Verfassungsrechtsschutz gegen Flughäfen

16.05.2008, Autor: Herr Wolfgang Baumann / Lesedauer ca. 7 Min. (2526 mal gelesen)
Planfeststellung
Flughafen Berlin-Schönefeld



Verfassungsrechtsschutz gegen Flughäfen
– Zur Funktion und Zulässigkeit von
Verfassungsbeschwerden gegen
Flughafenplanungen –






Rechtsanwalt
Wolfgang Baumann
Fachanwalt für
Verwaltungsrecht


Verfassungsrechtsschutz gegen Flughäfen
– Zur Funktion und Zulässigkeit von Verfassungsbe-schwerden gegen die Flughafenplanung zum Ausbau des Flughafens Berlin-Schönefeld –

I. Verfassungsrechtlich relevante Annahmen des Bundesverwaltungs-gerichtes im Schönefeld-Urteil
Mit dem Urteil vom 16. März 2006 hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) die Standortauswahl für einen Singleflughafen in Berlin-Brandenburg am Standort Schönefeld als rechtlich nicht angreifbar angesehen und die auf die Standortaus-wahl gerichtete Klage insoweit abgewiesen. Es sei zulässig gewesen, dass die Landesplanungsbehörde die Hauptstadtnähe, die gute Einbindung in das beste-hende Straßen- und Schienennetz und das größere wirtschaftliche Entwicklungs-potential eines stadtnahen Standorts in den Vordergrund ihrer planerischen Ab-sichten gestellt habe. Das Land als Träger der Landesplanung durfte seine Stand-ortentscheidung für Schönefeld als gerechtfertigt ansehen, auch wenn bei der Wahl eines stadtfernen Standorts die Anzahl der vom Fluglärm Betroffenen we-sentlich geringer als bei einem Flughafen in der Nähe des hauptstädtischen Bal-lungsraumes gewesen wäre.
Das BVerwG ist dabei von folgenden verfassungsrechtlich relevanten Annah-men ausgegangen:
1. Die Standortentscheidung sei allein im Landesentwicklungsplan Flug-hafen Standortentwicklung (LEP-FS) vom 28. Oktober 2003 getroffen wor-den und zwar in der Zielfeststellung Z 1 mit der Abkehr vom gegenwärtigen Berliner Flughafensystem und der Ablehnung stadtferner Standortalternati-ven wie Sperenberg oder Jüterbog-Ost.
2. Die Grundrechte auf ein gesundes Leben (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) mit evtl. eigentumsrechtlicher Absicherung (Art. 14 GG) einer großen Vielzahl von Anwohnern haben nach BVerwG nur ein geringes Eigengewicht in der landesplanerischen Abwägung.
Im Klartext: Die Tatsache, dass 200.000 Anwohner am Standort Schönefeld statt evtl. 5.000 Betroffenen am Standort Sperenberg vom Fluglärm betrof-fen sein würden, sei z. B. in Anbetracht von 6 – 10 Minuten längerer An-fahrtszeit von Berlin-Mitte aus nach Sperenberg nahezu bedeutungslos. Denn der Träger der Landesplanung muss es nur erkannt haben, dass bei der Wahl eines stadtfernen Standorts die Anzahl der vom Fluglärm Betroffe-nen wesentlich geringer als bei einem Flughafen in der Nähe des hauptstäd-tischen Ballungsraumes ist.

