Gelten Umkleidezeiten auch als Arbeitszeit?

29.09.2023, Redaktion Anwalt-Suchservice
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Uhr,Arbeitskleidung,Schuhe Werden Umkleidezeiten zur Arbeitszeit gezählt? © Ma - Anwalt-Suchservice
Das Wichtigste in Kürze

1. Rechtliche Grundlage: Umkleidezeiten können als Arbeitszeit gelten, wenn sie "fremdnützig" sind, d.h. nur dem Arbeitgeber zugutekommen. Das Landesarbeitsgericht Hamburg hat entschieden, dass auch ein Tarifvertrag dies nicht ändert, wenn das Umziehen aus arbeitsschutzrechtlichen Gründen erforderlich ist.

2. Beispiele aus der Praxis: Für OP-Krankenschwestern, die spezielle OP-Kleidung im Krankenhaus anlegen müssen, gelten Umkleidezeiten als Arbeitszeit, da dies sowohl der Hygiene als auch den Interessen des Arbeitgebers dient. Uniformierte Verkäufer müssen für ihre Umkleidezeit bezahlt werden, wenn die Kleidung auffällig ist und nicht außerhalb der Arbeit getragen werden kann.
Bei Fabrikarbeitern in gefährlichen Bereichen, die Schutzkleidung tragen müssen, gelten die Umkleidezeiten auch dann als Arbeitszeit, wenn ein Tarifvertrag dies ausschließt.

3. Fazit: Bei erforderlicher Schutzkleidung oder auffälliger Dienstkleidung, die der Arbeitgeber vorschreibt, müssen die Umkleidezeiten in der Regel bezahlt werden. Bei Unklarheiten oder Streitigkeiten sollte man sich von einem Fachanwalt für Arbeitsrecht beraten lassen.
Es gibt immer wieder Gerichtsverfahren um die Frage, ob Umkleidezeiten als Arbeitszeit vergütet werden müssen. Einige Gerichte haben entschieden, dass diese Zeiten als Arbeitszeit anzusehen sind, wenn sie fremdnützig sind. Das heißt: Das Umziehen darf nur dem Arbeitgeber nützen und nicht auch dem Arbeitnehmer selbst. Das Landesarbeitsgericht Hamburg hat entschieden, dass daran auch ein anderslautender Tarifvertrag nichts ändert, wenn das Umkleiden aus Gründen des Arbeitsschutzes notwendig ist.

Umkleidezeit = Arbeitszeit?


Wie so ein Fall ausgeht, hängt vor dem Arbeitsgericht stark von der Situation im Einzelfall ab. Es gibt Berufe, in denen eine Uniform dazu gehört oder eine bestimmte Kleidung üblich ist – zum Beispiel Polizisten, Feuerwehrleute oder Krankenschwestern. Natürlich kann es sich auch um Schutzkleidung handeln, die gesetzlich vorgeschrieben ist. Oder der Arbeitgeber möchte einfach nur, dass alle Mitarbeiter mit Kundenkontakt ein einheitliches Erscheinungsbild zeigen – beispielsweise in einem Schnellimbiss.

Wie wird die Umkleidezeit bei einer OP-Schwester gehandhabt?


Eine OP-Krankenschwester musste sich bei Arbeitsbeginn im Krankenhaus zuerst ihre normale Dienstkleidung anziehen und dann bei Betreten des OP-Bereiches noch die spezielle OP-Kleidung anlegen. Beide Ausstattungen durfte sie nicht mit nach Hause nehmen. Durch das Umziehen zwei Mal am Tag entstanden ihr jeweils 15 Minuten Umkleide- und innerbetriebliche Wegezeit. Nun stritt sie mit dem Arbeitgeber darüber, ob diese Zeit bezahlt werden musste.

Das Bundesarbeitsgericht entschied: Arbeit ist jede Tätigkeit, die der Erfüllung fremder Bedürfnisse – also der des Arbeitgebers – dient. Dazu gehöre auch das Umziehen, wenn der Arbeitgeber eine konkrete Berufskleidung vorschreibe und diese im Betrieb angelegt werden müsse. Hier sei dies der Fall. Das Umziehen diene außerdem der Hygiene im OP, die ebenfalls im Interesse des Arbeitgebers sei. Daher habe die Krankenschwester Anspruch auf Arbeitslohn für die Umkleidezeit und die dafür nötigen Wegstrecken im Krankenhaus. Sie kam jedoch mit der Pauschalierung auf 15 Minuten nicht durch: Dem Gericht zufolge ist die tatsächlich anfallende Arbeitszeit genau zu ermitteln (Urteil vom 19.9.2012, Az. 5 AZR 678/11).

