Wirksamkeit von Allgemeinen Geschäftsbedingungen

28.06.2013, Autor: Herr Erik Hauk / Lesedauer ca. 4 Min. (594 mal gelesen)
A hat bei B eine Küche gekauft. In Streit stehen die gegenseitigen Pflichten aus dem Vertrag, der den Erwerb und den Einbau einer Küche zum Gegenstand hat. Bestandteil des Vertrages sind die „Teileliste“ und vier „Installationspläne“. Der Vertrag sieht eine Anzahlung vor, die A erbracht hat, und bestimmt im vorgedruckten Vertragsformular:
„Restzahlung…vorab per Überweisung oder bar bei Lieferung“.
Zudem ist in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen von B, die dem Vertrag beigefügt waren, bestimmt:
„Der Kaufpreis ist spätestens bei Anlieferung der Kaufgegenstände ohne Abzug zu bezahlen“.
Die Küche wurde geliefert und eingebaut, jedoch erfolgte der Einbau nicht vollständig fachgerecht. B listete die Mängel und erforderlichen Nacharbeiten auf und sicherte umgehende Abhilfe zu, sobald alle benötigten Teile geliefert worden seien. In der Folgezeit kam es zu mehreren Terminen, bei denen die Küche wiederholt ausgemessen wurde. Zu einer Beseitigung der Mängel kam es nicht.
A kann von B Schadensersatz statt der Leistung gemäß §§ 280 Abs. 1 und 3, 281 BGB verlangen. §§ 281 Abs. 1, 280 Abs. 3 BGB setzen voraus, dass dem Gläubiger ein Anspruch aus dem Schuldverhältnis zusteht, der nicht durch eine dauernde oder aufschiebende Einrede gehemmt und fällig ist. B beruft sich auf die Einrede des nicht erfüllten Vertrages. B hält sich nicht zur Mängelbeseitigung für verpflichtet, solange die vereinbarte Vergütung nicht bezahlt ist. Die Voraussetzungen des § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB und des § 320 Abs. 2 BGB liegen allerdings nicht vor. B stand außerdem kein Leistungsverweigerungsrecht nach § 321 Abs. 1 Satz 1 BGB zu. Nach § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB kann im Rahmen eines gegenseitigen Vertrages jede Vertragspartei ihre Leistung bis zum Bewirken der Gegenleistung verweigern, wenn sie nicht zur Vorleistung verpflichtet ist. Im Werkvertragsrecht, das im vorliegenden Fall anwendbar ist, ergibt sich eine Vorleistungspflicht des Unternehmers aus § 641 Abs. 1 Satz 1 BGB. Danach entsteht der Werklohnanspruch erst mit der Abnahme des Werkes. Im Kaufrecht kann der Verkäufer den Kaufpreis Zug um Zug gegen Lieferung und ggf. wie hier Montage (§ 434 Abs. 2 BGB) einer mangelfreien Sache (§ 434 Abs. 1 BGB) verlangen. Der Unternehmer bzw. Verkäufer darf danach eine Mängelbeseitigung nicht von der vorherigen vollständigen Bezahlung der Vergütung abhängig machen, wenn er diese nicht wirksam mit dem Besteller bzw. Käufer vereinbart hat. A und B haben durch die Einbeziehung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen von B und durch die nachträgliche Vereinbarung abweichende Regelungen getroffen, die A die Verpflichtung auferlegten, zumindest den wesentlichen Teil des Kaufpreises bzw. des Werklohnes spätestens bei Lieferung zu zahlen. B stand die einrede des § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB gleichwohl nicht zu. Die Vereinbarungen haben die gesetzliche Regelung nicht wirksam abbedungen. Sie halten als Allgemeine Geschäftsbedingungen von B einer Wirksamkeitskontrolle nicht stand. Nach der „Zahlungsvereinbarung“ im vorgedruckten Vertragsformular sowie der Regelung in den AGB war A verpflichtet, spätestens bei Anlieferung der Küche den „Komplettpreis“ bzw. den „Kaufpreis“ zu entrichten. Diese Regelungen sind nach § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 BGB unwirksam, weil sie mit wesentlichen Grundgedanken des Gesetzes nicht zu vereinbaren sind und für diese Art der Abweichung unter Berücksichtigung der Interessen von A kein sachlicher Grund besteht. