2009 Art. 9

Das Problem:

Herr Blomqvist aus Dänemark hatte über einen Online-Shop bei einem Verkäufer aus Hongkong eine Rolex-Uhr gekauft. Die chinesische Webseite war nicht an Käufer aus der Europäischen Gemeinschaft gerichtet. Auch sonst war die Uhr nicht für Käufer aus der EU beworben worden. Der dänische Zoll hielt die Auslieferung der Uhr an Herrn Blomqvist bei der Einfuhr zurück, weil es sich dem Anschein nach um eine Fälschung handelte, und benachrichtigte den Rechteinhaber Rolex SA. Rolex beantragte beim zuständigen dänischen Gericht die Feststellung, zur entschädigungslosen Vernichtung der Uhr berechtigt zu sein. Herr Blomqvist widersprach. Er meinte, nicht rechtswidrig zu handeln, weil er die Uhr nicht aus der EU, sondern einem Drittstaat und für sich privat erworben habe; das war unstreitig. Auch habe der Verkäufer mangels Werbung für Dänemark keine rechtlich relevanten, insbesondere die Beschlagnahme durch die Zollbehörde rechtfertigenden Handlungen begangen. Der Højesteret befand, Herr Blomqvist habe dänisches Marken- oder Urheberrecht nicht verletzt, legte dem EuGH aber die Frage vor, ob der Verkauf einer Ware unter den geschilderten Umständen, insbesondere ohne vorangegangene Werbung in der EU, eine urheber- und markenrechtsverletzende Handlung sei, nämlich ein „Verbreiten an die Öffentlichkeit” (Urheberrecht) resp. eine „Benutzung im geschäftlichen Verkehr” (Marke), welche die Beschlagnahme und Vernichtung der Uhr durch den Zoll rechtfertige.

Die Entscheidung des Gerichts:

Der Gerichtshof bejaht die Frage unter Bezug auf sein Urteil in den verbundenen Rechtssachen „Philips” und „Nokia”. Es ging dort um in Belgien bzw. England vom Zoll wegen mutmaßlicher Rechtsverletzungen einbehaltene Rasierer bzw. Mobiltelefone, die nicht für die Einfuhr in diese Länder, sondern zu einem Nichterhebungsverfahren (s. Art. 84 VO 2913/92 – Zollkodex, nunmehr Art. 135 VO Nr. 450/2008 – modernisierter Zollkodex) deklariert waren. In solchen Fällen könne der Zoll Fälschungen grundsätzlich nicht als „nachgeahmte Waren” (Markenrecht) resp. „unerlaubt hergestellte Waren” (u.a. Urheberrecht) i.S.d. Art. 2 Abs. 1 Buchst. a) bzw. b) der Zollverordnung behandeln, wohl aber dann, wenn Anhaltspunkte bestünden, dass diese Waren doch in der Gemeinschaft in Verkehr gebracht werden sollten. Das könne u.a. der Fall sein, wenn die Waren schon vor ihrer physischen Verbringung in die Gemeinschaft dorthin verkauft worden seien (Urt. Philips/Nokia, Rz. 57). Entscheidend sei, dass die Ware Gegenstand eines Verkaufs in die Gemeinschaft sei, unerheblich hingegen, ob der Verkäufer die Ware außerdem in der Gemeinschaft beworben habe. Gerade so sei es im Fall Blomqvist/Rolex. Dem Umstand, dass Herr Blomqvist die Uhr für den privaten Gebrauch bestellt hatte, misst der Gerichtshof keine Bedeutung bei, ohne das allerdings ausdrücklich zu erwähnen.


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