Arbeitsunfall – Nachweis, Versicherung, Einzelfälle

08.02.2023, Redaktion Anwalt-Suchservice / Lesedauer ca. 12 Min. (3221 mal gelesen)
Liege,Erste-Hilfe-Kasten Oft erkennt die Berufsgenossenschaft Arbeitsunfälle nicht an. © Rh - Anwalt-Suchservice

Wenn ein Unfall als Arbeitsunfall anerkannt wird, muss die gesetzliche Unfallversicherung die Behandlungskosten zahlen - unter anderem. Um die Anerkennung von Arbeitsunfällen wird oft vor Gericht gestritten.

Nach einem Arbeitsunfall erhalten Arbeitnehmer Leistungen von der gesetzlichen Unfallversicherung. Deren Träger ist die zuständige Berufsgenossenschaft. Diese zahlt jedoch nur, wenn der Beschäftigte beweisen kann, dass wirklich ein Arbeitsunfall vorlag. Diese Frage beschäftigt oft die Sozialgerichte. Denn: Es gibt viele Grenzfälle. Schließlich passieren Unfälle auch beim Teetrinken, bei Betriebsfesten, beim Abliefern der Kinder im Kindergarten oder im Home-Office. Und: Was gilt bei Unfällen auf dem Arbeitsweg?

Zu den Leistungen der Unfallversicherung können Sie sich hier informieren:
Arbeitsunfall: Welche Leistungen muss die gesetzliche Unfallversicherung erbringen?

Wann liegt ein Arbeitsunfall vor?


Ein Unfall gilt als Arbeitsunfall, wenn ihn ein gesetzlich unfallversicherter Arbeitnehmer infolge seiner versicherten Tätigkeit erleidet. Der Unfall muss also im Zusammenhang mit der Arbeit stattfinden. Als Unfall wiederum gilt jedes zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper wirkende Ereignis, das einen gesundheitlichen Schaden verursacht. Zu den Arbeitsunfällen gehören nicht nur Unfälle im Betrieb selbst, sondern auch solche auf dem (direkten) Weg zur Arbeit, bei Betriebsausflügen und betrieblichen Feiern.

Wen schützt die gesetzliche Unfallversicherung?


Unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung steht jeder, der sich in einem Arbeits-, Ausbildungs- oder Dienstverhältnis befindet. Dieser Schutz gilt vollkommen unabhängig von Alter, Geschlecht, Familienstand und Nationalität. Der Versicherungsschutz besteht bei Arbeits- und Wegeunfällen und auch bei Berufskrankheiten.

Der Arbeitgeber hat seine Beschäftigten bei der gesetzlichen Unfallversicherung anzumelden. Deren Träger ist die Berufsgenossenschaft. Auch manche Menschen ohne Anmeldung sind gesetzlich unfallversichert. Dies gilt zum Beispiel für Schüler beim Schulbesuch oder bei einer von der Schule organisierten Veranstaltung wie einer Klassenfahrt und für die Kinder in einer Kindertagesstätte. Gesetzlich unfallversichert sind auch die Ersthelfer bei einem Verkehrsunfall, ehrenamtlich Tätige bei Vereinen oder Gemeinden wie bei der Freiwilligen Feuerwehr und auch Blutspender sowie Zeugen vor Gericht.

Wer muss den Unfall melden?


Wenn der Arbeitsunfall zu einer Arbeitsunfähigkeit von über drei Tagen führt, muss der Arbeitgeber diesen der Berufsgenossenschaft melden. Diese Pflicht besteht unabhängig von der Schwere der Unfallfolgen. Meist können diese gleich nach dem Unfall ohnehin noch nicht korrekt beurteilt werden und schon gar nicht von medizinischen Laien. Die Berufsgenossenschaft wird in der Regel ohne Unfallmeldung nicht leisten.

Was passiert bei der Unfalluntersuchung?


