Schäden durch Rüttelplatte – wer haftet bei Beschädigung des Nachbargebäudes durch Bauarbeiten?

21.04.2021, Redaktion Anwalt-Suchservice / Lesedauer ca. 3 Min. (16610 mal gelesen)
Risse im Haus,Bauarbeiten,Rüttelplatte,Nachbar,Tiefbau Schäden durch Bauarbeiten beim Nachbarn kommen oft vor. Wer haftet? © - freepik

Bauarbeiten am Nachbarhaus sind nicht nur lästig, sondern können auch zu Schäden am eigenen Gebäude führen. Haftet in einem solchen Fall der Nachbar oder das Bauunternehmen?

Bei vielen Bauarbeiten kommt es vor, dass durch Erschütterungen oder Abgraben des seitlichen Erdreiches das Nachbarhaus beschädigt wird. Oft berufen sich die Bauunternehmen dann darauf, dass sie alle gängigen Regeln der Technik eingehalten haben - oder, dass es schon Vorschäden gab. Wie stehen die Chancen auf Schadensersatz?

Wann muss das Bauunternehmen Schadensersatz leisten?


Ein Bauunternehmen hat zwar nur einen Vertrag mit dem Eigentümer des Hauses, an dem es baut. Aber: Trotzdem hat es auch Sorgfalts- und Obhutspflichten gegenüber den Nachbarn. Diese lassen sich aus dem Werkvertrag mit dem Auftraggeber ableiten. Man spricht dabei von einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter. Ein Schadensersatzanspruch setzt dann voraus, dass das Unternehmen nachweislich einen Fehler gemacht bzw. gegen die anerkannten Regeln der Technik verstoßen hat.

Fall: Rammarbeiten für Tiefgarage: Risse im Nachbarhaus


Das Oberlandesgericht Oldenburg gestand einem Paar Schadensersatz zu, dessen Einfamilienhaus Baujahr 1900 beim Bau einer Tiefgarage auf dem Nachbargrundstück beschädigt worden war. Dabei waren mit einer riesigen Ramme Stahlträger in acht Meter tiefe Löcher gerammt worden, die anschließend wieder herausgezogen wurden. Anschließend hatte das Nachbarhaus Risse in den Wänden.

Dem Gericht zufolge hatte das Bauunternehmen hier durch die Vibrationsarbeiten in unmittelbarer Nähe des Nachbarhauses seine Sorgfaltspflichten verletzt und die anerkannten Regeln der Technik nicht beachtet. Die Gefahr von Bodenversackungen sei offensichtlich gewesen, das Schadensbild sei für Rammarbeiten typisch. Der Unternehmer musste den gesamten geltend gemachten Schaden von 20.000 Euro ersetzen (Urteil vom 15.8.2017, Az. 12 U 61/16).

Fall: Schäden durch Rüttelplatte


Anders lief ein Fall vor dem Landgericht Coburg. Ein kommunales Bauunternehmen hatte 2008 Arbeiten an einer Straße durchgeführt, welche an das Hausgrundstück der Kläger angrenzte. Beim Verfüllen der Baugrube wurde eine Rüttelplatte eingesetzt. Die Kläger behaupteten, ihr Haus habe während der Arbeiten ständig vibriert und anschließend Risse und Schäden an der Verkleidung mit Klinkern aufgewiesen. Sie verlangten über 10.000 Euro Schadensersatz.

Das Unternehmen erklärte, dass es die Bauarbeiten nach den anerkannten Regeln der Technik ausgeführt habe. Das Haus der Kläger sei 60 Jahre alt und liege unmittelbar an einer stark befahrenen Staatsstraße. Deswegen seien die Schäden altersbedingt und könnten nicht durch die Bauarbeiten entstanden sein.

Tatsächlich stellte der gerichtlich beauftragte Sachverständige fest, dass die Schäden am Wohnhaus nicht auf die Erschütterungen aus der Tiefbaumaßnahme zurückzuführen waren. Vielmehr waren sie schon vor Beginn der Baumaßnahmen zumindest im Ansatz vorhanden. Die Klinkerschäden seien völlig untypisch für Vibrationen durch Rüttelplatten. Zwar konnte der Sachverständige eine Erweiterung von bereits vorhandenen Rissen nicht ausschließen, er fand aber auch keinerlei Nachweis dafür. Daher wies das Landgericht die Klage insgesamt ab (Urteil vom 5.4.2011, Az. 22 O 273/09).

Welche Auswirkungen haben Vorschäden?


Vorschäden führen nicht zwingend dazu, dass ein Anspruch ganz abgewiesen wird. Oft wird er auch nur anteilig herabgesetzt. So geschehen bei einem Berliner Gebäude mit Kriegsschäden. Der Schadensersatz für die Schäden durch benachbarte Bauarbeiten wurde wegen der Vorschäden um 15 Prozent reduziert (Kammergericht Berlin, Urteil vom 16.1.1997, Az. 12 U 5246/95).

Welche Ansprüche bestehen gegen den Nachbarn?


Gegen den Nachbarn kann unabhängig von einem Verschulden ein sogenannter nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 906 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) bestehen. Unter die "Zuführung unwägbarer Stoffe" fallen nämlich auch Erschütterungen. Dieser Anspruch entspricht im Betrag einem Schadensersatz.

In manchen Fällen kann es zu einer gesamtschuldnerischen Haftung von Nachbar und Bauunternehmen kommen. Dann wären beide dem Geschädigten zum Schadensersatz verpflichtet. Der Geschädigte kann sich prinzipiell dann aussuchen, von wem er Ersatz fordert.

Praxistipp


Bei Schäden durch nachbarliche Bauarbeiten sollten Sie die Chancen und Risiken eines Gerichtsverfahrens sorgfältig prüfen. Mit dem Einsatz von teuren Gutachtern ist zu rechnen. Lassen Sie sich vorzugsweise von einem Fachanwalt für Baurecht beraten.

(Ma)


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 Ulf Matzen
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