Grobe Behandlungsfehler bei Anwendung einer Neulandmethode

16.02.2015, Autor: Herr Hans-Berndt Ziegler / Lesedauer ca. 2 Min. (367 mal gelesen)
Das OLG Hamm hat mit Urteil vom 25.02.2014 – 26 U 157/12 – entschieden, dass, wenn ein Arzt nicht die Therapie der ersten Wahl, den so genannten „goldenen Standard“, sondern die Therapie der zweiten Wahl anwendet, darin ein Behandlungsfehler liegt.

Verlässt der Arzt den so genannten „goldenen Standard“, ohne den Patienten hierauf hinzuweisen, so handelt er jedenfalls dann grob fehlerhaft, wenn der Patient bereits zur Durchführung der Therapie der ersten Wahl entschlossen war. Ein solches ärztliches Verhalten ist unverständlich und nicht mehr nachvollziehbar. Dem Patienten kommt insoweit die Umkehr der Beweislast zugute, sodass dem Arzt der Beweis obliegt, dass sein Behandlungsfehler folgenlos geblieben ist. Diese Umkehr der Beweislast folgt daraus, dass der Senat einen groben Behandlungsfehler des Arztes in einem solchen Fall annimmt. Bei der Beurteilung der Frage, ob ein grober Behandlungsfehler vorliegt, der zu Gunsten des Patienten grundsätzlich zu Beweiserleichterungen für den Kausalitätsbeweis führt, muss ein Fehlverhalten vorliegen, das nicht aus subjektiven, in der Person des handelnden Arztes liegenden Gründen, sondern aus objektiver ärztlicher Sicht nicht mehr verständlich erscheint, weil ein solcher Fehler dem behandelnden Arzt „schlechterdings nicht unterlaufen darf“. Es kommt also darauf an, ob das ärztliche Verhalten eindeutig gegen gesicherte und bewährte medizinische Erkenntnisse und Erfahrungen verstieß. Verlässt der Arzt den so genannten „goldenen Standard“, ohne den Patienten hierauf hinzuweisen, so handelt er jedenfalls grob fehlerhaft, wenn der Patient bereits zur Durchführung der Therapie der ersten Wahl entschlossen war. Der Arzt muss den Patienten darüber aufklären, dass es sich um eine Neulandmethode handelt. Er muss dem Patienten die Risiken dieser Neulandmethode darstellen und insbesondere auch die Vor- und Nachteile sowie die Komplikationsraten gegenüber dem Standardverfahren mit dem Patienten besprechen.

Diese Entscheidung ist auf folgenden Fall aus unserer Praxis anwendbar.

Die Patientin litt seit 2009 unter Rückenschmerzen. Da die Schmerzen nicht nachließen und ein konservatives Vorgehen nicht zum Erfolg führte, vielmehr die Schmerzen stetig zunahmen, wurde ihr ein operatives Vorgehen angeraten. Die Operationsaufklärung erfolgte bereits im August des Jahres 2010, der Operationstermin war für November des Jahres angesetzt. Einen Tag vor der Operation wurde der Patientin dann mitgeteilt, dass das Operationsverfahren geändert worden sei. Nach der Operation waren die Beschwerden der Patientin stärker als zuvor. Die Patientin konnte nicht mehr laufen und litt unter erheblichen Einschränkungen. Es war eine axiale Schraube zwischen die Wirbelkörper eingebracht worden. Dieses Vorgehen ist mit einer extrem hohen Komplikationsrate belastet. Zudem können nur durch einen lebensgefährlichen Eingriff die Folgen dieser Operation beseitigt werden. Aufgrund dieses Sachverhalts hat die Patientin ein fachmedizinisches Gutachten einholen lassen. Der Gutachter führte in dem Gutachten aus, dass die angewandte Methode eine Neulandmethode war. Diese Methode wird in den führenden Wirbelsäulenzentren nicht angewandt. Erstmals durch die Einholung des Gutachtens erfuhr die Patientin, dass bei ihr nicht das Standardverfahren angewandt worden ist, sondern eine Neulandmethode, die mit einer extrem hohen Komplikationsrate verbunden ist. Die Entscheidung des OLG Hamm ist zu begrüßen. Zwar obliegt dem Arzt die Wahl der angewandten Untersuchungsmethode, jedoch wird durch die Entscheidung verhindert, dass der Patient der Gefahr ausgesetzt wird, zum „Versuchskaninchen“ für neue Behandlungsmethoden zu werden, ohne dass er hierüber vorher informiert wurde, so die sachbearbeitende Rechtsanwältin von Ziegler & Kollegen Uta Schreeck