Ob sämtliche Standortfaktoren in die Abwägung eingestellt und richtig gewichtet worden sind und ob die Bewertung in der Standortentscheidung richtig war, prüft das BVerwG offensichtlich gar nicht. Die Lockerung der Prüfungsdichte führt zu einer unzulässigen Reduzierung des Grundrechts-schutzes.
3. Da die Standortfrage nach Auffassung des BVerwG im Planfeststellungs-verfahren nur im Hinblick auf ihre Folgen relevant ist, der Standort selbst aber nicht mehr in Frage gestellt werden kann, war es damit in der Abwä-gung um die Grundrechte der betroffenen Bürgerinnen und Bürger in Bran-denburg und Berlin geschehen: Der Grundrechtsschutz aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, nämlich der verfassungsrechtliche Anspruch auf ein gesundes Leben, frei von schädlichen Umweltbeeinträchtigungen, und der Eigentumsschutz-anspruch der Grundstückseigentümer in der Umgebung des Flughafens Ber-lin-Schönefeld gem. Art. 14 GG war seiner Abwehrfunktion gegen staatlich zugelassene Eingriffe beraubt.
4. Verwundern muss auch Folgendes: Es scheint – nach Meinung des BVerwG - für die Standortentscheidung im Landesentwicklungsplan und die Planfeststellung völlig unbedeutend gewesen zu sein, dass am Standort Schönefeld in hohem Maße und mit relativ großem finanziellem Aufwand aktiver und passiver Schallschutz betrieben werden muss, also Betriebs-beschränkungen (Nachtflugverbot) bzw. bauliche Schallschutzmaßnahmen und Entschädigungen zu gewähren sind. Obgleich dadurch die Wirtschaft-lichkeit und die Sinnhaftigkeit des Projektes insgesamt in Frage gestellt sein könnte, hat dies in der Entscheidung des BVerwG nicht zu einer Rück-kopplung dahingehend geführt, dass man gesagt hat, auch landesplane-risch darf ein solcher Standort nicht gewählt werden. Üblicherweise erfolgen solche Überlegungen auch bei der Überprüfung des Planfeststellungsbe-schlusses. Das BVerwG hat seine Prüfungsdichte bei der Standortentschei-dung reduziert und überlässt es im Wesentlichen dem Planungsträger, ob geschützt werden soll oder nicht.
5. Durch einen „formalen Trick“ hat das BVerwG die Standortentscheidung für Schönefeld mit ihren extrem negativen Auswirkungen der Überprüfbarkeit im Rahmen der Abwägung zum Planfeststellungsbeschluss entzogen, indem es die Standortentscheidung völlig auf die Landesplanungsebene hebt. Da die Landesplanung nicht den Rechten Einzelner dient und zunächst daher nur objektiv rechtliche Bedeutung hat, aber nicht subjektiv den Einzelnen be-trifft, sind Eingriffe in die Grundrechte vieler auf eine objektive Ebene geho-ben. Ein Schelm, wer Böses denkt, und davon ausgeht, dass das BVerwG die Entscheidung einer verfassungsgerichtlichen Überprüfung entziehen möchte.

