Grundsätze der gespaltenen Verkehrsauffassung bei rechtserhaltender Benutzung der Marke in abweichender Form

Autor: RA Dr. Kay Oelschlägel, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hamburg
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 07/2015
Bei der Prüfung der rechtserhaltenden Benutzung einer Marke in einer von der eingetragenen Marke abweichenden Form i.S.v. § 26 Abs. 3 MarkenG können ausnahmsweise die für die Beurteilung einer Verwechslungsgefahr entwickelten Grundsätze zu einer gespaltenen Verkehrsauffassung herangezogen werden. Dies ist gerechtfertigt, wenn feststellbar ist, dass der Gebrauch des Kennzeichens gegenüber einem objektiv abgrenzbaren Verkehrskreis erfolgt, wie dies bei einem bestimmten Sprachkreis der Fall ist. Bei der Verbindung einer eingetragenen Marke mit einem Zusatz (hier: „SOSiS”), der in türkischer Sprache das Produkt beschreibt, ist von einer rechtserhaltende Benutzung durch das zusammengesetzte Zeichen (hier: „SOSiS Pinar”) auszugehen, wenn die Produkte in Deutschland weit überwiegend in türkischen Lebensmittelgeschäften an der türkischen Sprache mächtige Kunden vertrieben werden.

BGH, Urt. v. 17.11.2014 - I ZR 114/13

Vorinstanz: OLG Köln v. 17.5.2013 - 6 U 208/12

MarkenG § 26 Abs. 3 Satz 1

Das Problem

Drei Unternehmen, die zu einem türkischen Konzern gehören, der seit 1975 in der Türkei unter der Bezeichnung „PINAR” Milch und Molkereiprodukte vertreibt, wenden sich gegen die seit Anfang der 1980er Jahre eingetragene Wortmarke „PINAR” eines Wurstwarenherstellers, der seine Produkte in erster Linie an türkischstämmige Abnehmer in Deutschland vertreibt. Seit den 1980er-Jahren verwendet er als Verpackung Dosen, auf deren Banderolen die Bezeichnungen „PINAR” und „SOSiS” verwendet werden; seit 1990 sind die Banderolen wie folgt gestaltet: Auf rotem Grund finden sich die Bezeichnungen „EGETÜRK”(am oberen Rand) sowie „PINAR SOSiS” in weißer Schrift mit grüner Umrandung, die Angabe „6 Soyulmu? Sosis” oder „6 Rindwürstchen in Eigenhaut” sowie die Abbildung einer Kuh vor einer idealisierten Landschaft. Die Konzernunternehmen begehren die Einwilligung des Wurstherstellers in die Löschung der Wortmarke „PINAR”. Das Berufungsgericht hat die Klage abgewiesen; hiergegen wenden sich die drei Konzernunternehmen mit der Revision an den BGH.

Die Entscheidung des Gerichts

Der BGH wies die Revision zurück.

Grundsätze für die Beurteilung der rechtserhaltenden Benutzung einer Marke i.S.v. § 26 Abs. 3 MarkenG: Eine rechtserhaltende Benutzung i.S.v. § 26 Abs. 3 MarkenG liege vor, wenn der kennzeichnende Charakter der Marke nicht verändert werde; dies sei anzunehmen, wenn der Verkehr bei der Wahrnehmung der Unterschiede dem Gesamteindruck noch mit der eingetragenen Marke gleichsetze. Bei der Verwendung einer Wortmarke in grafisch oder farblich gestalteter Form und in Fällen, in denen bildliche Elemente hinzugefügt werden, sei zu berücksichtigen, dass Marken in der Praxis nicht isoliert betrachtet verwendet werden, sondern häufig dem Verkehr mit weiteren Angaben, Zeichen, Aufmachungen und Farben entgegenträten. Für die Abgrenzung sei entscheidend, ob die weiteren Elemente einen Bezug zur Funktion der Marke als Herkunftsnachweis aufwiesen und nicht lediglich allgemeine Sachangaben oder Hervorhebungsmittel darstellten, wobei zu berücksichtigen sei, dass grafische oder farbliche Gestaltungen nicht selten dekorativen oder verzierenden Charakter hätten, denen der Verkehr keine Bedeutung hinsichtlich des kennzeichnenden Charakters der Marke und der benutzten Form beimesse.