Der Arbeitgeber muss nach einem Arbeitsunfall eine Unfalluntersuchung durchführen. Damit sollen die näheren Umstände aufgeklärt werden. Natürlich will man auch weiteren Unfällen vorbeugen. Diese Untersuchung sollte der Chef baldmöglichst starten, sobald das Unfallopfer versorgt ist und alle im Betrieb Verantwortlichen informiert sind.

Daran teilnehmen müssen das Unfallopfer, mögliche Zeugen, die direkten Vorgesetzten des Unfallopfers, die für den Arbeitsschutz zuständigen Sicherheitsbeauftragten des Betriebes und schließlich der Betriebsrat, der die Interessen des Arbeitnehmers wahrnimmt. Im Rahmen der Untersuchung sollten Beweise für den Unfallhergang und die Namen und Kontaktdaten von Zeugen gesichert werden. Es empfiehlt sich, Zeugenaussagen zügig aufzunehmen, solange die Erinnerung frisch ist.

Welcher Arzt ist zuständig?


In Deutschland gilt das Prinzip der freien Arztwahl. Ausnahme sind jedoch Arbeitsunfälle. Für diese ist erster Ansprechpartner immer der sogenannte Durchgangsarzt. Dies sind Ärzte mit besonderer Schulung in der Unfallchirurgie und mit einer besonderen Zulassung für die Betreuung von Arbeitsunfällen. Der Durchgangsarzt übernimmt die Erstversorgung und koordiniert das weitere Vorgehen. Er fertigt außerdem einen Bericht für die Berufsgenossenschaft an und beurteilt darin, ob ein Arbeitsunfall vorliegt. Die Abrechnung erfolgt mit der Berufsgenossenschaft und nicht mit der Krankenkasse des Arbeitnehmers.

Der Arztbericht des Durchgangsarztes lässt sich nicht durch Aufzeichnungen des Hausarztes ersetzen. Nur mit diesen ist die Anerkennung eines Arbeitsunfalles sehr unsicher. Der Hausarzt muss Arbeitnehmer nach einem Arbeitsunfall ohnehin an einen Durchgangsarzt überweisen. Ausnahme sind kleine Unfälle, bei denen der Patient nicht länger als einen Tag arbeitsunfähig ist und die Behandlung höchstens eine Woche dauert. Bei Augenverletzungen oder Hals-Nasen-Ohren-Verletzungen können Betroffene zu jedem Augen- oder HNO-Arzt gehen. Diese gelten dann ebenso wie Zahnärzte als Durchgangsärzte.
Für schwere Verletzungen gibt es besondere berufsgenossenschaftliche Unfallkrankenhäuser. Im Notfall können Arbeitnehmer jedoch auch jedes andere Krankenhaus aufsuchen: Auch dort gibt es in der Regel Durchgangsärzte.

Was gilt für Betriebsfeiern und -ausflüge?


Die Voraussetzungen für die Anerkennung eines betrieblichen Arbeitsunfalls auf einer betrieblichen Veranstaltung sind kurz gefasst:

- die Veranstaltung wurde vom Betrieb organisiert,
- es hatten alle Mitarbeiter oder zumindest alle einer größeren Abteilung Zutritt,
- die Veranstaltung wurde von einer Autorität der Geschäftsleitung getragen (es war also ein Vorgesetzter anwesend),
- die Veranstaltung war zum Unfallzeitpunkt noch nicht beendet.

Handelt es sich um eine betriebliche Veranstaltung, ist die Teilnahme an einer Betriebsfeier oder einem Betriebsausflug gesetzlich unfallversichert. Wenn also ein Mitarbeiter-Team nach der Arbeit einen Bowlingabend organisiert und der Chef dazu "Viel Spaß" wünscht, ist dies laut Bundessozialgericht keine Betriebsveranstaltung (Az. B 2 U 7/13 R). Dem Urteil zufolge muss es sich für eine Anerkennung als Arbeitsunfall bei der Betriebsfeier um eine "offizielle" Veranstaltung unter Teilnahme von Mitgliedern der Geschäftsleitung gehandelt haben. Alkoholeinfluss gefährdet den Versicherungsschutz.

