Wer haftet beim Reitunfall?

03.06.2021, Redaktion Anwalt-Suchservice
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Reitunfall,Reiten,Pferd,Sturz,Tierhalter Viele Reiter kennen die rechtliche Situation bei Reitunfällen nicht. © Rh - Anwalt-Suchservice

Beim Reiten kommt es immer wieder zu Verletzungen. Nicht selten gibt es auch Streit über die Haftung. Viele Reiter nutzen fremde Pferde, verletzten sich in der Reitschule oder ihr Pferd verletzt Unbeteiligte.

Reiten ist ein beliebter Sport. Die “Deutsche reiterliche Vereinigung” veröffentlichte eine Allensbach-Studie, nach der sich 2016 in Deutschland 3,89 Millionen Menschen als Reiter bezeichneten. 900.000 Menschen besaßen sogar ein eigenes Pferd. Aber: Beim Reiten finden auch immer wieder Unfälle statt. Dann richtet es sich nach den Umständen des jeweiligen Vorfalls, wer für die Folgen haftet. Viele Pferdehalter sind sich nicht über den Umfang ihrer Haftung als Tierhalter im Klaren. Auch über die Haftung von Reitschulen hat es bereits Gerichtsprozesse gegeben.

Wer haftet, wenn ich vom Pferd falle?


Wenn ein Reiter durch eigene Schuld vom eigenen Pferd fällt, hat er selbst die Folgen zu tragen. Im besten Fall treten seine Versicherungen für die Kosten der ärztlichen Behandlung oder des Krankenhausaufenthaltes ein.
Wird der Sturz aber zum Beispiel verursacht, weil das Pferd wegen eines laut hupenden Autos durchgeht oder vor einem unangeleinten fremden Hund scheut, liegt der Fall anders. Dann haftet der hupende Autofahrer oder der Halter des Hundes. Schließlich wäre es ohne die fremde Einwirkung nicht zu dem Sturz gekommen. Dann ist auch ein Anspruch auf Schmerzensgeld möglich. Aber: Ist das eigene Pferd durchgegangen oder hat gescheut, wird ein Gericht meist dem Reiter ein Mitverschulden an seiner eigenen Verletzung zurechnen. Es hängt dann von der Situation ab, wie hoch dieses ausfällt.

Was versteht man unter der Tierhalterhaftung?


Die Tierhalterhaftung hat ihre Grundlage in § 833 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB). Bei ihr handelt es sich um eine verschuldensunabhängige Haftung des Tierhalters für jegliche Schäden, die sein Tier anderen Leuten zufügt. Der Tierhalter haftet gleichermaßen für Personen- oder Sachschäden. Allerdings ist die Haftung gewissermaßen auf Fälle beschränkt, bei denen eine “typische Tiergefahr” den Schaden verursacht hat. Damit ist ein für die jeweilige Tierart typisches Verhalten gemeint. Dabei muss es sich um ein selbstständiges und unberechenbares Verhalten des Tieres gehandelt haben (Beispiel: Scheuen eines Pferdes).

Wenn das Tier allerdings der Leitung eines Menschen folgt, liegt der Fall anders. Kommt es also zu einem Reitunfall, während der Reiter das Pferd unter Kontrolle hat, greift die Tierhalterhaftung nicht. Daher wies zum Beispiel das Oberlandesgericht Hamm 2013 einen Anspruch aus Tierhalterhaftung ab. Damals war eine Reiterin beim Ausritt mit einem fremden Pferd gestürzt. Den genauen Unfallhergang konnte man wegen eines Gedächtnisverlustes durch Kopfverletzungen nicht mehr feststellen. Es gab damit keine Beweise für eine “typische Tiergefahr” (18.11.2012, Az. 9 U 162/11).

Wann gilt die Tierhalterhaftung nicht?


Die Vorschrift gewährt eine Ausnahme für Nutztiere, mit denen der Tierhalter seinen Lebensunterhalt verdient. Bei diesen haftet der Halter nicht. Allerdings muss er beweisen, dass er alle üblichen und erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen und Sorgfaltsregeln eingehalten hat. Beispiel: Ein Pferd bricht aus seiner Weide aus und rennt einen Radfahrer über den Haufen. Wenn nun das Pferd als Nutztier gilt, kann sich der Halter aus der Haftung befreien. Er muss nur nachweisen, dass die Weide in der üblichen Form eingezäunt war, dass das Pferd bisher nie besondere Ausbruchsneigungen gezeigt hat und dass das Gatter geschlossen war. Wenn aber das Pferd nicht als Nutztier gilt, haftet der Halter in jedem Fall – auch, wenn er gerade in Spanien in der Sonne lag.
Nutztiere können zum Beispiel die Pferde einer Reitschule oder auch Zuchtpferde sein. Pferde in privatem Eigentum werden jedoch meist als Luxustiere angesehen, die nicht unter die Ausnahme fallen.

