Platzmangel im Flugzeug: Minderung wegen übergewichtigem Sitznachbarn?

15.11.2022, Redaktion Anwalt-Suchservice / Lesedauer ca. 4 Min. (2299 mal gelesen)
Flugreise,Übergewicht,Preisminderung,Passagier,Sitz Wenig Platz im Flugzeug: Nicht jeder Passagier passt auf den Sitz. © Bu - Anwalt-Suchservice

Immer mehr Menschen leiden unter Übergewicht. Dies kann im Flugzeug schnell zum Problem werden. Für so manchen Passagier auf dem Sitz daneben oder dahinter wird der Flug schnell unangenehm.

Schon seit Jahren ringen Fluggesellschaften um eine sinnvolle Lösung für den Umgang mit übergewichtigen Passagieren. Manchmal müssen diese einen Extra-Sitz bezahlen. Übergewichtige Fluggäste empfinden dies jedoch selbst als Diskriminierung. Es gab bereits Gerichtsverfahren um die möglichen Ansprüche von Mitreisenden. Im Ausnahmefall scheint es möglich zu sein, eine Minderung des Flugpreises zu verlangen, wenn übergewichtige Mitreisende zu viel Platz beanspruchen.

Welcher Fall sorgte bereits für einen Rechtsstreit?


Ein Passagier hatte auf einem Langstreckenflug hinter einem besonders übergewichtigen Vordermann gesessen. Durch dessen Körpergewicht wurde seine Sitzlehne weiter zurückgedrückt, als dies technisch vorgesehen war – etwa um fünf bis zehn Zentimeter. So passte der Übergewichtige zwar einigermaßen in seinen Sitz, der Passagier hinter ihm wurde jedoch ständig in eine unbequeme Sitzhaltung gezwungen. Es war ihm nicht möglich, bequem zu sitzen oder gar zu schlafen. Daher forderte er von der Fluggesellschaft eine Minderung des Flugpreises.

Wie ist die Rechtslage?


Wenn es sich um eine Pauschalreise handelt, gilt für diese das Reiserecht des Bürgerlichen Gesetzbuches. Daher hat der Reisende (nur) einen einzigen Vertrag mit seinem Reiseveranstalter, der wiederum die einzelnen Leistungen wie Flug, Hotel und Transfer zum Hotel organisiert. Wenn die Reise irgendwelche Mängel hat, muss der Kunde diese beim Veranstalter geltend machen. Das Reisevertragsrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches gibt ihm dafür einige Möglichkeiten. Zu diesen gehört eine Minderung des Reisepreises.

Kauft jedoch der Fluggast sein Ticket direkt bei der Fluggesellschaft, ist diese auch sein Ansprechpartner bei möglichen Problemen. Es entsteht ein Luftbeförderungsvertrag zwischen Passagier und Fluggesellschaft. Rechtlich ist dieser eine Variante des Werkvertrages. Das führt dazu, dass hier dieselben Gewährleistungsregeln zur Anwendung kommen wie etwa bei einem Handwerker, der in einer Wohnung neue Badezimmer-Armaturen installieren soll. Bei einer mangelhaften Ausführung der Beförderungsleistung durch die Airline hat der Kunde gegen sie unterschiedliche Ansprüche.

Wann spielt die EU-Fluggastrechte-Verordnung eine Rolle?


Für Flugannullierungen, erhebliche Verspätungen und die Verweigerung der Beförderung besteht eine besondere Rechtslage. In solchen Fällen kann jeder Fluggast nach der Europäischen Fluggastrechte-Verordnung eine Entschädigung direkt bei der Fluggesellschaft geltend machen. Dies gilt für Pauschalreisende genauso wie für Passagiere, die nur den Flug gebucht haben.

Wie hat das Gericht entschieden?


Der Passagier im oben beschriebenen Fall hatte seinen Flug direkt bei der Fluggesellschaft gebucht. Das Amtsgericht Frankfurt am Main sah in der nicht ausreichenden Beinfreiheit einen Mangel der Beförderungsleistung, der den Passagier nach § 633 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 BGB zu einer Minderung des Ticketpreises berechtige. Nach dem Werkvertragsrecht lag demnach ein Sachmangel vor, da die Leistung nicht so ausgeführt wurde, wie sie üblich war und wie sie der Kunde erwarten durfte.
Die Fluggesellschaft hatte dagegen argumentiert, dass der Kläger selbst außergewöhnliche Körpermaße habe: Er sei 195 cm groß. Trotzdem gestand ihm das Gericht eine Flugpreisminderung um 50 Prozent zu.

Wann liegt ein Mangel vor?


