Zur Zulässigkeit einer nicht mehr aktuellen Verdachtsberichterstattung im Online-Archiv einer Tageszeitung

Autor: Rechtsanwalt Prof. Dr. Elmar Schuhmacher, Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht LLS Lungerich Lenz Schuhmacher, Köln
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 06/2016
Die Frage, ob im Online-Archiv einer Tageszeitung Altmeldungen zum Abruf bereitgehalten werden dürfen, in denen über den Verdacht einer Straftat im Zusammenhang mit einem später – nach § 170 II StPO – eingestellten Ermittlungsverfahren berichtet und in denen der Beschuldigte – durch Namen und/oder Bild – identifizierbar bezeichnet wird, ist aufgrund einer umfassenden Abwägung des Persönlichkeitsrechts des Beschuldigten mit dem Recht der Presse auf Meinungs- und Medienfreiheit zu beantworten. Im Rahmen einer solchen Abwägung ist es von erheblicher Bedeutung, ob die Verdachtsberichterstattung ursprünglich zulässig war. Ist dies nicht der Fall, ist das Bereithalten der Beiträge zum Abruf in einem Online-Archiv grundsätzlich unzulässig, soweit der Beschuldigte weiterhin identifizierbar bezeichnet bzw. dargestellt ist.

BGH, Urt. v. 16.2.2016 - VI ZR 367/15

Vorinstanz: OLG Köln, Urt. v. 12.5.2015 - 15 U 13/15
Vorinstanz: LG Köln, Urt. v. 17.12.2014 - 28 O 220/14

GG Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1, 5 Abs. 1; BGB §§ 823 Abs. 1, 1004 Abs. 1 analog; KUG §§ 22, 23

Das Problem

In ihrem Internetportal hält eine Zeitung mehrere Artikel bereit, in denen unter namentlicher Nennung über das Ermittlungsverfahren gegen einen Fußballprofi wegen des Verdachts des sexuellen Missbrauchs widerstandsunfähiger Personen berichtet wird. Die meisten Artikel sind auch mit Fotos des Sportlers versehen. Das Verfahren wird gem. § 170 Abs. 2 StPO eingestellt, worüber die Zeitung in den letzten Artikeln ebenfalls berichtet. Die vorausgegangenen Artikel versieht sie sodann mit einem Hinweis darauf, dass es sich um eine Archivberichterstattung handelt und das Ermittlungsverfahren eingestellt worden sei. Der Fußballprofi verlangt, alle das Ermittlungsverfahren betreffende Artikel aus dem Onlineportal zu löschen. Nach vorausgegangener Abmahnung, der die Zeitung nicht Folge leistet, und entsprechender Klage verurteilt das LG die Zeitung dazu, die Beiträge online zum Abruf bereitzuhalten, soweit darin in identifizierbarer Weise durch namentliche Nennung und/oder Bildnisveröffentlichung über den Sportler berichtet wird. Auf die Berufung der Zeitung ändert das OLG das erstinstanzliche Urteil und weist die Klage ab. Mit der vom OLG zugelassenen Revision verfolgt der Fußballprofi seinen Antrag auf Zurückweisung der Berufung weiter.

Die Entscheidung des Gerichts

Der BGH hebt das Urteil des OLG auf und verweist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück.

Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht: Ein solcher ergebe sich hier trotz der Hinweise auf die Einstellung des Verfahrens insoweit, als dennoch die Gefahr bestehe, dass die Öffentlichkeit die bloße Einleitung eines Ermittlungsverfahrens mit einem Nachweis der Schuld gleichsetze und trotz der späteren Einstellung vom Schuldvorwurf „etwas hängenbleibt”.

Abwägung: Dieser Eingriff sei aber nur dann rechtswidrig, wenn das Schutzinteresse des Betroffenen die schutzwürdigen Belange der anderen Seite überwiege. Insoweit sei daher das Recht auf Schutz der Persönlichkeit und Achtung des Privatlebens aus Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK gegen das in Art. 5 Abs. 1 GG, Art. 10 EMRK verankerte Recht auf Meinungs- und Medienfreiheit abzuwägen. Erhebliche Bedeutung habe dabei, ob die Tatsachenbehauptungen in den Beiträgen im Zeitpunkt ihrer erstmaligen Veröffentlichung zulässig waren, was sich vorliegend nach den Voraussetzungen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung beurteile. Seien die Wortberichte ursprünglich unzulässig gewesen, sei grundsätzlich davon auszugehen, dass ihr Bereithalten im Online-Archiv unzulässig sei, soweit sie den Betroffenen weiterhin identifizieren.

Verdachtsberichterstattung: Erforderlich sei für deren Zulässigkeit ein Mindestbestand an Beweistatsachen, die für den Wahrheitsgehalt der Information sprechen und ihr damit erst „Öffentlichkeitswert” verleihen. Die Darstellung dürfe ferner keine Vorverurteilung des Betroffenen enthalten; sie darf also nicht durch eine präjudizierende Darstellung den unzutreffenden Eindruck erwecken, der Betroffene sei der ihm vorgeworfenen Handlung bereits überführt. Auch ist vor der Veröffentlichung regelmäßig eine Stellungnahme des Betroffenen einzuholen. Schließlich müsse es sich um einen Vorgang von gravierendem Gewicht handeln, dessen Mitteilung durch ein Informationsbedürfnis der Allgemeinheit gerechtfertigt sei.

Der bloße Umstand der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens genüge dabei nicht für die Annahme des Vorliegens eines Mindestbestands an Beweistatsachen. Insoweit sei aber bei Verlautbarungen amtlicher Stellen zu berücksichtigen, dass ihnen ein gesteigertes Vertrauen entgegengebracht werden dürfe. Insoweit sei die Annahme gerechtfertigt, dass eine unmittelbar an die Grundrechte gebundene, auf Objektivität verpflichtete Behörde wie die Staatsanwaltschaft die Öffentlichkeit erst dann unter Namensnennung über ein Ermittlungsverfahren unterrichten werde, wenn sich der zugrunde liegende Tatverdacht bereits einigermaßen erhärtet habe. Auch dies entlaste die Medien allerdings nicht von der Aufgabe der Abwägung und Prüfung, ob im Übrigen nach den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung eine Namensnennung des Betroffenen gerechtfertigt ist.

Hinweis auf „Archivberichterstattung”: Abweichendes von diesen Grundsätzen ergäbe sich vorliegend auch nicht aus diesem Hinweis und darauf, dass das Ermittlungsverfahren eingestellt worden sei. Sollte es nämlich schon anfangs an einem Mindestbestand an Beweistatsachen als Voraussetzung für eine zulässige Berichterstattung gefehlt haben und sei das Ermittlungsverfahren sodann mangels ausreichender Beweisgrundlage eingestellt worden, so gäbe es keinen anerkennenswerten Grund für die fortdauernde Abrufbarkeit der Berichte im Internet.

Im Grundsatz sei auch bei der Bildberichterstattung davon auszugehen, dass eine von Anfang an unzulässige Meldung auch nicht als Altmeldung im Online-Archiv zum Abruf bereitgehalten werden dürfe.


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