Wildschaden / Wildunfall: Haftung und Beweislast bei Teilkasko und Vollkasko

27.10.2021, Redaktion Anwalt-Suchservice / Lesedauer ca. 6 Min. (7150 mal gelesen)
Schild,Wildwechsel Wer haftet nach dem Unfall mit einem Wildtier? © Bu - Anwalt-Suchservice

Jedes Jahr wieder finden in Deutschland tausende Verkehrsunfälle mit Wildschweinen, Rehen und anderen Wildtieren statt. Was muss man nach einem Wildunfall beachten und wer bezahlt den Schaden?

Im Jahr 2020 registrierten die deutschen Versicherungen 272.000 Wildunfälle. Dies ist zwar ein Rückgang um 23.000 gegenüber dem Vorjahr, man muss aber bedenken, dass das Verkehrsaufkommen infolge von Corona auch deutlich geringer war. Zu den meisten Wildunfällen kommt es zwischen April und Mai sowie zwischen Oktober und Dezember. Im Frühjahr ist die Gefahr durch Wildschweine mit Frischlingen besonders hoch, im Herbst sorgen eher Hirsche in der Brunftzeit für Unfälle. Die Folgen können für Auto- und besonders auch für Motorradfahrer lebensgefährlich sein. Die meisten Verkehrsteilnehmer machen sich jedoch wenig Gedanken darüber, was bei einem Wildunfall zu tun ist – bis es dann passiert. Hier haben wir mehrere Tipps zum richtigen Verhalten nach einem Wildunfall und zur Schadensabwicklung mit der Versicherung zusammengestellt.

Wo droht Gefahr durch Wild?


Bekannte Wildwechsel sind oft ausgeschildert. Eine solche Beschilderung bedeutet oft, dass es an dieser Stelle schon mehrfach zu Wildunfällen gekommen ist. Es besteht jedoch auch an nicht gekennzeichneten Stellen immer die Gefahr, dass Wildtiere Straßen überqueren. Besonders gefährlich sind Straßen, die durch Wälder führen sowie Alleen durch Feld- und Wiesengebiete. Speziell bei schlechten Sichtverhältnissen sollte man hier auf eine angepasste Geschwindigkeit und eine vorausschauende Fahrweise achten.

Wie verhält man sich nach einem Wildunfall?


Nach einem Unfall mit einem Wildtier gilt zunächst wie bei jedem anderen Unfall: Nicht einfach weiterfahren. Denn:

- Wenn der Wildunfall nicht vorschriftsmäßig aufgenommen wird, ist der Versicherungsschutz gefährdet. Versicherungen fordern Belege für einen Wildunfall.
- Wer ein Wirbeltier ohne vernünftigen Grund tötet oder ihm länger andauernde Schmerzen zufügt, macht sich nach § 17 Tierschutzgesetz strafbar. Eine solche Strafbarkeit ist möglich, wenn man beispielsweise ein verletztes Tier nicht waidgerecht selbst tötet oder es verletzt am Straßenrand zurücklässt.
- Ein totes Tier kann eine Gefahr für andere Verkehrsteilnehmer darstellen.

Das richtige Verhalten:
- Halten Sie an.
- Sichern Sie die Unfallstelle.
- Verständigen Sie die Polizei.
- Warten Sie am Unfallort.

Die Polizei wird dann den Wildunfall aufnehmen und den zuständigen Jäger oder Jagdpächter benachrichtigen, der dann für das tote oder verletzte Tier zuständig ist.
Vom eigenen Umgang mit verletzten Tieren ist abzuraten. Diese können in Schmerz oder Panik ausschlagen oder beißen und den Menschen verletzen.

Ist ein Tier nach einem Unfall verletzt geflüchtet, sollte man ebenfalls den Vorfall melden. Der zuständige Jäger kann es dann suchen, feststellen, wie schwer es verletzt ist, und ihm, wenn nötig, den Gnadenschuss geben.

Ist man verpflichtet, den Wildunfall zu melden?


In allen Bundesländern mit Ausnahme von Berlin, Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen besteht eine gesetzliche Meldepflicht für Wildunfälle. Geregelt ist diese in den Landesjagdgesetzen. Dort ist es also eine bußgeldpflichtige Ordungswidrigkeit, einen Wildunfall nicht zu melden.

