Schadensersatz bei Arbeitsunfall – Asbestbelastung

Autor: RA FAArbR Axel Groeger, Redeker Sellner Dahs, Bonn
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 11/2013
Zwar wird ein Arbeitgeber bei einem Verstoß gegen Arbeitsschutzvorschriften meistens darauf hoffen, dass kein Unfall oder Schaden eintritt. Jedoch gibt es keinen allgemeinen Erfahrungssatz, dass ein Arbeitgeber, der vorsätzlich eine Arbeitsschutzvorschrift missachtet, eine Schädigung oder eine mögliche Berufskrankheit des Arbeitnehmers nicht billigend in Kauf nimmt. Es kommt vielmehr stets auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an.

BAG, Urt. v. 20.6.2013 - 8 AZR 471/12

Vorinstanz: LAG Sachsen-Anhalt - 3 Sa 313/11

ZPO § 286

Das Problem:

Die beklagte Stadt hatte den Kläger 1995 mehrere Monate bei der Sanierung eines asbestkontaminierten Gebäudes eingesetzt. Zuvor hatte sie ihn weder besonders über die Art und Weise der durchzuführenden Tätigkeiten aufgeklärt noch zum Tragen von Schutzbekleidung und Atemschutzgeräten angewiesen.

Der Kläger erfuhr anlässlich einer 2006 aufgetretenen Erkrankung, dass die damaligen Sanierungsarbeiten für ihn das Risiko einer Krebserkrankung erhöht haben und in Zukunft zum Ausbruch einer Krebserkrankung führen können. Er begehrte daraufhin die Feststellung, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche künftigen materiellen und immateriellen Schäden aufgrund der Anweisung, an asbestfaserhaltigen Bauteilen tätig zu werden, zu ersetzen.

Das BAG hatte in einem ersten Revisionsverfahren sowohl das Feststellungsinteresse nach § 256 ZPO als auch einen Anspruch aus § 618 Abs. 1 BGB grds. bejaht (BAG, Urt. v. 28.4.2011 – 8 AZR 769/09, ArbRB 2011, 296 [Range-Ditz], ArbRB online). Im zweiten Revisionsverfahren ging es im Hinblick auf das Haftungsprivileg des § 636 Abs. 1 Satz 1 RVO um die Frage des Vorsatzes.

Die Entscheidung des Gerichts:

Das Eingreifen des § 636 Abs. 1 Satz 1 RVO erfordert einen doppelten Vorsatz. Der Vorsatz des Handelnden muss sich
  • zum einen auf die Verletzungshandlung beziehen,
  • zum anderen aber auch den Verletzungserfolg umfassen.
Allein der Verstoß gegen zugunsten von Arbeitnehmern bestehende Schutzpflichten indiziert noch keinen Vorsatz bezüglich der Herbeiführung eines Arbeitsunfalls oder Schadens. Es verbietet sich, eine vorsätzliche Pflichtverletzung mit einer ungewollten Unfallfolge mit einem gewollten Arbeitsunfall oder einer gewollten Berufskrankheit gleichzusetzen (BAG, Urt. v. 28.4.2011 – 8 AZR 769/09, ArbRB 2011, 296 [Range-Ditz], ArbRB online).

Zwar hat der Senat entschieden, dass ein Arbeitgeber trotz eines Verstoßes gegen Arbeitsschutzvorschriften meistens nicht die Schädigung und den Arbeitsunfall des Arbeitnehmers selbst will, sondern darauf hoffen wird, es werde kein Unfall eintreten (BAG, Urt. v. 19.2.2009 – 8 AZR 188/08, ArbRB online). Diese Ausführungen sind jedoch nicht einer Verallgemeinerung im Sinne eines Erfahrungssatzes auf tatsächlichem Gebiet zugänglich. Stets kommt es vielmehr auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an, die die Tatsachengerichte festzustellen und zu würdigen haben.


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