Lange krank: Was ist eine Wiedereingliederung nach dem Hamburger Modell?

21.02.2022, Redaktion Anwalt-Suchservice
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Wiedereingliederung,Krankheit,Arbeitsunfähigkeit,Stufenplan Wer lange krank war, kann mit einem Stufenplan ins Arbeitsleben zurückfinden. © - freepik

Möchte man nach langer Krankheit zurück in den Job, ist dies oft nicht einfach. Einen Wiedereinstieg in das Arbeitsleben erleichtert das sogenannte Hamburger Modell. Dieses sieht eine allmähliche Übergangsphase vor.

Das Hamburger Modell ist ein Konzept, mit dessen Hilfe Arbeitnehmer nach langer krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit nicht plötzlich, sondern stufenweise wieder in den Beruf zurückkehren können. Da es gesetzlich geregelt ist, kann darauf ein Rechtsanspruch bestehen. Maßgebliche Regelungen sind § 74 des Fünften Sozialgesetzbuches (SGB V) sowie für behinderte oder von einer Behinderung bedrohte Menschen § 44 des Neunten Sozialgesetzbuches (SGB IX).

Welche Voraussetzungen hat eine stufenweise Wiedereingliederung?


Arbeiter und Angestellte können vom Hamburger Modell profitieren, wenn sie gesetzlich krankenversichert sind. Laut § 74 SGB V gilt: Wenn der bisher Arbeitsunfähige wieder teilweise arbeitsfähig ist und mit Hilfe einer stufenweisen Eingliederung voraussichtlich besser wieder ins Erwerbsleben zurückgebracht werden kann, soll der Arzt dies auf der Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit vermerken. Dabei soll er Art und Umfang der möglichen Tätigkeiten angeben und in geeigneten Fällen auch eine Stellungnahme des Betriebsarztes oder – mit Zustimmung der Krankenkasse – die Meinung des Medizinischen Dienstes einholen. Grundvoraussetzung ist, dass der Arbeitnehmer mindestens sechs Wochen lang arbeitsunfähig erkrankt gewesen sein muss.

Welchen Inhalt muss die ärztliche Bescheinigung haben?


Der Arzt erstellt zusammen mit seinem Patienten einen Eingliederungsplan. Dieser wird dann als Empfehlung in die Bescheinigung über die Arbeitsunfähigkeit aufgenommen. Im Wiedereingliederungsplan wird festgelegt, an wie vielen Stunden pro Arbeitstag welche Tätigkeiten durchgeführt werden können. Je nach zu erwartendem Genesungsfortschritt wird dann die Arbeitsbelastung hochgefahren. Dabei gibt der Arzt auch eine Prognose über den Zeitpunkt ab, zu dem wieder vollständige Arbeitsfähigkeit erwartet werden kann. Der Eingliederungsplan des Arztes stellt eine Empfehlung dar. Auch Krankenkasse und Arbeitgeber sollten beteiligt werden, damit tatsächlich alle beteiligten Stellen mit der Lösung einverstanden sind und der Mitarbeiter nach und nach an seinen Arbeitsplatz zurückkehren kann.

Keine Arbeit, sondern Reha


Bei den während der Wiedereingliederungszeit geleisteten Tätigkeiten handelt es sich nicht um Arbeit nach dem Arbeitsvertrag, sondern um eine Rehabilitationsmaßnahme. Das bedeutet: Für diese Zeit wird zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer oft ein Wiedereingliederungsvertrag abgeschlossen, während der eigentliche Arbeitsvertrag ruht. Der Arbeitnehmer bekommt daher in diesem Zeitraum auch nicht seinen vereinbarten Arbeitslohn vom Arbeitgeber, sondern Krankengeld oder Übergangsgeld von der Kranken- oder Rentenversicherung.

Wo wird das Stufenmodell beantragt?


Erster Ansprechpartner für betroffene Arbeitnehmer ist ihr behandelnder Arzt. Träger der Maßnahme ist die gesetzliche Krankenversicherung des Patienten. Es gibt jedoch auch stufenweise Wiedereingliederungen mit Hilfe der Rentenversicherung, etwa, wenn der Patient sich in einer von dieser getragenen Rehabilitation befindet. Sinnvoll ist es, möglichst frühzeitig Kontakt zum Arbeitgeber aufzunehmen.

Wie lange dauert die Wiedereingliederung?