Nicht jede Unzulänglichkeit bei Komfort und Service ist laut Gerichtsurteil gleich ein Mangel der Beförderungsleistung. Besonders Fluggäste mit überdurchschnittlicher Körpergröße müssten sich gerade in der preisgünstigeren Klasse auf etwas weniger Bequemlichkeit einstellen. Aber: Besonders auf Langstreckenflügen müsse die Fluggesellschaft auch für ein Mindestmaß an Bewegungsfreiheit sorgen. Schließlich sei die Airline vertraglich nicht allein dazu verpflichtet, den Passagier irgendwie vom Start zum Ziel zu bringen. Der Fluggast müsse nicht damit rechnen, dass die Sitzlehne vor ihm so schwach ausgelegt sei, dass sie durch das Gewicht eines übergewichtigen Passagiers derart massiv nach hinten gebogen werde, wie es hier geschehen sei. Eine solche Beeinträchtigung seiner Sitzhaltung müsse der dahinter sitzende Passagier nicht hinnehmen.

Welche Pflichten hat die Fluggesellschaft?


Nach dem Gericht muss sich eine Fluggesellschaft auch auf übergewichtige Fluggäste einstellen. Die Sitze im Flugzeug müssen daher so ausgelegt sein, dass sie ein entsprechendes Gewicht aushalten, ohne sich zu verbiegen. Allerdings gäbe es auch Grenzen: Die Fluggesellschaft müsse nicht mit massiv übergewichtigen Fluggästen rechnen. Hier habe jedoch kein solcher Fall eines "massiven Übergewichts" vorgelegen. Das Urteil lässt jedoch keinen Rückschluss darauf zu, was denn unter "massivem Übergewicht" zu verstehen ist (Amtsgericht Frankfurt am Main, Urteil vom 18.3.2015, Az. 31 C 4210/14).

Wie gehen Fluggesellschaften mit übergewichtigen Passagieren um?


Einheitliche Regeln für den Umgang mit übergewichtigen Flugpassagieren gibt es nicht. Weder gibt es gesetzliche Vorgaben, noch behandeln die Fluggesellschaften dieses Problem einheitlich. Meist ist eher die Breite der Sitze das Problem und weniger der Abstand zum Hintermann. Speziell amerikanische Airlines versuchen, übergewichtige Passagiere mit Hilfe Allgemeiner Geschäftsbedingungen dazu zu zwingen, zwei nebeneinander liegende Sitze zu buchen. Einige Fluggesellschaften geben auf den zweiten Sitz auch einen Rabatt. Der Zwang zur Buchung eines zweiten Platzes wurde jedoch auch immer wieder als Diskriminierung der Übergewichtigen angegriffen. Daher wird heute oft eine Kulanzlösung bevorzugt. Die Fluggesellschaft bietet dabei dem übergewichtigen Passagier einen zweiten Sitzplatz an oder achtet beim Check-In darauf, dass der Platz neben ihm frei bleibt. Problematisch ist dies natürlich bei einem ausgebuchten Flug.

Wenn auf einen anderen Flug verwiesen wird


Manchmal soll es auch vorkommen, dass die Fluggesellschaften einen übergewichtigen Passagier auf einen anderen Flug verweisen, wenn es nicht möglich ist, ihm zwei Plätze nebeneinander zuzuweisen. In Europa könnte der übergewichtige Passagier in einem solchen Fall allerdings unter Umständen Ansprüche gegen die Fluggesellschaft geltend machen. Hier handelt es sich nämlich um einen Fall der "Nichtbeförderung". Diese führt zu Ansprüchen nach der EU-Fluggastrechte-Verordnung: Artikel 4 Abs. 3 der Verordnung besagt, dass Passagieren, denen die Airline gegen ihren Willen die Beförderung verweigert, Unterstützungs- und Betreuungsleistungen am Flughafen zustehen – sowie eine nach Flugentfernung gestaffelte Ausgleichszahlung wie bei einer Annullierung oder erheblichen Verspätung des Fluges.

Praxistipp zu Flugreisen und übergewichtigen Passagieren


Übergewichtige Fluggäste erfahren oft Anfeindungen von anderen Passagieren und wenig Verständnis von den Crews der Flugzeuge. Wenn dies so extreme Formen annimmt, dass sie nicht befördert werden, können sie Ansprüche gegen die Fluggesellschaft haben. Flugpassagiere, die während des Fluges durch einen übergewichtigen Sitznachbarn in eine schmerzhaft-verkrampfte Sitzposition gezwungen werden, sollten sich möglichst taktvoll an die Crew wenden. Womöglich kann diese ihnen einen anderen Platz zuweisen. Wenn die Sitze nicht ausreichend solide konstruiert sind, haben Fluggäste Ansprüche gegen die Fluggesellschaft. Ein auf das Reiserecht spezialisierter Rechtsanwalt kann Ihnen helfen, diese durchzusetzen.

(Ma)


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 Ulf Matzen
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