Allerdings hat das Bundessozialgericht 2016 entschieden, dass es ausreichend sein kann, wenn lediglich ein Teamleiter – hier der Sachgebietsleiterin einer Behörde – die Feier organisiert und anwesend ist. Allerdings muss das Vorgehen zumindest mit der Geschäftsleitung abgesprochen sein (Urteil vom 5.7.2016, Az. B 2 U 19/14 R).

Nicht zu einer betrieblichen Veranstaltung gehört ein ungeplanter geselliger Ausklang einer betrieblichen Schulung an der Hotelbar. In einem solchen Fall sah das Bundessozialgericht einen Sturz auf der Treppe zu den Toiletten nicht als Arbeitsunfall an (Urteil vom 30.3.2017, Az. B 2 U 15/15 R).

Ein anderer Fall: Bei der Deutschen Rentenversicherung hatten die einzelnen Sachgebietsleiter mit Wissen der Behördenleitung selbstständig Weihnachtsfeiern für ihre Sachgebiete organisiert. Diese Feiern fanden während der Kernarbeitszeit statt und es erfolgte eine Zeitgutschrift. Einer Sachgebietsleiterin unterstanden 13 Beschäftigte. Sie veranstaltete ihre Weihnachtsfeier in Form einer Wanderung. Dabei stürzte eine Kollegin. Die Unfallversicherung wollte deren nicht als Arbeitsunfall anerkennen: Es habe kein Mitglied der Geschäftsleitung teilgenommen. Auch habe die Feier nicht allen Betriebsangehörigen offen gestanden.
Trotzdem erkannte das Bundessozialgericht den Unfall als Arbeitsunfall an: Es reiche aus, wenn die Mitarbeiter eines Sachgebiets mitmachen könnten und deren Sachgebietsleiterin teilgenommen habe. Immerhin sei hier zwischen der Dienststellenleitung und den Sachgebietsleitern in einer protokollierten Versammlung vereinbart worden, dass die Sachgebietsleiter die Feiern organisieren sollten (Urteil vom 5.7.2016, Az. B 2 U 19/14 R).

Eine Arbeitnehmerin hatte an einem Kommunikationsworkshop ihrer Firma in einem Hotel teilgenommen. Dazu gehörte ein Grillabend. Gegen ein Uhr nachts stürzte sie mit zwei Promille Blutalkohol auf dem Weg zur Toilette und brach sich ein Sprunggelenk. Das Sozialgericht sah hier alle Voraussetzungen für einen Arbeitsunfall als gegeben an: Der Workshop war betrieblich organisiert und von der Firma bezahlt worden. Es waren die Mitarbeiter mehrerer Abteilungen zugegen. Nach Aussage des Geschäftsführers bestand am Grillabend Anwesenheitspflicht. Er selbst war dafür extra angereist und hatte den Grillabend erst um Mitternacht verlassen. Absichtlich habe er kein Ende der Veranstaltung angesagt, damit die noch anwesenden 80 Prozent der Teilnehmer ihr Kennenlernen fortsetzen konnten. Das Gericht betonte, dass eine solche Veranstaltung erst beendet sei, wenn der Vorgesetzte dies ansage oder der vorher bestimmte Endzeitpunkt gekommen sei. Hier sei beides nicht der Fall gewesen. Also lag ein Arbeitsunfall vor (Sozialgericht Dortmund, Urteil vom 1.2.2018, Az. S 18 U 211/15).

Lädt ein Unternehmen mehrere verdiente Mitarbeiter auf eine Incentive-Reise nach Lappland ein und überschlägt sich ein Mitarbeiter dabei mit dem Snowmobil, ist dies kein Arbeitsunfall. Es handelte sich schon deshalb nicht um eine betriebliche Veranstaltung, weil nicht alle Mitarbeiter teilnehmen durften (Sozialgericht Darmstadt, Az. S 3 U 27/07).

Wenn sich auf dem kombinierten Geschäfts- und Vergnügungs-Event der Hausbank eines Betriebes ein Skiunfall ereignet, gilt dieser ebenfalls nicht als Arbeitsunfall. Auf einer Skipiste bei der Abfahrt würden kaum geschäftliche Besprechungen stattfinden. Daher sei ein Sturz beim Skifahren kein Arbeitsunfall, entschieden die Richter des bayerischen Landessozialgerichtes (31.10.2013, Az. L 17 U 484/10).