Was gilt für uniformierte Verkäufer?


Eine Kette von Einrichtungshäusern wies das Verkaufspersonal an, einheitliche Kleidung zu tragen – blau und gelb mit großem Firmenlogo. Die Mitarbeiter sollten sich erst nach dem Umziehen ins Zeiterfassungssystem einstempeln. Das Bundesarbeitsgericht entschied: Umkleidezeiten sind Arbeitszeit, wenn das Umziehen einem fremden Bedürfnis dient. Aber: Das Umziehen gilt NICHT als Arbeitszeit, wenn die Beschäftigten ihre Dienstkleidung schon zu Hause anziehen können und wenn sie diese auf dem Arbeitsweg tragen können, ohne aufzufallen. Dies sei hier gerade nicht der Fall. Der Arbeitgeber musste daher die Umkleidezeiten bezahlen. Auch erinnerte das Gericht daran, dass nachträgliche Änderungen im Bereich "Arbeitszeit" dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrates unterliegen (Beschluss vom 10.11.2009, Az. 1 ABR 54/08).

Was gilt für Umkleidezeiten bei Fabrikarbeitern?


Vor dem Landesarbeitsgericht Hamburg kam der Fall eines Aluminiumwerkes mit Gießerei zur Verhandlung. Hier regelte ein Tarifvertrag, dass Dinge wie Waschen oder Umziehen keine Arbeitszeit sein sollten. Eine betriebsinterne Anweisung schrieb das Tragen von Schutzkleidung und zusätzlicher Schutzausrüstung zum Beispiel für den Bereich Instandhaltung vor. Dort arbeitete der Kläger. Dieser musste nach Ankunft im Betrieb jeweils in einem speziellen Umkleidebereich komplette Schutzkleidung anlegen (Hosen, Arbeitsjacke, Socken, Schuhe, Arbeitshandschuhe, Schutzbrille, Helm und Gehörschutz). Nach eigenen Angaben benötigte er für das Umziehen und den Weg zum Umkleideraum pro Schicht 30 Minuten.

Dem Gericht zufolge kann die Pflicht des Arbeitgebers, fremdnützige Umkleidezeiten zu bezahlen, nicht einmal per Tarifvertrag ausgehebelt werden. Dies gelte jedenfalls dann, wenn das Tragen von Schutzkleidung aus Gründen des Arbeitsschutzes geboten sei. Der Arbeitgeber sei zur Umsetzung der notwendigen Arbeitsschutzmaßnahmen verpflichtet. Dazu gehöre nicht nur das Bereitstellen von Schutzkleidung für gefährliche Bereiche, sondern auch, dass er den Mitarbeitern das An- und Ausziehen dieser Kleidung ermögliche.

Die anderslautende Regelung im Manteltarifvertrag Metall für das Tarifgebiet Hamburg und Umgebung, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Stand Oktober 2008 verstoße gegen § 3 Absatz 3 Arbeitsschutzgesetz und sei unwirksam. Auch hier musste der Arbeitgeber die Umkleidezeit bezahlen (Urteil vom 6.7.2015, Az. 8 Sa 53/14).

Update vom 29.9.2023: Auch Waschzeiten sind Arbeitszeit!


Das Landesarbeitsgericht Nürnberg befasste sich mit einem Fall, in dem es um Fahrer einer Spedition ging. Diese mussten vor der Arbeitsaufnahme in der Umkleide eine bestimmte Schutzkleidung anlegen, die vom Arbeitgeber gestellt wurde. Bei Arbeitsschluss hatten sie wiederum die Umkleide aufzusuchen, um dort die Schutzkleidung abzulegen, ihren Körper zu reinigen und die Schutzkleidung zum Waschen abzugeben. Allerdings wurde die Zeit des Umkleidens und Reinigens nicht in der Zeiterfassung berücksichtigt. Dagegen wandte sich ein Arbeitnehmer. Das Gericht stellte sich auf seine Seite: Sowohl die Umkleide- und Reinigungszeiten, als auch die dafür anfallenden innerbetrieblichen Wegezeiten seien Arbeitszeit und müssten damit bezahlt werden.

