Notwehr gegen Einbrecher: Wo sind die Grenzen?

12.10.2023, Redaktion Anwalt-Suchservice / Lesedauer ca. 7 Min. (33721 mal gelesen)
Notwehr,Nothilfe,Straffreiheit,Notwehrexzess Notwehr gegen Einbrecher: Auch im Notfall gibt es Regeln. © Ma - Anwalt-Suchservice
Das Wichtigste in Kürze

1. Begriff: § 32 Strafgesetzbuch definiert Notwehr als die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich selbst oder jemand anderen (dann Nothilfe) abzuwenden.

2. Umfang der Notwehr: Das Recht zur Notwehr greift nicht nur bei einem Angriff auf Leib und Leben, sondern auch bei einem Angriff auf alle sonstigen individuellen Rechtsgüter, wie persönliches Eigentum, körperliche Unversehrtheit, aber auch die Ehre.

2. Verhältnismäßigkeit: Die Notwehrhandlung muss zum einen 'erforderlich' sein, also erwarten lassen, dass der Angriff sicher und endgültig beendet werden kann. Zudem muss sie auch 'geboten' sein, was nicht der Fall ist, wenn zwischen dem vom sich Notwehrenden angegriffenen und dem von ihm geschützten Rechtsgut ein extremes Missverhältnis vorliegt.
Die Presse berichtet immer wieder über körperliche Auseinandersetzungen zwischen Einbrechern und Bewohnern der Wohnungen, in die diese einbrechen. So sorgte zum Beispiel im Februar 2019 ein Fall für Aufsehen, bei dem ein Einbrecher auf einen Mieter mit einem Messer losgegangen war. Der Mieter schlug den Eindringling erfolgreich mit einer Bratpfanne in die Flucht. Dieser versteckte sich in einer anderen Wohnung im Haus, wo er schließlich von der Polizei aufgegriffen wurde. In diesem Fall wurde niemand verletzt und es gab keine Strafanzeige gegen den Hausbewohner. Dies ist jedoch nicht immer so.

Wann hat man ein Recht zur Notwehr?


Menschen, deren Rechtsgüter in konkreter Gefahr sind, ist nach deutschem Recht eine gewisse Selbstverteidigung erlaubt. Handelt es sich um eine Notwehr im Sinne von § 32 des Strafgesetzbuches (StGB), ist diese nicht rechtswidrig und somit nicht strafbar. Das Gesetz definiert Notwehr als die Verteidigung, die erforderlich ist, um einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff von sich selbst oder jemand anderem (Nothilfe) abzuwenden. Dabei ist immer stark vom Einzelfall abhängig, ob wirklich eine Notwehr vorliegt.

Wann ist eine Notwehr erforderlich?


Im Sinne des Gesetzes gilt eine Verteidigungshandlung als erforderlich, mit der man den Angriff sicher und endgültig beenden kann. Dabei muss zwar eigentlich nicht auf eine Verhältnismäßigkeit der Mittel geachtet werden. Aber: Stehen dem Angegriffenen mehrere Verteidigungsmittel zur Verfügung, muss er das Ungefährlichste auswählen. Beispiel: Würde in der konkreten Situation ein Faustschlag ausreichen, um den Angriff abzuwehren, darf man nicht mit einem Messer zustechen. Sind zum Beispiel ein Pfefferspray oder eine Bratpfanne zur Hand, darf man nicht die Magnum Kal. 44 aus der Sockenschublade holen.

Andererseits muss der Angegriffene sich jedoch auch nicht auf Risiken einlassen und sich selbst in Gefahr bringen. Leider verrät das Gesetz nicht, wie man bei Nacht in einer dunklen Wohnung solche Fragen in Sekundenbruchteilen beantworten soll.

Wann ist eine Notwehr geboten?


Das Gesetz fordert auch, dass eine Notwehr geboten sein muss. Generell ist dies nicht der Fall, wenn zwischen dem vom sich Notwehrenden angegriffenen und dem von ihm geschützten Rechtsgut ein extremes Missverhältnis vorliegt. So ist zum Beispiel ein körperlicher Angriff im Rahmen der Notwehr nicht gerechtfertigt, nur weil man im Straßenverkehr von einem anderen Verkehrsteilnehmer beleidigt oder behindert wurde. Auch ist eine Notwehr mit einer tödlichen Waffe zur Verteidigung von geringwertigem Eigentum nicht geboten.

Ebenso ist eine Notwehr zum Beispiel nicht geboten, wenn man erkennen kann, dass der Angreifer ein Kind ist oder sich wegen eines hohen Alkoholpegels kaum noch auf den Beinen halten kann.

In unserem Artikelbild wäre die Notwehr mit dem Schwert durchaus geboten, da der Einbrecher bereits mit zum Schlag erhobenem Hammer in der Terrassentür steht.

Notwehr: Was ist ein gegenwärtiger Angriff?


Notwehr ist nur bei einem gegenwärtigen Angriff erlaubt. Gegenwärtig ist ein Angriff, der unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch in Gang ist.