Keine Unfallversicherung für Arbeitssuchende bei der Jobsuche!


Stellt sich ein Arbeitssuchender auf Geheiß der Bundesagentur für Arbeit bei einem potenziellen Arbeitgeber vor, ist er auf dem Weg dorthin nicht in jedem Fall unfallversichert.

Ein Arbeitssuchender wollte nach seinem ersten Vorstellungsgespräch noch Arbeitspapiere wie eine Bescheinigung der Kindergeldkasse beim möglichen Arbeitgeber nachreichen. Auf diesem Weg dorthin widerfuhr ihm ein Verkehrsunfall, bei dem er ein Schädel-Hirn-Trauma erlitt. Das Bundessozialgericht hat entschieden, dass es sich hier nicht um einen Unfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung handelte. Der Unfall habe sich nicht auf einem versicherten Weg ereignet. Der Arbeitssuchende sei bei seiner zweiten Fahrt nicht seiner von der Arbeitsagentur auferlegten Meldepflicht nachgekommen, sondern habe aus privatwirtschaftlichen Interessen einen zweiten Besuch beim künftigen Arbeitgeber abgestattet. Auch habe der Arbeitssuchende bei seiner zweiten Fahrt nicht den Vorsatz gehabt, einen Arbeitsvertrag abzuschließen, dieser sei schon am Vortag abgeschlossen worden (Az. B 2 U 8/08 R).

Welche Unfälle auf dem Arbeitsweg sind versichert?


Grundsätzlich ist auch ein Unfall auf dem Arbeitsweg versichert. Ausnahmen gibt es bei Umwegen für private Erledigungen.

Unfall mit Hund: Das Landessozialgericht Sachsen-Anhalt betrachtete einen Sturz über den eigenen Hund beim Verlassen des Hauses als Arbeitsunfall bzw. als Wegeunfall. Der Arbeitsweg sei für die Verabschiedung vom Hund nur kurz unterbrochen worden (Az. L 6 U 12/12).

Übernachtung bei Freundin: Dem Landessozialgericht Rheinland-Pfalz zufolge liegt ein versicherter Wegeunfall im Sinne der gesetzlichen Unfallversicherung nicht vor, wenn der von der Wohnung der Freundin aus angetretene Arbeitsweg mehr als achtmal so lang ist, wie der übliche Fahrweg von der eigenen Wohnung. Der Kläger habe hier die Wohnung der Freundin nicht wie seine eigene Wohnung genutzt, sondern sei dort nur zu Besuch gewesen (Az. L 4 U 225/10).

Auf dem Arbeitsweg verfahren: Dem Landessozialgericht Niedersachsen zufolge greift die gesetzliche Unfallversicherung nicht bei einem Unfall auf einem Arbeitsweg, wenn der Unfallort in entgegengesetzter Richtung zum Arbeitsort liegt. Ein Autofahrer hatte sich auf dem Weg zu seinem Betriebsziel verfahren. Er erlitt auf einem Umweg in entgegengesetzter Richtung einen schweren Verkehrsunfall. Das Sozialgericht entschied, dass der versicherte Arbeitsweg zum Zeitpunkt des Unfalls unterbrochen war (Az. L 3 U 151/08).

Privates Gespräch: Kein Versicherungsschutz besteht laut Sozialgericht Karlsruhe auch für einen Unfall, der bei einer Unterbrechung des Arbeitswegs für ein Privatgespräch passiert. Ausnahmen würden nur für Tätigkeiten gelten, die sich im Zusammenhang mit dem Arbeitsweg "ganz nebenher" erledigen ließen, wie das Einwerfen eines Briefs in den Briefkasten (Az. S 4 U 2233/09).