Es gibt dafür keine feste Zeitspanne. Eine stufenweise Wiedereingliederung kann sich über sechs Wochen oder über sechs Monate erstrecken. Abhängig ist dies von der Art der Erkrankung und der Dauer der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers.

Arbeitgeber darf nicht ablehnen


Ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Hamm besagt, dass eine ärztlich empfohlene stufenweise Wiedereingliederung zu den gebotenen Maßnahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements gehört. Der Arbeitgeber kann also nicht frei entscheiden, ob er das Hamburger Modell akzeptiert – es sei denn, er kann beweisen, dass der Betreffende nicht arbeitsfähig ist. Frühere Gerichtsurteile, nach denen der Arbeitgeber frei entscheiden konnte, gelten als überholt. Arbeitnehmer können sogar Anspruch auf Schadensersatz haben, wenn sich der Chef nicht auf eine stufenweise Wiedereingliederung im Sinne der ärztlichen Bescheinigung einlässt (LAG Hamm, Urteil vom 4.7.2011, Az. 8 Sa 726/11).

Welche anderen Modelle gibt es?


Arbeitnehmer können ihre stufenweise Wiedereingliederung auch direkt mit dem Arbeitgeber aushandeln, zum Beispiel über ein Teilzeitmodell. In diesem Fall erhält der Arbeitnehmer vertraglich geschuldeten Arbeitslohn und die Krankenversicherung ist nicht weiter beteiligt. Unter Umständen haben Arbeitnehmer sogar einen Anspruch auf Teilzeitarbeit. Die Voraussetzungen regelt § 8 Teilzeit- und Befristungsgesetz (TzBfG). Grundsätzlich möglich ist dies, wenn das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate bestanden hat. Dazu müssen Beschäftigte die Verringerung ihrer Arbeitszeit und den Umfang der Verringerung spätestens drei Monate vor deren Beginn geltend machen und die gewünschte Verteilung der Arbeitszeit angeben.

Neues Urteil des Bundesarbeitsgerichts zur Wiedereingliederung


Wenn ein Arbeitnehmer, der bereits sechs Wochen lang krank war, nach Abschluss eines Betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) erneut für mehr als sechs Wochen erkrankt, muss ein weiteres BEM durchgeführt werden. Dies gilt auch, wenn beide Erkrankungen innerhalb eines Jahres stattfinden. Der Arbeitgeber darf dem Arbeitnehmer in diesem Fall nicht einfach kündigen. Dies hat das Bundesarbeitsgericht entschieden.

Es ging dabei um einen langjährig in einem Betrieb beschäftigten Produktionshelfer, der länger krank geschrieben gewesen war. Anschließend gab es ein Gespräch mit dem Arbeitgeber zur Durchführung eines betrieblichen Wiedereingliederungsmanagements. Nach dem Gespräch erkrankte der Mitarbeiter jedoch erneut für mehrere Monate. Ihm wurde daraufhin gekündigt. Zu Unrecht, wie das BAG entschied: Die Kündigung sei unverhältnismäßig und nicht sozial gerechtfertigt. Der Arbeitgeber sei dazu verpflichtet, selbst die Initiative für ein erneutes BEM zu ergreifen. Dies gelte sogar dann, wenn seit dem letzten noch kein ganzes Jahr vergangen sei. Es sei denkbar, dass sich während der erneuten Erkrankung neue Erkenntnisse über deren Ursachen und die Möglichkeiten einer Wiedereingliederung ergeben hätten. Genau dies solle in einem BEM festgestellt werden. Ein neues BEM sei nur verzichtbar, wenn der Arbeitgeber beweisen könne, dass es nutzlos sein würde (Urteil vom 8.11.2021, Az. 2 AZR 138/21).

Praxistipp


Eine stufenweise Wiedereingliederung macht in vielen Fällen Sinn. Wird ein Betriebliches Wiedereingliederungsmanagement durchgeführt, dürfen Arbeitnehmer seit einiger Zeit eine Vertrauensperson zum Gespräch mitnehmen - etwa ein Mitglied des Betriebsrates (§ 167 SGB IX). Kommt es zum Streit mit dem Arbeitgeber oder gar zu einer krankheitsbedingten Kündigung, kann ein Fachanwalt für Arbeitsrecht Betroffene beraten oder eine Kündigungsschutzklage in die Wege leiten.

(Wk)


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 Günter Warkowski
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