Wildgulasch a la rue - Achtung: strafbare Wilderei


Mancher denkt bei Wildtieren eher an den Sonntagsbraten. Aber: Es ist weder erlaubt noch ratsam, ein verunfalltes Tier in den Kofferraum zu packen und zu Hause als Abendessen auf den Tisch zu bringen. Ein Grund dafür ist, dass Wildtiere durchaus auf den Menschen übertragbare Krankheiten haben können, wie etwa Tollwut, Hepatitis E, Brucellose, Tularämie.

Obendrein würde man sich wegen Wilderei strafbar machen. Nach § 292 des Strafgesetzesbuches (StGB) liegt eine Jagdwilderei vor, wenn sich jemand eine Sache aneignet, die dem Jagdrecht unterliegt. Nimmt man ein totes Tier einfach mit nach Hause, das zum Jagdwild gehört, ist dieser Tatbestand erfüllt. Es spielt keine Rolle, ob das Tier nun erschossen oder bei einem Unfall getötet wurde. Bestraft wird Wilderei mit einer Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe. Zusätzlich ist in mehreren Bundesländern das Mitnehmen von verunfallten toten Wildtieren auch noch durch das jeweilige Landesjagdgesetz verboten.

Muss der Jagdpächter Schadensersatz leisten?


Es gibt ein hartnäckiges Gerücht, dem zufolge der zuständige Jagdpächter für einen Unfallschaden durch Wild aufkommen muss. Dies stimmt jedoch nicht. Eine Ausnahme gibt es jedoch: Der Jagdpächter haftet für Schäden, zu denen es kommt, weil er selbst eine Treibjagd quer über eine Bundesstraße veranstaltet hat, ohne die nötigen Sicherungsvorkehrungen zu treffen.
Der Jagdpächter kann umgekehrt auch keinen Schadensersatz von einem Autofahrer fordern, weil dieser ein Wildtier überfahren hat. Er kann ebenfalls keine Gebühren für die Beseitigung des Tierkörpers fordern.

Muss man nach einem Wildunfall die Straßenreinigung zahlen?


Das niedersächsische Oberverwaltungsgericht hat in drei Fällen entschieden, dass Autofahrer nach einem Wildunfall nicht die Entsorgung des toten Tiers durch eine Fachfirma bezahlen müssen. Die Klage ging von einer Straßenverkehrsbehörde aus, die den Autofahrern je knapp 400 Euro berechnet hatte.
Das Gericht erläuterte, dass es sich bei einem toten Wildtier nicht um eine Verunreinigung der Straße im Sinne der entsprechenden Landesgesetze handele. Obendrein könne man von einer Person, die selbst nicht zur Reinigung von Straßen verpflichtet sei, auch keine Straßenreinigungskosten verlangen (Urteile vom 20.11.2017, Az. 7 LC 34/17, 7 LC 35/17 und 7 LC 37/17).

Welche Versicherung zahlt den entstandenen Schaden?


Wenn keine anderen menschlichen Verkehrsteilnehmer zu Schaden gekommen sind, hat die Haftpflichtversicherung mit dem Vorfall nichts zu tun.
In der Regel trägt die Kaskoversicherung Wildschäden am eigenen Auto – sofern man eine hat. Als Wildunfälle gelten für die Versicherungen Kollisionen mit Haarwild, also mit Rehen, Hirschen, Wildschweinen, Hasen, Füchsen oder Gämsen. Unfallschäden sind in diesem Fall meist durch die Teilkasko abgedeckt. Aber: Als zusätzliche Voraussetzung muss es sich auch um Jagdwild handeln. Dies bestätigte auch das Landgericht Coburg: Nach dem Urteil muss die Teilkaskoversicherung nicht für eine Kollision mit einem Eichhörnchen zahlen (Az. 23 O 256/09).

Durch eine Vollkaskoversicherung sind oft zusätzliche Tierarten abgedeckt. Mehrere Versicherungsgesellschaften haben ihren Versicherungsschutz auch in der Teilkaskoversicherung auf weitere Tiere ausgedehnt. Dies betrifft zum Beispiel manche Nutztiere wie Rinder, Pferde und Ziegen. Näheres verrät Ihnen Ihre Versicherungspolice.
Übrigens: Eine Kaskoversicherung zahlt den Schaden nur, wenn das Auto beim Unfall in Bewegung war - also nicht, wenn es beim Parken von einem Elch attackiert wurde.