Privater Einkauf: Unterbricht ein Arbeitnehmer seinen Arbeitsweg für das Einkaufen von Lebensmitteln und erleidet dabei einen Unfall, ist dies auch kein Arbeitsunfall. So entschied das Sozialgericht Wiesbaden. In diesem Fall hatte ein Arbeitnehmer seinen Arbeitsweg unterbrochen, um sein Frühstück einzukaufen. Dabei war er auf dem Parkplatz des Supermarktes verletzt worden (Az. S 1 U 99/08).

Autowäsche: Auch, wer eine berufliche Fahrt zum Autowaschen unterbricht, ist nicht gesetzlich unfallversichert, wenn er dabei ausrutscht und stürzt. Diese Entscheidung begründete das Bayerische Landessozialgericht damit, dass die Autowäsche für die sichere Weiterfahrt nicht akut erforderlich gewesen sei. Auch sei der PKW kein Arbeitsgerät gewesen, sondern überwiegend privat genutzt worden (Az. L 17 U 180/12).

In welchen anderen Fällen wurde ein Arbeitsunfall bejaht?


Zwangsprostitution: Eine Zwangsprostituierte hatte sich an einem Bettlaken aus dem zweiten Stock abgeseilt, um vor ihrem Zuhälter zu fliehen. Sie stürzte dabei und verletzte sich erheblich. Der Unfallversicherungsträger lehnte eine Anerkennung als Arbeitsunfall ab: Die Frau sei selbstständig tätig gewesen und nicht versichert. Das Sozialgericht Hamburg sah dies anders: Sie sei in der abgeschlossenen Wohnung praktisch gefangen gehalten worden, habe dem Zuhälter selbst sexuelle Dienste leisten und seine Kunden empfangen müssen, sei aber nur unregelmäßig überhaupt bezahlt worden. Hier sah das Gericht die Annahme einer selbstständigen Tätigkeit als "lebensfremd" an. Und: Wer nicht selbstständig arbeite, sei in einem Beschäftigungsverhältnis – auch ohne Arbeitsvertrag. Hier habe es eine Bewerbung auf eine Stellenanzeige gegeben, eine Absprache über den Arbeitslohn und eine Bestimmung von Arbeitsort und -zeit durch den Arbeitgeber. Daher handle es sich um ein Arbeitsverhältnis und der Unfall sei als Arbeitsunfall anzuerkennen (Urteil vom 2.6.2016, Az. S 36 U 118/14).

Pflege von Angehörigen: Wer einen Angehörigen zu Hause pflegt, steht auch beim Geldabheben am Bankautomaten unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. So hat das Bayerische Landessozialgericht jedenfalls in einem Fall entschieden, in dem mit dem abgehobenen Geld vom Konto der Pflegebedürftigen für deren Versorgung eingekauft werden sollte. Die Klägerin pflegte ihre Schwiegermutter zu Hause. Sie war auf dem Weg vom Auto zum Geldautomaten auf vereister Straße gestürzt (Az. L 2 U 516/11).

Kinderbetreuung: Während der Betreuung durch eine Tagesmutter sind Kinder gesetzlich unfallversichert. Eine schwere Verbrühung des Kindes durch heißen Tee während der Tagesbetreuung ist laut Sozialgericht Düsseldorf unfallversichert. Das Kind musste sich einer Hauttransplantation unterziehen. In solchen Fällen sei entscheidend, ob die Betreuungsperson eine behördliche Erlaubnis für ihre Tätigkeit habe (Az. S 1 U 461/12).

In welchen Fällen wurde ein Arbeitsunfall abgelehnt?


Treppensturz im Home-Office: Eine Beschäftigte im "Home-Office" war auf dem Weg zu ihrem Arbeitszimmer noch in ihre Küche gegangen, um sich Wasser zu holen. Dabei war sie auf einer Treppe ausgerutscht und hatte sich verletzt. Zwar sind Arbeitnehmer grundsätzlich auch im Home-Office gesetzlich unfallversichert. Hier entschied das Bundessozialgericht jedoch, dass sich die Klägerin zum Unfallzeitpunkt nicht auf einem Betriebsweg befunden habe, sondern bei einer privaten Verrichtung. Also: Kein Arbeitsunfall (Urteil vom 5.7.2016, Az. B 2 U 5/15 R).