Wann haftet der Pferdehalter für den Unfall einer Reitbeteiligung?


Nach dem Oberlandesgericht Nürnberg haftet ein Pferdeeigentümer auch für den Unfall einer Reitbeteiligung. In diesem Fall hatte eine Reiterin mit der Eigentümerin eines Pferdes eine Reitbeteiligung vereinbart. Dann war sie beim Reiten auf einer Koppel unglücklich vom Pferd gefallen und hatte eine Querschnittslähmung erlitten.

Die gesetzliche Krankenversicherung der Frau zahlte, verklagte aber die Eigentümerin des Pferdes. Die Regressforderung lag bei 103.000 Euro. Umstritten war hier, ob die Reitbeteiligung vielleicht selbst als Tierhalterin anzusehen war und deshalb keine Ansprüche geltend machen konnte. Das Gericht entschied jedoch, dass die Vereinbarung einer Reitbeteiligung nichts daran ändere, dass die Eigentümerin alleinige Tierhalterin sei.

Allein die Eigentümerin des Pferdes habe das Bestimmungsrecht über das Tier und bezahle das Futter und alle anderen Rechnungen. Die Frau mit der Reitbeteiligung habe nur ein geringes Entgelt für gelegentliche Ausritte gezahlt und gelegentlich den Stall ausgemistet. Das Gericht lehnte hier auch einen stillschweigenden Haftungsausschluss zwischen den Beteiligten ab. Zwar sei die Reitbeteiligung hier nicht in die von der Halterin abgeschlossene Versicherung einbezogen gewesen. Dies ändere jedoch nichts. Die Tierhalterin hafte nach § 833 BGB.

Der Reiterin wurde jedoch ein Mitverschulden von 50 Prozent angerechnet. Der Grund war laut Gericht, dass die näheren Umstände des Sturzes nicht mehr aufklärbar waren (OLG Nürnberg, 29.3.2017, Az. 4 U 1162/13).

Wer haftet, wenn ein Kaufinteressent beim Probereiten stürzt?


Ein Probereiten findet meist statt, bevor jemand ein Pferd kauft. Zwischen Pferd und Reiter muss nämlich “die Chemie stimmen”. Bei einem solchen Probereiten – immerhin schon dem dritten mit diesem Tier – stürzte eine Frau vom Pferd und verletzte sich. Sie erhob gegen den Eigentümer des Pferdes Klage auf Schmerzensgeld und Ersatz ihres Verdienstausfalls.

Der Pferdehalter verteidigte sich damit, dass sie sich ja im eigenen Interesse auf das Pferd gesetzt habe. Dies sei damit auch auf ihre eigene Gefahr geschehen. Trotzdem verurteilte das Landgericht Hildesheim den Pferdehalter zur Zahlung. Von der Tierhalterhaftung profitieren nach dem Urteil auch Reiter, die sich im eigenen Interesse auf ein fremdes Pferd setzen.

Wann haftet die Reitschule für den Unfall eines Reitschülers?


Allerdings wird bei Reitunfällen nicht immer aufgrund der Tierhalterhaftung gehaftet. Besonders bei Reitschulen ist die Haftungsgrundlage oft auch die Verletzung von Sorgfaltspflichten.

So müssen Veranstalter von Reitkursen nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Koblenz insbesondere bei Anfängern mit besonderer Sorgfalt vorgehen, um Unglücksfällen vorzubeugen. Kommt es dann doch zu einem Unfall, müssen sie die Erfüllung ihrer Pflichten vor Gericht beweisen.

Hier war nun eine Reiterin bei ihrer ersten Reitstunde vom Pferd gefallen, weil dieses plötzlich zu galoppieren anfing. Die Frau forderte Schadensersatz aufgrund ihrer schweren Verletzungen. Die Reitschule lehnte ab: Der Sturz sei die Schuld der Reiterin gewesen, da sie einen Reitfehler begangen habe. Aber: Das Gericht verurteilte die Reitschule zum Schadensersatz wegen einer Verletzung ihrer vertraglichen Sorgfaltspflicht. Aus Sicht des Gerichts war der Reitunfall die Folge unterlassener Schutzmaßnahmen gewesen.