Unterschiede zwischen Teilkasko und Vollkasko


Bei der Teilkasko muss der Versicherte beweisen, dass es sich um einen Wildunfall gehandelt hat. Versicherungsschutz gibt es also nur mit einer entsprechenden Bestätigung der Polizei oder des Jagdpächters. Empfehlenswert sind weitere Beweise wie Fotos. Sachverständige können anhand von Haar- und Blutresten am Fahrzeug feststellen, um welche Tierart es sich gehandelt hat.

Bei einer Vollkaskoversicherung gilt: Glaubt die Versicherung nicht an einen Wildschaden, weil zum Beispiel keine Blut- und Haarreste von Wild am Auto gefunden wurden, muss sie nicht zahlen, wenn der Kunde eine "Aufklärungsobliegenheit" verletzt hat (indem er gelogen hat). Der Versicherer muss dazu jedoch eindeutig beweisen, dass es kein Wildunfall war. Wenn sich dies nicht beweisen lässt, muss die Vollkasko leisten (Oberlandesgericht Hamm, Urteil vom 20.2.2008, Az. 20 U 134/07).

Für Verkehrsteilnehmer ist bei Wildunfällen immer eine Beweissicherung zu empfehlen: Im Fall des OLG Hamm war der Schaden fünfstellig.

Noch ein Unterschied zwischen beiden Versicherungsarten ist: Bei einer Vollkasko muss man im Rahmen der Schadensabwicklung mit einem Verlust des Schadenfreiheitsrabattes rechnen. In der Teilkaskoversicherung gilt dies nicht, da es dort keinen gibt.

Was muss man zu Ausweichunfällen wissen?


Gelegentlich landet ein Auto im Straßengraben, obwohl es gar keinen direkten Kontakt zwischen Auto und Wildtier gegeben hat. Dies kommt insbesondere dann vor, wenn der Fahrer - vielleicht ganz instinktiv - versucht hat, auszuweichen. Natürlich ist dann ein Wildunfall schwer nachzuweisen. Oft zahlt die Teilkasko dann nicht.

Aber: Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Saarbrücken hat jedoch auch die Teilkasko grundsätzlich zu zahlen. Voraussetzung: Die Ausweich-Reaktion des Fahrers ist nicht reflexartig erfolgt und war der Größe des Tieres angemessen. Denn: Je größer das Tier ist, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit für erhebliche Verletzungen der Fahrzeuginsassen. Desto eher ist also Ausweichen angesagt, selbst wenn das Auto im Graben landet. Ist die Größe des Tieres nicht mehr feststellbar, verringert sich die Kostentragung des Versicherers dem Urteil zufolge auf 50 Prozent (Urteil vom 26.1.2011, Az. 5 U 356/10). Nur sollte man beim Ausweichen keine Bäume rammen - hier ist die Wahrscheinlichkeit für schwere Verletzungen noch größer.

Was gilt beim Ausweichen wegen Kleintieren?


Viele Versicherer verweigern bei Ausweichunfällen mit Kleintieren die Zahlung, weil hier das Schadensrisiko beim Überfahren geringer ist als beim Ausweichen. Sie berufen sich dann auf grobe Fahrlässigkeit. Aber Vorsicht: Dies gilt nur außerhalb geschlossener Ortschaften. Auch gibt es durchaus Gerichtsurteile, die zum Beispiel das Ausweichen vor einem Fuchs nicht als grob fahrlässig betrachten, sodass die Versicherung zahlen muss (Bundesgerichtshof, Urteil vom 11.7.2007, Az. XII ZR 197/05). Das höchste deutsche Zivilgericht sah hier das Ausweichen als ganz natürliche Reaktion des Autofahrers an.

Praxistipp


Besonders in der dunklen Jahreszeit sollte man auf Wildtiere achten. Gerade in ländlichen Gegenden empfiehlt es sich dann, vorsichtig zu fahren. Wenn es dann doch zu einem Wildunfall gekommen ist und die Kaskoversicherung nicht zahlt, sollte man sich von einem Fachanwalt für Verkehrsrecht beraten lassen.

(Bu)


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 Stephan Buch
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