Banderolengestaltung nicht als einheitliche Bildgestaltung zu bewerten: Trotz verschiedener Bildelemente sei die Gestaltung der Banderole nicht als einheitliche Kennzeichnung anzusehen; der Teil, in dem die Bezeichnung „PINAR” verwendete werde, sei von den anderen Bildbestandteilen hinreichend abgesetzt.

Einheitliche Kennzeichnung der Bestandteile „Pinar” und „SOSiS”: Grundsätzlich lege die Verwendung von zwei Zeichen nahe, dass der Verkehr darin ein aus zwei Bestandteilen zusammengesetztes Zeichen erblicke; denkbar sei aber auch, dass der Verkehr in der Kennzeichnung keinen einheitlichen Herkunftsnachweis erblicke, sondern zwei voneinander zu unterscheidende Kennzeichen sehe. In konkreten Fall sei das Berufungsgericht zu Recht davon ausgegangen, dass die Anordnung der Bezeichnung „SOSiS” unmittelbar unterhalb des Worts „PINAR” und in kleinerer Schriftgröße und die grüne Umrandung eine optische Einheit zwischen den Bezeichnungen schaffe.

Der Begriff „SOSiS” als Sachangabe: Das Berufungsgericht sei auch rechtsfehlerfrei zu dem Ergebnis gelangt, dass potentielle Abnehmer der von der Beklagten vertriebenen Produkte den Begriff „SOSiS” als beschreibende Sachangabe verstünden und die Bezeichnung „Pinar” als kennzeichnend werteten; in der Wahrnehmung der türkischsprachige Kundschaft bedeutet „SOSiS” „Würstchen”.

Grundsätze der gespaltenen Verkehrsauffassung: Bei der Beurteilung der Frage, ob der Begriff „SOSiS” beschreibenden Charakter habe, sei auf die Verkehrsauffassung abzustellen; es könne auf die zur Verwechslungsgefahr entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden. Daher sei auf die Abnehmer abzustellen, die die konkret beanspruchten Waren oder Dienstleistungen nachfragten. Die Annahme einer gespaltenen Verkehrsauffassung sei mit der Sichtweise eines Durchschnittsverbrauchers grundsätzlich nicht zu vereinbaren. Ausnahmen seien aber geboten, wenn sich die verschiedenen Verkehrskreise, etwa allgemeiner Verkehr und Fachkreis oder unterschiedliche Sprachkreise, objektiv voneinander abgrenzen ließen. Nicht annehmbar sei eine gespaltene Verkehrsauffassung binnen eines einzigen Verkehrskreises. Im vorliegenden Fall würden die Produkte der Markeninhaberin zu mindestens 80 Prozent in türkischen Lebensmittelgeschäften abgesetzt; der überwiegende Teil der Kunden verstehe die türkische Sprache. Das sei im Ergebnis ausreichend, um abgrenzbare Verkehrskreise anzunehmen. Denn die Ausrichtung des Absatzes sei keine Werbekonzeption oder Marketingstrategie, die jederzeit veränderbar sei.

Kein Wertungswiderspruch zu § 8 Abs. 2 Nr. 2 und Nr. 2 MarkenG: Ein Wertungswiderspruch zur Beurteilung der Schutzhindernisse der mangelnden Unterscheidungskraft und des Freihaltebedürfnisses entstehe durch die Anwendung der Grundsätze der gespaltenen Verkehrsauffassung im Rahmen der Beurteilung der rechtserhaltenden Benutzung i.S.v. § 26 Abs. 3 MarkenG nicht: Die Beurteilung hinsichtlich der Schutzhindernisse erfolge im Eintragungs- und Löschungsverfahren nur hinsichtlich der eingetragenen Marke „PINAR” und sei nicht gegeben.


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