Verschweigen von alten Vorstrafen und Ermittlungsverfahren – Anfechtung

Autor: RA FAArbR Dr. Henning Hülbach, Rechtsanwälte Verweyen Lenz-Voß Boisserée, Köln, Lehrbeauftragter für Arbeitsrecht (FH Köln)
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 11/2014
Ein Arbeitnehmer ist auch auf Verlangen nicht verpflichtet, Angaben zu getilgten oder tilgungsreifen Vorstrafen sowie zu eingestellten Ermittlungsverfahren zu machen.

BAG, Urt. v. 20.3.2014 - 2 AZR 1071/12

Vorinstanz: LAG Köln - 5 Sa 389/12

BZRG §§ 41 Abs. 1 Nr. 1, 51 Abs. 1, 53 Abs. 2; BGB § 123 Abs. 1

Das Problem

Der Kläger bewarb sich Mitte Januar 2010 erfolgreich um eine Stelle im allgemeinen Vollzugsdienst des beklagten Landes. Im Rahmen der angeforderten formularmäßigen Unterlagen gab der Kläger an, er sei nicht vorbestraft; gegen ihn sei auch kein gerichtliches Strafverfahren und kein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft anhängig oder innerhalb der letzten drei Jahre anhängig gewesen. Wiederholt gab der Kläger ähnliche Erklärungen ab. Er bestätigte zudem, darüber belehrt worden zu sein, dass er alle noch nicht getilgten oder nicht tilgungsreifen strafgerichtlichen Verurteilungen anzugeben und nach § 53 Abs. 2 i.V.m. § 41 Abs. 1 Nr. 1 BZRG auch über die Verurteilungen Auskunft zu geben habe, die nicht in ein Führungszeugnis oder nur in ein solches für Behörden aufzunehmen seien.

Im Rahmen einer Sicherheitsüberprüfung nach § 9 SÜG NRW erfuhr der Beklagte von einer sechsmonatigen Jugendstrafe auf Bewährung aus dem Jahr 2003 wegen Körperverletzung und Betrug sowie von acht eingestellten Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts auf Körperverletzung, Diebstahl, Hausfriedensbruch, Betrug, Beleidigung und gefährliche Körperverletzung in den Jahren 2007 bis 2009. Das beklagte Land focht den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung an.

Die Entscheidung des Gerichts

Die hiergegen gerichtete Klage hatte in allen Instanzen Erfolg. Eine Anfechtung nach § 123 BGB scheide aus, da der Kläger nicht arglistig getäuscht habe. Die Voraussetzungen für eine Offenbarungspflicht von Vorstrafen und Ermittlungsverfahren hätten nicht vorgelegen.

Zwar dürften Arbeitgeber bei der Anbahnung von Arbeitsverhältnissen Informationen zu solchen Vorstrafen einholen, deren Kenntnis für die Art des zu besetzenden Arbeitsplatzes erforderlich sei. Dazu könnten im Einzelfall auch noch laufende Straf- oder Ermittlungsverfahren gehören. Dieses Fragerecht sei indessen durch das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Bewerbers, spezielle datenschutzrechtliche Bestimmungen sowie die Wertentscheidung des BZRG deutlich eingeschränkt.

Die Regelungen und Wertentscheidungen des BZRG stünden vorliegend einer Offenbarungspflicht entgegen. Die Ausnahme vom Schweigerecht aus § 53 Abs. 1 Nr. 1 BZRG in § 53 Abs. 2 BZRG beziehe sich gerade nicht auf tilgungsreife oder bereits getilgte Vorstrafen. Die Frist zur Tilgung der Jugendstrafe aus dem Jahre 2003 gem. § 46 Abs. 1 Nr. 1c BZRG von fünf Jahren sei aber zu Beginn des Bewerbungsverfahrens verstrichen gewesen. Selbst wenn ein generelles Fragerecht in Bezug auf sämtliche Verurteilungen bei Bewerbern für den Justizvollzugsdienst anerkennenswert sei, gelte dies jedenfalls nicht für tilgungsreife Verurteilungen.

Auch die Regelung und Wertung des § 51 Abs. 1 BZRG, die den Verurteilten vom Strafmakel befreien und seine Resozialisierung fördern solle, komme dem Kläger zugute. Soweit § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG wiederum eine Ausnahme bei einer sonst drohenden erheblichen Gefährdung der Allgemeinheit vorsehe, erweitere dies nicht die Auskunftspflichten des Betroffenen, sondern lediglich die Möglichkeit der Verwertung von in anderer Form gewonnenen Erkenntnissen. Die Wertentscheidung des BZRG in Bezug auf die fehlende Pflicht zur Offenbarung tilgungsreifer Vorstrafen gelte erst recht für die Frage nach eingestellten strafrechtlichen Ermittlungsverfahren.


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