Schmerzensgeld bei gleichzeitiger Verletzung mehrerer Organe.

12.10.2015, Autor: Herr Hans-Berndt Ziegler / Lesedauer ca. 3 Min. (458 mal gelesen)
Patientenanwalt Dr. Hans-Berndt Ziegler berät Sie kompetent im Medizinrecht. Thema: Schmerzensgeld – können bei gleichzeitiger Verletzung mehrerer Organe,die dadurch verwirkten Beträge aus der Schmerzensgeldtabelle addiert werden?

OLG Saarbrücken, Beschluss vom 12.03.2015 – 4 U 187/13 
 

Der Arzthaftungsfall


Im Rahmen einer am 21.11.2011 bei der Patientin durchgeführten Koloskopie hat es der Proktologe unterlassen, nach Entdeckung und Abtragung eines Polypen den Enddarm im Blick zurück zu inspizieren. Dadurch hat er ein sich unmittelbar hinter dem Analring befindliches Rektumkarzinom übersehen. Dies konnte daraufhin insgesamt 16 Monate ungehindert sein Wachstum fortsetzen. In Folge Falschbehandlung kam es im weiteren Verlauf zu einer dramatischen Metastasierung und zahlreichen Folgeoperationen. Die Patientin muss aufgrund eines Kurzdarmsyndroms lebenslang künstlich ernährt werden und ist aufgrund der eingetretenen Störung aller Ausscheidungsvorgänge durch die künstlichen Blasen- und Darmausgänge (Urostoma beidseitig) nicht mehr in der Lage, am alltäglichen Leben außerhalb ihrer Wohnung teilzunehmen. Sie muss 80 % ihrer Zeit liegend verbringen und sich alle 2-3 Stunden einem Verbandswechsel unterziehen. Sie hat den Verlust von diversen Organen (Uterus, Harnblase, Rektum) zu beklagen. Nach der kompletten Exenteration wurde ein primärer Beckenbodenverschluss notwendig. 

Ein eingeholtes Schlichtungsgutachten vom 19.08.2014 als auch das Kommissionsgutachten vom 16.01.2015 haben das Vorliegen eines Behandlungsfehlers im Rahmen der streitgegenständlichen Koloskopie am 21.11.2011 bestätigt. Das entspricht der diesbezüglichen Rechtsprechung. Danach ist es grob fehlerhaft, einen Patienten monatelang auf Hämorrhoiden zu behandeln, ohne eine Rektoskopie zur Erkennung eines Rektumkarzinoms zu veranlassen (OLG Düsseldorf, VerSR 1979, 723). Eine Analblutung kann sowohl auf Hämorrhoiden als auch auf ein Darmkarzinom hinweisen. Dies verpflichtet den Arzt eine digitale Untersuchung oder eine Rektoskopie zum Ausschluss eines Rektumkarzinoms durchzuführen (Martis/Winkhart, 4. Auflage 2014, S. 769 Rz. D 89). Fraglich ist, wie die Höhe des Schmerzensgeldes zu bemessen ist. 

 Die in den einschlägigen Schmerzensgeldtabellen abgedruckten Entscheidungen entschädigen in der Regel den Verlust eines Organs. Unklar ist die Rechtslage im Arzthaftungsrecht, wenn der Patient, wegen des Kunstfehlers, den Verlust von mehreren Organen zu beklagen hat. Dürfen die insoweit für einzelne Organe ausgewiesenen Tabellenbeträge addiert werden und anschließend ein Abschlag gemacht werden (Asperationsprinzip, vgl. dazu Tröndle/Fischer, Strafgesetzbuch § 54 Rdnr. 6)? Rechtsprechung findet sich zu diesem Problem nur vereinzelt. Nach der Entscheidung des OLG Saarbrücken vom 12.03.2015 – 4 U 187/13 – können die Einzelbeträge einen Anhaltspunkt bieten, eine Addition findet jedoch nicht statt. Der geforderte Betrag ist in einer werdenden Gesamtschau aller Bemessungskriterien zu bilden.

 "Bei der Schmerzensgeldbemessung nach diesen Grundsätzen verbietet sich eine schematische, zergliedernde Herangehensweise. Einzelne Verletzungen bzw. Verletzungsfolgen dürfen nicht gesondert bewertet und die so ermittelten Beträge addiert werden. Vielmehr ist die Schmerzensgeldhöhe in einer wertenden Gesamtschau aller Bemessungskriterien des konkreten Falls zu ermitteln, wobei die in vergleichbaren Fällen zugesprochenen Schmerzensgelder einen gewissen Anhaltspunkt bieten können, ohne jedoch zwingend zu einer bestimmten „richtigen” Schmerzensgeldhöhe zu führen (Senat NJW 2011, 933, 935)."

 Anmerkung

Die Entscheidung des OLG Saarbrücken hilft nicht weiter, weil letztlich offen bleibt, wie der Schmerzensgeldbetrag bei Verletzungen oder Verlust  mehrerer Organe zu ermitteln ist. Da das Schmerzensgeld auch eine Genugtuungsfunktion hat, bei der das Verschulden des Schädigers zu berücksichtigen ist (Hacks/Wellner/Häcker, Schmerzensgeldbeträge 2015, S. 15; BGHZ 18, 149 (154 ff) kann zur Bemessung des Schmerzensgeldes auf die im Strafrecht geltenden Grundsätze der Strafzumessung zurückgegriffen werden. § 54 StGB regelt die Bildung der Gesamtstrafe. Nach § 54 Abs. 1 S. 2 StGB wird die Gesamtstrafe durch Erhöhung der verwirkten höchsten Strafe gebildet. Die Gesamtstrafe darf die Summe der Einzelstrafe nicht erreichen. Das bedeutet für die Ermittlung des Schmerzensgeldbetrages, dass der höchste Betrag bei Verlust mehrerer Organe zu ermitteln und dieser dann noch angemessen zu erhöhen ist. Dabei sind die Beträge für den Verlust der weiteren Organe zu berücksichtigen. Es darf aber im Höchstmaß die Summe der Einzelbeträge nicht erreicht werden.

Rechtsanwalt Dr. Hans-Berndt Ziegler,

Fachanwalt für Medizinrecht