Was bedeuten die Erst- und Zweitstimme bei Wahlen?

21.09.2021, Redaktion Anwalt-Suchservice / Lesedauer ca. 5 Min. (3364 mal gelesen)
Bundestagswahl,Stimmzettel,Erststimme,Zweitstimme,Überhangmandat Erst- und Zweitstimme: Beide haben unterschiedliche Folgen. © Rh - Anwalt-Suchservice

Bald ist wieder Wahltag - dann haben alle Bürger wieder Wahlzettel mit zwei Spalten vor sich. Eine betrifft die Erst- und eine die Zweitstimme. Aber welche Bedeutung und welche Auswirkungen haben diese?

Jede Wählerin und jeder Wähler hat bei der Bundestagswahl und den Landtagswahlen zwei Stimmen: Die Erst- und die Zweitstimme. Daher sind auf dem Stimmzettel zwei Kreuze zu machen. Manchmal gibt es dafür auch zwei unterschiedliche Stimmzettel, etwa bei der Landtagswahl in Bayern. Bezüglich der Erst- und Zweitstimme kann es jedoch Unterschiede zwischen der Bundestagswahl und manchen Landtagswahlen geben.

Wozu dient grundsätzlich die Erst- und Zweitstimme?


Mit der Erststimme wird ein Direktkandidat aus dem Wahlkreis des Wählers gewählt. Dies ist dann also möglicherweise eine Person, die der Wähler kennt und von der er sich wünscht, dass sie seinen Wahlkreis politisch vertritt. Man spricht hier auch von einer Personenwahl. Bei der Zweitstimme dagegen geht es um eine Partei. Die Zweitstimme entscheidet darüber, wie viele Sitze eine bestimmte Partei erhält, in welchem Verhältnis also die Sitze unter den Parteien verteilt werden. Dies nennt sich Verhältniswahlrecht. Aber: Die Zweitstimme des Wählers zählt nur, wenn die gewählte Partei über die Fünf-Prozent-Hürde kommt. Sonst kann diese nicht in den Bundestag oder den Landtag einziehen.

Welche Stimme ist wichtiger?


Die Erststimme entscheidet darüber, ob eine bestimmte Person in den Bundestag oder den Landtag einzieht. Sie stellt also mehr eine Sympathiestimme dar. Die Zweitstimme beeinflusst stärker die Politik, die künftig gemacht wird. Mit ihr entscheidet der Wähler darüber, wie viele Sitze im Parlament eine Partei bekommt, wie viele Abgeordnete dieser Partei beispielsweise also in den Bundestag einziehen. Letztlich hängt davon dann ab, wie stark eine Partei ihre Politik um- und durchsetzen kann. Man könnte also sagen, dass die Zweitstimme für die Wahl einer bestimmten Partei und damit einer bestimmten Politik viel wichtiger ist als die Erststimme. Die bekannten Hochrechnungen am Wahltag beziehen sich deswegen in der Regel in der Regel auf die Zweitstimmen.

Muss man mit der Erst- und Zweitstimme die gleiche Partei wählen?


Erst- und Zweitstimme können von den Wählern unabhängig voneinander vergeben werden. Hat man vom Direktkandidaten einer Partei eine besonders hohe Meinung, kann man diesen also mit der Erststimme wählen. Vielleicht bevorzugt man aber insgesamt doch eine andere Partei. Dieser kann man problemlos trotzdem die Zweitstimme geben. Insbesondere kleinere Parteien werben im Wahlkampf intensiv um die Zweitstimmen der Wähler. Die Zweitstimme entscheidet über die Stärke der Partei. Ein Nachteil dieses Systems sind jedoch die sogenannten Überhangmandate. Diese führen dazu, dass die jeweiligen Parlamente immer mehr Abgeordnete bekommen.

Wie erfolgt die Verteilung der Sitze im Bundestag?


In Deutschland existieren 299 Wahlkreise. Daher werden zuerst 299 Sitze an die Direktkandidaten vergeben, die in den einzelnen Wahlkreisen die meisten Stimmen erhalten haben. Für jeden Wahlkreis zieht also der Kandidat in den Bundestag ein, der die meisten Stimmen bekommen hat.

Die Mindestzahl der Sitze im Bundestag beträgt 598. Durch sogenannte Überhang- und Ausgleichsmandate kommen weitere Sitze hinzu. Dadurch ändert sich die Zahl der Sitze mit jeder Wahlperiode.

Wie viele Abgeordnete einer Partei insgesamt in den Bundestag kommen, wird mit Hilfe der Zweitstimmen entschieden. Es werden nämlich nicht alle von Direktkandidaten besetzten Sitze nach dem mit der Zweitstimme ermittelten Verhältnis der Sitzaufteilung vergeben. Einige Sitze kommen auch Kandidaten zugute, die auf den Landeslisten ihrer Parteien stehen. Hier entscheidet nicht der Wähler, sondern die Partei darüber, welche Person in den Bundestag einzieht – solange die Partei von der Gesamtzahl der Stimmen her noch Sitze besetzen darf.

Was ist ein Überhangmandat und wie ist der Stand der Wahlrechtsreform?