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind nicht mit § 641 Abs. 1 Satz 1 BGB zu vereinbaren. § 641 Abs. 1 Satz 1 BGB kommt Leitbildfunktion zu. Die Regelung ist Ausdruck eines formularmäßig nicht abänderbaren Gerechtigkeitsgebots. Der Besteller soll grundsätzlich erst zur Zahlung verpflichtet sein, wenn das Werk vollständig hergestellt ist. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen sind zudem nicht mit § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB vereinbar. Dieser Regelung kommt ebenfalls Leitbildfunktion zu. Die Vereinbarung der vollständigen Zahlung, bevor der Verkäufer mit der von ihm geschuldeten Montage als Hauptleistungspflicht begonnen hat, führt zu einer Vorleistungspflicht des Käufers, die mit der synallagmatischen Verknüpfung der kaufrechtlichen Hauptleistungspflichten nicht zu vereinbaren ist. Der Verstoß der Allgemeinen Geschäftsbedingungen gegen das gesetzliche Leitbild führt im Zweifel zu deren Unwirksamkeit. Etwas Anderes gilt nur, wenn die Leitbildabweichung sachlich gerechtfertigt ist und der gesetzliche Schutzzweck auf andere Weise sichergestellt wird. B mag ein sachliches Interesse daran haben, in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen von § 641 Abs. 1 Satz 1 BGB und § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB abweichende Regelungen zu vereinbaren, um den ihr zustehenden Anspruch auf Zahlung der Vergütung vor dem Einbau der gelieferten Möbel abzusichern. Die Klauseln in den AGB sind gleichwohl unwirksam, weil B die berechtigten Interessen ihrer Kunden in keiner Weise berücksichtigt hat. Der Schutz des § 641 Abs. 1 Satz 1 BGB und des § 320 Abs. 1 Satz 1 BGB entfällt ersatzlos und ohne Kompensation. Die Kunden werden verpflichtet, vor dem Einbau der anzuliefernden Gegenstände die volle Vergütung zu bezahlen. Sie verlieren auf diese Weise jedes Druckmittel, falls der Einbau mangelhaft ist. Das ist eine unangemessene Benachteiligung des Kunden, mit der B ihre Absichten einseitig durchsetzt und nicht für einen sachgerechten Interessenausgleich Sorge getragen hat. Eine Allgemeine Geschäftsbedingung verliert ihren Charakter als nach §§ 305 ff. BGB der Inhaltskontrolle unterliegender Klausel nicht allein dadurch, dass sie von den Parteien nachträglich geändert wird. Vielmehr muss die nachträgliche Änderung in einer Weise erfolgen, die es rechtfertigt, sie wie eine von vornherein getroffene Individualvereinbarung zu behandeln. Das ist nicht der Fall, wenn der Verwender auch nach Vertragsschluss dem Vertragspartner keine Gestaltungsfreiheit einräumt und den gesetzesfremden Kerngehalt der Klausel nicht zur Disposition gestellt hat und die Parteien auf dieser Grundlage eine Einigung finden, mit der die nachteilige Wirkung der Klausel lediglich abgeschwächt wird. Denn in diesem Fall wirkt die zum Nachteil des Vertragspartners unangemessen ausgeübte Gestaltungsmacht des Verwenders fort. Hat der Verwender in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen in unangemessener Weise eine Vorleistungspflicht des Kunden vorgesehen, besteht er auf die Bitte des Kunden, diese zu ändern, darauf, dass dieser vorzuleisten hat, und ist er lediglich bereit, den Umfang der Vorleistungspflicht zu reduzieren, so wirkt die unwirksame Vereinbarung der Vorleistungspflicht jedenfalls dann fort, wenn weiterhin eine unangemessene Vorleistung gefordert wird.
Quelle: BGH, Urteil vom 7. März 2013, Az.: VII ZR 162/12