Der Umfang der notwendigen Vorbeugemaßnahmen richte sich insbesondere nach der Art der Übung und dem Alter und der Erfahrenheit von Reitschüler und Pferd. Ein Reitlehrer habe seine Schüler immer über die einzuhaltenden Regeln und Schutzmaßnahmen zu informieren, so das Gericht. Er müsse sich auch stets vergewissern, dass die Teilnehmer auch alles verstünden und zur Umsetzung imstande seien. Wenn es sich um die erste Reitstunde eines Schülers handele, müsse der Veranstalter ihm ein friedliches Pferd zuweisen, das nicht zu temperamentvollen Gangwechseln neige. Um sicherzugehen, müsse man das Pferd zunächst an der Leine führen, damit Tier und Reiter sich aneinander gewöhnen könnten. Hier habe der Veranstalter und Pferdehalter jedoch alle diese Schritte vor Gericht entweder gar nicht erst dargelegt oder sie nicht nachweisen können (Az. 5 U 1708/05).

Wann lehnen die Gerichte eine Haftung der Reitschule ab?


Nach dem Oberlandesgericht Oldenburg haftet ein Reiterhof nicht für jeden Schaden, den Kinder im Verlauf ihrer Reiterferien erleiden (Az. 15 U 47/03). Hier war ein dreizehnjähriges Mädchen im Rahmen eines "freien" unbeaufsichtigten Reitens von einem gutmütigen Pony gestürzt. Dabei hatte sie sich lebensgefährliche Verletzungen zugezogen. Das Gericht wies jedoch die Schadensersatzklage ab. Es erläuterte, dass der Sturz auch mit einer Aufsichtsperson nicht zu verhindern gewesen wäre. Hier habe es sich um ein allgemeines Lebensrisiko gehandelt.

Fünfjährige fällt vom Pony: Keine Haftung


Auch die Inhaberin einer Reitschule musste nicht für den Unfall einer fünfjährigen Reitschülerin haften. Diese war während einer Reitstunde vom Pony gerutscht. Der Fall wurde vor dem Oberlandesgericht Hamm verhandelt (Az. 12 U 130/12). Eine Aushilfe der Reitschule hatte während des Unterrichts ein Pony mit einer ein bis zwei Meter langen Longe im Kreis geführt, bei dem eine Decke mit Haltegriff aufgelegt war. Die auf dem Pony reitenden Kinder sollten auf Kommando frei sitzend kurz in die Hände klatschen. Bei dieser Übung verlor das Mädchen das Gleichgewicht und rutschte vom Pony.

Das Kind zog sich schwere Verletzungen zu und verlangte dafür von der Inhaberin der Reitschule Schmerzensgeld. Begründet wurde dies mit der Verletzung einer Aufsichtspflicht. Das Oberlandesgericht war anderer Meinung: Die Inhaberin habe für die Reitstunde eine Aushilfe ausgewählt, die nach ihrem Alter, ihren Kenntnissen und Fähigkeiten in der Lage gewesen sei, die Reitstunde sachgerecht durchzuführen. Der Aushilfe sei kein Fehlverhalten vorzuwerfen.

Die Größe der Gruppe und die Dauer des Reitunterrichts hätten sich nicht auf das Unfallgeschehen ausgewirkt. Das Mädchen habe vorher schon auf einem Pferd gesessen und Reiterfahrung gehabt – sie sei schon im Trab und im Galopp geritten. Sie habe während der Reitstunde gut mitmachen können und es sei nicht zu erwarten gewesen, dass sie die Gleichgewichtsübung am Ende der Stunde nicht schaffen werde. Die Aushilfe habe versucht, den plötzlichen Sturz der jungen Reiterin abzufangen. Ihr könne nicht vorgeworfen werden, dass sie dies nicht geschafft habe.

Welche Versicherungen schützen gegen die Folgen von Reitunfällen?


Zu empfehlen ist eine Tierhalterhaftpflichtversicherung. Durch sie sind Schadensersatzforderungen aufgrund der angesprochenen Tierhalterhaftung abgedeckt. Auch gibt es besondere Reiterunfallversicherungen, die Unfälle des Reiters selbst bei jeder nicht beruflichen Beschäftigung mit dem Pferd abdecken. Möglich ist auch eine Pferdehalter-Rechtsschutzversicherung und nicht zuletzt eine Pferde-Krankenversicherung für das Pferd selbst.

Praxistipp


Nach einem Reitunfall ist sowohl für Geschädigte als auch für verantwortliche Tierhalter oder Unfallverursacher eine anwaltliche Beratung zu empfehlen. Manche Rechtsanwälte haben sich speziell auf den Bereich “Tierrecht” bzw. “Pferderecht” spezialisiert. Diese können am besten beurteilen, wie Ihre Erfolgschancen bei einer Klage auf Schadensersatz oder Schmerzensgeld stehen bzw. inwieweit Sie haften müssen.

(Bu)


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 Stephan Buch
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