Betriebsrat im Abenteuerwald: Die Teilnehmer einer mehrtägigen Betriebsratsschulung hatten abends nach Schulungsende einen Ausflug in einen "Abenteuerwald" gemacht. Dabei verletzte sich ein Teilnehmer durch einen Sturz. Das Landessozialgericht Baden-Württemberg betrachtete den Vorfall nicht als Arbeitsunfall. Der Ausflug sei kein Teil der Schulung gewesen. Kein Mitarbeiter des Seminaranbieters habe teilgenommen und das Ganze habe nach Schulungsende stattgefunden (Urteil vom 12.5.2016, Az. L 6 U 836/16).

Eine Pflegehelferin in einem Seniorenheim hatte das Gebäude für eine Rauchpause verlassen. Dabei kollidierte sie mit dem Hausmeister. Dieser ließ einen Eimer Wasser fallen. Darauf rutschte die Pflegerin aus und verletzte sich. Dies wollte das Sozialgericht Berlin nicht als Arbeitsunfall anerkennen: Rauchen sei eine persönliche Angelegenheit und habe nichts mit dem Beruf zu tun. Es diene auch nicht der Aufrechterhaltung der Arbeitskraft. Der Weg zur Kantine sei unfallversichert, der Weg zur Raucherpause aber nicht (Az. S 68 U 577/12).

Ein Mordversuch am Arbeitsplatz durch eine betriebsfremde Person gilt nur dann als Arbeitsunfall, wenn der Täter ein "betriebsbezogenes Motiv" hat. Handelt der Täter nur aus persönlichen Motiven, liegt kein Arbeitsunfall vor. Dies entschied das Landessozialgericht Berlin. Es ging dabei um eine Verkäuferin, die bei der Arbeit an einem Blumenstand von ihrem eifersüchtigen Ex-Mann mit einem Kleinlaster angefahren wurde (Az. L 2 U 71/11).

Nachts im Hotel: Keinen Versicherungsschutz gibt es auch bei einer Dienstreise während der Nachtruhe im Hotel. Wer sich also beim Versuch, nachts die Toilette aufzusuchen, in seinen Bettlaken verheddert, lang hinschlägt und sich verletzt, erhält keine Leistungen von der Unfallversicherung (Sozialgericht Düsseldorf, Urteil vom 5.11.2015, Az. S 31 U 427/14).

Landwirt im Nebenjob: Ein nebenberuflicher Landwirt hatte in seiner angestellten Tätigkeit als Lagerarbeiter einen Arbeitsunfall erlitten. Daher konnte er seinen Hof nicht mehr versorgen. Die Berufsgenossenschaft wollte die Kosten für den erforderlichen Betriebshelfer nicht zahlen. Auch die landwirtschaftliche Krankenkasse winkte ab. Nach dem Bayerischen Landessozialgericht muss die Berufsgenossenschaft für den Arbeitsunfall als Lagerarbeiter nur Verletztengeld zahlen. Eine landwirtschaftliche Betriebshilfe erhält nach Ansicht des Gerichts nur, wer bei der Tätigkeit als Landwirt einen Arbeitsunfall erlitten hat. Die landwirtschaftliche Krankenkasse dürfe einen Betriebshelfer nämlich nur "anstelle von Krankengeld" genehmigen. Da der Landwirt aber gegen die Kasse keinen Anspruch auf Krankengeld hatte, sei die Ablehnung rechtens gewesen (Az. L 18 U 138/11).

Verletzung bei Verfolgungsjagd: Kraft Gesetzes unfallversichert ist auch, wer sich bei der Verfolgung oder Festnahme einer Person, die einer Straftat verdächtig ist, persönlich einsetzt. Laut Sozialgericht Berlin gilt dieser Versicherungsschutz sogar für Auslandsfälle. Aber: Als ein deutscher Urlauber in Spanien stürzte, während er einen Taschendieb verfolgte, der mit seiner Brieftasche wegrannte, wurde dies trotzdem nicht als Arbeitsunfall angesehen. Dem Urlauber war es nämlich nur darum gegangen, seine Brieftasche wiederzubekommen - und nicht um die Verfolgung der Straftat (Az. S 163 U 279/10).