Beispiel: Steht der Einbrecher wie im Bild oben schlagbereit mit dem Hammer in der Terrassentür, handelt es sich um einen unmittelbar bevorstehenden Angriff. Schlägt er zu, dauert der Angriff an. Aber: Hat er schon die Flucht angetreten und dreht der Hausbewohnerin den Rücken zu, ist der Angriff vorbei.

Das bedeutet: Einen bereits abgewehrten oder fliehenden Angreifer oder Einbrecher krankenhausreif zu prügeln, fällt nicht mehr unter Notwehr. Ebenso ist es nicht mehr von der Notwehr gedeckt, auf einen fliehenden Einbrecher zu schießen.

Notwehr, wenn einem fliehenden Einbrecher in den Rücken geschossen wird?


Im August 2023 hat der Bundesgerichtshof zur Notwehr gegen Einbrecher entschieden. Zwei Männer waren in ein verwahrlostes Haus eingebrochen, das sie für leerstehend hielten. Nur wohnte darin ein alkoholabhängiger Ex-Bundeswehrsoldat. Dieser lebte sozial isoliert in dem erheblich zugemüllten Haus, hatte aber Schusswaffen und Munition griffbereit. Er war nachts noch wach, da er gerade einen Alkoholentzug durchmachte. So überraschte er die Einbrecher, die sofort die Flucht ergriffen. Er verfolgte die Männer und schoss einen der beiden dreimal in den Rücken. Die Verletzungen waren tödlich.

Der BGH entschied, dass die Schüsse auf die Fliehenden zur Verteidigung nicht erforderlich gewesen seien. Es habe sich daher nicht um Notwehr gehandelt. Auch habe der Hausbewohner aus Wut und nicht zur Selbstverteidigung gehandelt. Psychisch sei seine Steuerungsfähigkeit stark eingeschränkt gewesen. Er wurde zu sechs Jahren Freiheitsstrafe wegen Totschlags verurteilt (Beschluss vom 15.8.2023, Az. 5 StR 324/23).

Welche Rechtsgüter sind durch das Notwehrrecht geschützt?


Immer wieder taucht eine berechtigte Frage auf: Ist Notwehr nur bei einem Angriff auf Leib und Leben erlaubt, oder auch bei einem Versuch, Wertsachen zu stehlen?

Das Notwehrrecht schützt alle individuellen Rechtsgüter - dazu gehören etwa persönliches Eigentum, körperliche Unversehrtheit, aber auch die Ehre. Bei letzterer wird es allerdings sehr schnell problematisch – schon wegen der Voraussetzung "gegenwärtiger Angriff." Eine Beleidigung ist nämlich in dem Moment vorbei und nicht mehr gegenwärtig, in dem man sie ausgesprochen hat.

Eine Notwehr zum Schutz allgemeiner Rechtsgüter ist nicht erlaubt. Das heißt: Man darf zum Beispiel kein fremdes Auto beschädigen, weil es an der Straße falsch parkt. Man darf auch keine Sabotage gegen ein Chemiewerk verüben, weil dieses die Umwelt verschmutzt.

Notwehr bei Schuss auf bereits fliehenden Einbrecher?


Im Oktober 2015 bestätigte der Bundesgerichtshof ein Urteil des Landgerichts Stade. Es ging dabei um einen Rentner, den fünf Jugendliche in seinem Haus überfallen, bedroht und ausgeraubt hatten. Als eine Alarmanlage losheulte, ergriffen die Täter die Flucht. Der Rentner griff sich eine versteckte scharfe Schusswaffe und schoss einem fliehenden 16-Jährigen in den Rücken.

Der Bundesgerichtshof verurteilte den Schützen in zweiter Instanz wegen Totschlags. Die Richter zweifelten an der Erforderlichkeit eines Schusses in den Oberkörper. Schließlich hätte der Rentner auch zuerst einen Warnschuss abgeben und dann in die Beine schießen können. Aus Sicht des Gerichts wäre ihm dies als erfahrenem Jäger zuzumuten gewesen.

Letztlich fehlte es hier jedoch dem BGH zufolge auch an dem für eine Notwehr erforderlichen "gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff" – weil die Täter schon auf der Flucht waren.

Allerdings berücksichtigten die Richter auch die Todesängste des Mannes. Daher wurde dieser zu einer vergleichsweise milden Strafe von neun Monaten auf Bewährung verurteilt, wegen Totschlags in einem minder schweren Fall (Urteil vom 27.10.2015, Az. 3 StR 199/15).

Notwehr bei Schuss auf Polizisten, der die Haustür aufbrechen will?


