Tierarzthaftung: 114.146,41 € wegen Fehlbehandlung eines Tieres.

15.07.2016, Autor: Herr Hans-Berndt Ziegler / Lesedauer ca. 3 Min. (316 mal gelesen)
In seinem jüngsten Urteil vom 10.05.2016 – VI ZR 247/15 hat der BGH die Übertragung der Grundsätze zur Beweislastumkehr bei Vorliegen eines groben Behandlungsfehlers aus dem Arztrecht auf das Tierarztrecht bestätigt.

1. Ausgangsfall
Die Klägerin stellte am 08. Juli 2010 ihr Pferd wegen einer Verletzung am rechten hinteren Bein bei dem Beklagten Veterinär zur Behandlung vor. Der Beklagte verschloss die Wunde, allerdings ohne weitere Untersuchungen zu veranlassen. Als das Pferd am 11. Juli 2010 zum Beritt abgeholt wurde, fielen leichte Taktunreinheiten im Bereich des verletzten Beines auf, so dass das Reiten eingestellt wurde. Am 14. Juli 2010 wurde eine Fraktur der Tibia hinten rechts diagnostiziert. Die Operation der Fraktur gelang nicht und das Pferd musste schließlich eingeschläfert werden.

Die Klägerin behauptete, dass ihr Pferd zuvor durch den Tritt eines anderen Pferdes eine Fissur des Knochens erlitten hatte, die sich schließlich zu der vollständigen Fraktur entwickelte. Aus diesem Grunde nahm die Klägerin den Tierarzt wegen fehlerhafter tierärztlicher Behandlung auf Schadensersatz in Höhe von 114.146,41 € in Anspruch.

Der BGH führt in seiner Entscheidung aus, dass dem Tierarzt ein grober Behandlungsfehler in Form eines Befunderhebungsfehlers zur Last zu legen sei. Er hätte die Möglichkeit einer Fissur in Betracht ziehen und weitere Untersuchungen durchführen müssen, die die Fissur bestätigt hätten.
Letztlich konnte jedoch nicht mit der erforderlichen Sicherheit im Verfahren nachgewiesen werden, dass der grobe Behandlungsfehler dafür ursächlich war, dass sich das Pferd beim Aufstehen das Bein brach. Es kam daher darauf an, ob die Tierhalterin, wie es die Regel wäre, oder der Tierarzt die Beweislast für den Ursachenzusammenhang zu tragen hatte.

Nach Auffassung des BGH waren, wie bereits vom Berufungsgericht vertreten, die in der Humanmedizin entwickelten Rechtsgrundsätze hinsichtlich der Beweislastumkehr bei groben Behandlungsfehlern, insbesondere wie vorliegend bei Befunderhebungsfehlern, auch im Bereich der tierärztlichen Behandlung anzuwenden. Der BGH rechtfertigt die Übertragung der Grundsätze aus dem Arztrecht auf das Tierarztrecht damit, dass die beiden Tätigkeiten vergleichbar seien, weil sie sich einerseits jeweils auf lebende Organismen beziehen, die aufgrund ihrer Komplexität den Nachweis eines konkreten Ursachenzusammenhangs zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden erschweren und andererseits sowohl Arzt als auch Tierarzt zwar das Bemühen um Heilung, nicht aber den Heilungserfolg schulden.

Darüber hinaus erschwere der grob fehlerhaft handelnde Arzt die nachträgliche Aufklärbarkeit des tatsächlichen Behandlungsgeschehens, sodass der volle Nachweis des Ursachenzusammenhangs dem geschädigten Tierhalter bzw. Patienten kaum noch gelingen kann. Somit hat auch der grob fehlerhaft handelnde Tierarzt durch seinen schwerwiegenden Verstoß gegen die anerkannten Regeln der tierärztlichen Kunst, Aufklärungserschwernisse in das Geschehen hineingetragen und dadurch die Beweisnot auf Seiten des Geschädigten vertieft. Daher sind bei grob fehlerhaften tiermedizinischen Behandlungen die gleichen Sachprobleme gegeben wie bei solchen Maßnahmen im Bereich der Humanmedizin.
Im Ergebnis hat der BGH daher die Entscheidung des Berufungsgerichts bestätigt, welche der Schadenersatzklage dem Grunde nach stattgab.

2. Kommentar
Diese Rechtsprechung ist für Tierhalter äußerst erfreulich, da im Verfahren regelmäßig dieselben Beweisprobleme wie im Arzthaftungsrecht auftauchen. Ist der Geschädigte voll beweispflichtig, hat das Verfahren meistens wegen der Unaufklärbarkeit des Ursachenzusammenhangs zwischen dem Behandlungsfehler und dem Gesundheitsschaden keine Aussicht auf Erfolg. Sofern allerdings ein grober Behandlungsfehler vorliegt, kehrt sich die Beweislast für diesen Ursachenzusammenhang um, d.h. der Tierarzt muss nun beweisen, dass sein Behandlungsfehler den Gesundheitsschaden nicht verursacht hat. Dieser Nachweis gelingt in der Praxis regelmäßig nicht, denn wenn der grobe Behandlungsfehler generell geeignet ist den jeweiligen Schaden herbeizuführen, ist der Nachweis, dass kein Ursachenzusammenhang zu dem Schaden besteht wegen der Komplexität lebender Organismen schwierig bis unmöglich. Verfahren, die zuvor aus Beweisgründen regelmäßig verloren gingen, können nun mit Aussicht auf Erfolg bestritten werden.

3. Fazit
Was tun?
Sollten Sie daher nach einer tierärztlichen Behandlung den Verdacht auf einen Behandlungsfehler haben, so konsultieren Sie unbedingt einen auf Arzthaftungsrecht spezialisierten Rechtsanwalt. Mittels Sachverständigengutachten kann geklärt werden, ob es sich um einen groben Behandlungsfehler auf Seiten des Tierarztes handelt. In diesem Fall wird aufgrund der Beweislastumkehr der Ursachenzusammenhang zwischen Behandlungsfehler und Gesundheitsschaden vermutet, was zur Folge hat, dass sich die Erfolgsaussichten bei der Durchsetzung von Schadenersatzansprüchen erhöhen.

Ass. iur, Eric Winter, M.A.