Das Gericht machte dies am Kriterium der Fremdnützigkeit fest. So seien nicht nur das Umkleiden und der Weg zur Umkleide auf Weisung und im Interesse des Arbeitgebers erfolgt, sondern auch das Waschen. Im konkreten Fall sei die Verschmutzung so erheblich, dass ein Wechsel in die Privatkleidung und eine Teilnahme am außerbetrieblichen Leben ohne Körperreinigung niemandem zumutbar sei. Daher sei die Körperreinigung ein notwendiger Betandteil der arbeitsvertraglich geschuldeten Arbeit und fremdnützig (LAG Nürnberg, Urteil vom 6.6.2023, Az. 7 Sa 275/22).

Krankenpfleger: Ist Umkleidezeit Arbeitszeit?


2017 ging es vor dem Bundesarbeitsgericht um einen Krankenpfleger. An dessen Arbeitsstelle gab es eine “Dienstvereinbarung über das Tragen von Dienst- und Schutzkleidung”. Diese verpflichtete alle Arbeitnehmer zum Tragen von weißer, nicht beschrifteter Dienstkleidung. Der Arbeitgeber stellte Umkleideräume und abschließbare Schränke zur Verfügung. Zum Umziehen brauchte der Krankenpfleger täglich durchschnittlich 12 Minuten, hinzu kamen die Wegezeiten zum Umkleideraum. Bezahlt wurde nichts davon: Das Krankenhaus meinte, dass die Arbeitnehmer sich doch auch zu Hause umziehen könnten.

Nach dem Gericht ist das An- und Ablegen besonders auffälliger Dienstkleidung allein im Interesse des Arbeitgebers. Der Arbeitnehmer habe kein Interesse daran, seine berufliche Tätigkeit der Öffentlichkeit mitzuteilen. Nur, wenn die Dienstkleidung so unauffällig sei, dass sie keine Schlüsse auf den Beruf erlaube, könne er diese auch zu Hause anziehen und dürfe keine Bezahlung der Umkleidezeiten erwarten.
Aber: Mit Kleidung, die man nur im Beruf tragen dürfe und an der dieser erkennbar sei, müsse man nicht in der Öffentlichkeit herumlaufen. Daher seien die Umkleidezeiten hier zu vergüten (Urteil vom 6.9.2017, Az. 5 AZR 382/16).

Wachpolizisten: Bezahlung der Umkleidezeiten nur mit Dienstschließfach


Das Bundesarbeitsgericht beschäftigte sich 2021 mit zwei Fällen von bei einem Bundesland angestellten Wachpolizisten, die im Objektschutz eingesetzt wurden. Diese mussten ihren Dienst mit Uniform, Dienstwaffe und weitere Ausrüstung antreten. Ob sie sich zu Hause oder in der Dienststelle umzogen, war ihnen freigestellt. Das Gericht entschied:
Auch bei besonders auffälliger Dienstkleidung sei das Umkleiden keine bezahlte Arbeitszeit, wenn der Arbeitnehmer sich freiwillig zu Hause umziehe und eine dienstlich verfügbare Aufbewahrungsmöglichkeit für Dienstkleidung (und Waffe) nicht nutze. Nutze er jedoch die Dienstschließfächer für die Kleidung und ziehe sich in der Dienststelle um, handle es sich um Arbeitszeit. Dann sei auch die Wegezeit innerhalb der Dienststelle zum dienstlichen Waffenschließfach zu vergüten (Urteil vom 31.3.2021, Az. 5 AZR 292/20, 5 AZR 148/20).

Praxistipp


Man kann zusammenfassen: Bei durch den Arbeitsschutz erforderlicher Schutzkleidung sind die Umkleidezeiten zu bezahlen. Ebenso ist es bei Kleidung, die der Arbeitgeber vorgibt und die so auffällig ist, dass man damit nicht draußen herumlaufen kann, ohne als Angehöriger eines bestimmten Berufes erkannt zu werden. Ausnahme: Man zieht sich freiwillig zu Hause um. Bei Streitigkeiten um die Berufskleidung empfiehlt sich eine Beratung durch einen Fachanwalt für Arbeitsrecht.

(Bu)


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 Stephan Buch
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