Freigesprochen wurde hingegen ein Mitglied der "Hells-Angels". Der Mann war morgens um sechs Uhr unsanft aufgewacht, weil seine nach sieben Einbrüchen schwer gesicherte Haustür mit roher Gewalt aufgebrochen wurde. Das Einschalten der Hausbeleuchtung und der Ruf "verpisst euch" vertrieben die Eindringlinge nicht. Nun ging der Hausbewohner davon aus, dass er es nicht mit normalen Einbrechern zu tun hatte, sondern mit Mitgliedern der verfeindeten Gang "Bandidos". Er ging von einem Anschlag auf sein Leben und das seiner anwesenden Verlobten aus. Daher eröffnete er das Feuer aus einer Waffe, die er legal besaß - und tötete einen Polizeibeamten, der die Haustür aufbrach, um mit Kollegen eine Hausdurchsuchung durchzuführen.

Die Beamten hatten sich erst als Polizisten zu erkennen gegeben, als es zu spät war. Sobald sie dies taten, legte der Rocker die Waffe sofort weg und ließ sich widerstandslos festnehmen (mit den Worten "warum habt ihr nicht geklingelt?").
Der Hausbewohner war hier irrtümlich davon ausgegangen, dass er eine tatsächlich erforderliche Notwehrhandlung vornahm. Sein Irrtum über die Situation sorgte vor Gericht dafür, dass er straffrei blieb. Der Bundesgerichtshof kritisierte im Urteil das Vorgehen der Polizei (Urteil vom 2.11.2011, Az. 2 StR 375/11).

Notwehr, wenn ein Polizist einer Frau die Nase bricht?


Einen Freispruch gab es auch für einen Polizisten. Dieser hatte einer Frau, die eine Einbahnstraße in der falschen Richtung befahren hatte, per Faustschlag die Nase gebrochen. Dazu kam es, weil die Frau den Polizisten von hinten an der Schulter anfasste, als dieser nach der Verwarnung wegen des Regelverstoßes wieder auf sein Motorrad steigen wollte. Zeugen sagten aus, dass die Frau sich "hysterisch" und eher kleinkindhaft verhalten habe.

Der Polizist gab an, dass er sich in einer verletzbaren und angreifbaren Lage befunden habe. Für ihn sei nicht absehbar gewesen, was die Frau als Nächstes tun würde. Darum habe er zugeschlagen. Das Amtsgericht Düsseldorf sprach den Beamten frei. In der konkreten Situation hätte er jederzeit mit der schweren Maschine umkippen können. Er habe in Notwehr gehandelt und die Frau habe sich falsch verhalten.

Ist die Sicherung des Obstgartens mit einer Selbstschussanlage Notwehr?


Nicht auf den Notwehrparagrafen sollte man sich verlassen, wenn man seinen Garten oder seine Obstbäume mit einer Selbstschussanlage mit scharfer Munition sichert. Der Grund: Was an Notwehr erlaubt ist, hängt sehr von der Einschätzung der konkreten Gefahr durch das sich wehrende Tatopfer selbst ab. Eine tödliche Falle aufzustellen, in die auch sonstwer hineinlaufen kann – vielleicht sogar die Nachbarskinder auf der Suche nach ihrem Ball – hat unter keinen Umständen mehr etwas mit Notwehr zu tun. Und ja, auch ein solcher Fall wurde vor vielen Jahren schon von einem deutschen Gericht entschieden.

Aktueller ist ein Urteil von 2018: Ein Rentner hatte den Zugang zu seinem Kleingarten mit einer selbstgebauten, versteckten Selbstschussanlage ausgestattet, um Wildschweine fernzuhalten. Ausgelöst wurde diese durch Stolperdrähte und gespannte Schnüre. Die Anlage schoss einen vorbeigehenden Spaziergänger mit Leuchtmunition ins Knie. Das Amtsgericht Saarbrücken sah auch hier keine Notwehr und verurteilte den Rentner wegen fahrlässiger Körperverletzung und strafbaren Umgangs mit Explosivstoffen zu einer Geldstrafe von 1.800 Euro. Nicht hilfreich war der Fund von Kriegsmunition in seiner Wohnung.

Was meint der Begriff Nothilfe?


Wenn die Notwehr zugunsten einer dritten Person ausgeübt wird, nennt man sie Nothilfe. Beispiel: Zwei Schläger treten einem am Boden Liegenden gegen den Kopf. Ein bis dahin nicht beteiligter Passant greift ein. So etwas fällt ebenfalls unter § 32 StGB und wird wie eine Notwehr behandelt.

Was ist ein Notwehrexzess?


Den Notwehrexzess beschreibt § 33 StGB. Ein solcher Fall liegt vor, wenn der Angegriffene die Grenzen der Notwehr aufgrund von Verwirrung, Furcht oder Schrecken überschreitet. Dann bleibt der Angegriffene straffrei.

Praxistipp zur Notwehr gegen Einbrecher


Die Polizei empfiehlt, bei einem Einbruch nach Möglichkeit nicht die Konfrontation mit dem Einbrecher zu suchen. Wenn bei einer Notwehraktion ein Angreifer oder Einbrecher zu Schaden gekommen ist, sollte man sich unbedingt von einem Fachanwalt für Strafrecht beraten lassen, bevor man eine Aussage bei der Polizei macht. Unbedachte Äußerungen können ganz erhebliche rechtliche Folgen haben.

(Ma)


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 Ulf Matzen
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