Verwandtenhilfe nach Feierabend: Wer nicht als, aber wie ein Arbeitnehmer tätig wird, ist gesetzlich unfallversichert. Wenn er jedoch wie ein Selbstständiger tätig wird, ist er nicht versichert. Dies betonte das hessische Landessozialgericht im Fall eines Gebäudereinigers, der eigenverantwortlich und mit eigenem Werkzeug das Haus seiner Schwester von Efeu befreit hatte. Dabei war er von der Leiter gefallen. Hier lag kein Arbeitsunfall vor (Az. L 3 U 26/11).

Auch Unfälle beim privaten Telefonieren am Arbeitsplatz sind nicht versichert. Ein Lagerarbeiter wurde während der Arbeitszeit von seiner Frau auf dem Handy angerufen. In der Lagerhalle war es recht laut und die Verbindung war schlecht. Daher ging er nach draußen auf eine Laderampe, um sie zurückzurufen. Als er das Gespräch nach etwa drei Minuten beendet hatte, kehrte er zurück – und blieb an der Laderampe an einem Begrenzungswinkel hängen. Dabei verdrehte er sich das Knie und erlitt einen Kreuzbandriss. Das Hessische Landessozialgericht entschied, dass kein Arbeitsunfall vorlag. Der Unfall sei auf dem Rückweg von einer privaten Verrichtung und damit nicht bei einer versicherten Tätigkeit passiert (Urteil vom 16. Oktober 2013, Az. L 3 U 33/11).

Was gilt für Mitglieder von Vereinen?


Unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung können auch Mitglieder von Vereinen fallen. Die Voraussetzung ist, dass sie für den Verein Tätigkeiten ausüben, die üblicherweise in einem Beschäftigungsverhältnis stattfinden. Werden die Vereinsmitglieder jedoch im Rahmen ihrer Mitgliederpflichten tätig, besteht kein Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. So entschied das Hessische Landessozialgericht (Az. L 3 U 231/10). In diesem Fall ging es um einen Mann, der beim Aufbau eines Festzeltes tödlich verunglückt war. Er war in seinem Heimatverein Vorsitzender des Zeltausschusses und seit ca. 20 Jahren Aufbauleiter. Dem Gericht zufolge hatte er damit eine herausragende ehrenamtliche Vereinsfunktion inne. Er habe in Ausübung seiner Vereinspflichten gehandelt, als der Unfall passierte. Deswegen sei er nicht gesetzlich unfallversichert gewesen.

Aus diesem Grund wurde auch ein Sturz vom Pferd nicht als Arbeitsunfall anerkannt. Die Klägerin hatte als Vorstandsmitglied eines Reitvereins freiwillig am Sonntag ein Schulpferd in der Reithalle bewegt. Sie war dafür besonders qualifiziert gewesen. Dies wusste jedoch das Pferd nicht und warf sie ab. Das Sozialgericht Karlsruhe sah dies als eine Tätigkeit im Rahmen ihrer Mitgliedspflichten an und nicht als versicherte Tätigkeit ähnlich einer Arbeitnehmerin (Az. S 1 U 1137/12).

Praxistipp zum Arbeitsunfall


Manchmal verweigert die Berufsgenossenschaft Leistungen, weil sie einen Unfall nicht als Arbeitsunfall ansieht oder andere Voraussetzungen für die jeweilige Leistung nicht erfüllt sein sollen. Gegen eine solche Entscheidung können Arbeitnehmer jedoch innerhalb von einem Monat Widerspruch einlegen. Wird auch dieser abgelehnt, können Betroffene innerhalb eines weiteren Monats beim Sozialgericht Klage einreichen. Zuvor ist eine Beratung durch einen im Sozialversicherungsrecht versierten Rechtsanwalt zu empfehlen.

(Bu)


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 Stephan Buch
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