Die Zweitstimmen entscheiden darüber, wie viele Sitze eine Partei insgesamt im Bundestag bekommt. Sind nach Abzug der Sitze der Direktkandidaten noch Sitze übrig, werden diese an Kandidaten von den Landeslisten der Partei vergeben. Nun kann es aber passieren, dass mehr Direktkandidaten einer Partei mit den Erststimmen gewählt wurden, als der Partei insgesamt Sitze zustehen. Dies nennt man das personalisierte Verhältniswahlrecht. Da nun jeder Direktkandidat das Anrecht auf einen Sitz hat, muss man zusätzliche Abgeordnete in den Bundestag aufnehmen. Dies sind die Überhangmandate. Damit es nicht zu ungerecht für die anderen Parteien wird, werden diesen seit der Wahlrechtsreform von 2013 sogenannte Ausgleichsmandate zugestanden. Durch beides steigt die Anzahl der Bundestagsabgeordneten von einer Wahlperiode zur nächsten an. So hatte der letzte Bundestag 708 statt nur 598 Abgeordnete.

Es gab verschiedene Diskussionen, diesen Zustand durch eine Wahlrechtsreform zu ändern. Denn: Abgeordnete kosten Steuergelder, und zu viele Abgeordnete können nach Meinung mancher dazu führen, dass der Bundestag irgendwann vor lauter Diskussionen nicht mehr entscheidungsfähig ist.

2020 wurde eine entsprechende Gesetzesänderung beschlossen. Diese besagt unter anderem, dass beim Überschreiten der Regelgröße von 598 Sitzen bis zu drei Überhangmandate nicht mehr durch Ausgleichsmandate ausgeglichen werden sollen. Auch soll - aber erst nach der Bundestagswahl 2021 - die Anzahl der Wahlkreise von 299 Wahlkreisen auf 280 reduziert werden.

Diese Reform wurde von den Oppositionsparteien als nicht ausreichend kritisiert, da sie nach deren Rechenmodellen kaum eine Verbesserung bewirken soll. Auch würden davon eher die großen Parteien profitieren. Es wurde auch beim Bundesverfassungsgericht im Eilverfahren dagegen geklagt. Das Gericht hat den Eilantrag jedoch abgelehnt. Zwar äußerte es ebenfalls Zweifel an der Reform, dies müsse aber in einem gründlicheren Hauptverfahren geklärt werden und nicht durch eine einstweilige Verfügung (Beschluss vom 20.7.2021, Az. 2 BvF 1/21).

Wann ist ein Stimmzettel ungültig?


Wähler dürfen für die Erst und Zweitstimme jeweils ein Kreuz machen – entweder auf dem gleichen Stimmzettel oder, wie bei manchen Landtagswahlen, auf zwei Stimmzetteln. Natürlich muss das Kreuz an der dafür vorgesehenen Stelle sitzen. Wenn der Wähler die Kreise hinter den Namen von Abgeordneten und Partei mit einem einzelnen Strich oder Haken versehen, geht dies auch in Ordnung.

Wichtig ist jedoch, dass sich eindeutig aus dem Wahlzettel ergibt, wie der Wähler die zwei Stimmen vergeben will. Im Prinzip darf man auch zusätzlich zum Ankreuzen den Namen der gewünschten Partei mit Blockbuchstaben daneben schreiben, die eigene Ankreuz-Entscheidung positiv kommentieren oder auch alle Wahlvorschläge bis auf einen streichen. Wenn die Auszähler allerdings nicht eindeutig erkennen können, wen der Wähler denn eigentlich wählen wollte, ist der Stimmzettel ungültig. Passieren kann dies etwa bei handschriftlichen negativen Kommentaren zur selbst getroffenen Wahl, bei einem Ankreuzen von mehr als zwei Kreisen oder bei einer Streichung einzelner Kandidaten.

Welche Besonderheiten gibt es bei Landtagswahlen – etwa in Bayern?


Bei den Landtagswahlen werden die Erst- und Zweitstimmen in den meisten Bundesländern ebenso behandelt wie bei der Bundestagswahl. Eine Ausnahme ist zum Beispiel Bayern:

Zwar geht auch hier die Erststimme auf dem Stimmzettel A an einen Direktkandidaten aus dem eigenen Wahlkreis. Mit der Zweitstimme auf dem Stimmzettel B wählen die Bürger eine Partei und gleichzeitig wieder einen Kandidaten.

Ein wichtiger Unterschied ist jedoch, dass die Erst- und Zweitstimmen in Bayern addiert werden. Sie werden also zu Gesamtstimmen zusammengezählt, welche dann darüber entscheiden, wie viele Sitze eine Partei im Landtag erhält. Hier ist es für die Partei also nicht „egal“, welcher Direktkandidat die Erststimme bekommt.

Auch für den Kandidaten sind jedoch beide Stimmen wichtig. Die Zweitstimmen, die für einen Kandidaten auf seinem Listenplatz abgegeben werden, werden nämlich mit seinen Erststimmen addiert. Sein endgültiger Platz auf der Liste hängt von der Gesamtzahl ab - und damit auch seine Chance, in den Landtag zu kommen. Dies stellt einen Unterschied zur Bundestagswahl dar: Dort entscheiden die Parteien über den Listenplatz eines Kandidaten und die Wähler können die Rangfolge nicht beeinflussen. Eine Folge ist, dass in Bayern auch ein „Spitzenkandidat“ am Ende ohne Sitz dastehen kann, während sich ein bis dahin unbekannter Neuling durch intensiven Wahlkampf einen Sitz erobert.

Eine weitere Besonderheit in Bayern ist, dass es keine Listen für ganz Bayern gibt. Stattdessen werden die Kandidaten jeweils in sieben Regierungsbezirken gewählt.

Praxistipp


Sowohl die Erst- als auch die Zweitstimme sind wichtig. Im Bundestag entscheidet die Zweitstimme über die spätere Stärke einer Partei. In Bayern entscheiden beide Stimmen zusammen über die Stärke einer Partei im Landesparlament.

(Ma)


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 Ulf Matzen
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