6. Das BVerwG hat die Grundrechte der betroffenen Bevölkerung der Beliebig-keit anheim gestellt: Bei der Standortentscheidung können - nach Auffas-sung des BVerwG - die Grundrechte landesplanerisch schon durch relativ geringwertige Interessen am Projekt in den Hintergrund gedrängt wer-den; bei der fachplanerischen Abwägung spielen die Grundrechte der Be-troffenen dann nur insoweit noch eine Rolle, als dass ein Anspruch „auf Flickschusterei“ besteht, also ein Recht darauf, die Folgen dieser schwer-wiegenden Standortentscheidung durch sekundäre Schutzmaßnahmen zu mindern. Damit bleibt der durch Art. 14 GG gewährte Vertrauensschutz auf vermögensrechtlichem Gebiet unberücksichtigt. Eigentum im Sinne des Art. 14 GG ist zwar nicht das Vermögen des Bürgers schlechthin, hier geht es aber um vermögenswerte Rechtspositionen.
7. Mit seinem übermäßigen Eingriff in die Grundrechte zahlreicher Flugha-fenanlieger durch die Standortentscheidung lockert das BVerwG die Be-standsgarantie des Eigentums und relativiert diese zu einer Eigen-tumswertgarantie. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-richts (BVerfG) ist diese Transformation unzulässig, denn die Relativierung ist nur möglich in Form einer zulässigen Enteignung und ist nicht mehr durch die Sozialbindung des Eigentums gedeckt. Die Eigentumsgarantie soll dem Grundrechtsträger einen „Freiheitsraum im vermögensrechtlichen Bereich“ sichern und ihm dadurch eine eigenverantwortliche Gestaltung seines Le-bens ermöglichen. (BVerfGE 24, S. 367, 389; ständige Rechtsprechung zu-letzt BVerfGE 78, 58 [73]; 79, 292 [303]; 83, 201 [208]). Für viele Anlieger des Flughafens ist das Wohngrundstück der einzige größere Vermögensge-genstand, der auch der Absicherung für das Alter dient. Indem das BVerwG die Standortentscheidung des LEP-FS für Schönefeld offensichtlich „um je-den Preis“ halten wollte, hat es die Bürger dazu „verurteilt“, wesentliche Nutzungsfunktionen ihres Eigentums aufzugeben und das Eigentum entwertet.
8. Wer nun geglaubt hat, dass für diese erheblich geminderten Nutzungsmög-lichkeiten ein angemessener finanzieller Gegenwert bereit gestellt worden sei, ganz nach dem Prinzip „Dulde und liquidiere bzw. kassiere“, der musste sich schon beim Studium des Planfeststellungsbeschlusses enttäuscht zei-gen. Das BVerwG hat diese Enttäuschung allerdings perfekt gemacht: Zum Einen hat das BVerwG ein niedriges Lärmschutzniveau gewählt und die gesamte Lärmwirkungsforschung der letzten fünf Jahre völlig außer acht gelassen, indem es sich im Wesentlichen auch von der Fluglärmsynopse von Janssen/Griefahn, Scheuch & Spreng leiten ließ. Zum Anderen hat es die Schutzstandards für den sekundären Lärmschutz und für Entschädi-gungen extrem niedrig und damit die Ausgleichs- und Entschädigungswer-te ebenfalls niedrig gehalten. Wenn ein Übernahmeanspruch erst bei ei-nem äquivalenten Dauerschallpegel von 70 dB(A) außen für die Tagstunden (6:00 – 22:00 Uhr) besteht, und die Kosten für Schallschutzeinrichtungen bei 30 % des Verkehrswertes von Grundstück und Gebäuden zu schützenden Räumen gedeckelt werden, wird in vielen Fällen eine Kapitalvernichtung von bis zu zwei Drittel des Immobilienwertes betrieben. Bedenkt man die Wertminderungen, die vor dem Bewertungszeitraum (15.05.2000) eingetre-ten sind, können bei baulich nicht schützbaren Gebäuden noch höhere Wertverluste eintreten.
9. Zusammenfassend ist festzustellen: Die Anwohner müssen sich im Ergeb-nis fragen, warum gerade die Hauptstadtnähe und die in Großstadtnähe an sich zahlreicheren Verkehrsverbindungen sowie das angeblich größere wirt-schaftliche Entwicklungspotential in Berlin ein solches Gewicht haben konn-ten, dass die Entwertung des Grundeigentums und die reduzierte Nutz-barkeit desselben sowie die gesundheitlichen Beeinträchtigungen bei Zigtausenden von Menschen zu einer vernachlässigbaren Größe degradiert werden und unberücksichtigt bleiben konnten. Auch ein gesteigertes Bevöl-kerungsrisiko in Form eines Absturzrisikos in Berlin-Schönefeld war offen-sichtlich nicht so bedeutsam, als dass es zu einer Prüfung des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG durch das Gericht Anlass geben und zu einer Verwerfung des Standortes führen konnte. Auf der Planfeststellungsebene wurden diese Eingriffe in Grundrechtspositionen Betroffener verfestigt. Daher ist davon auszugehen, dass die Grundrechte der betroffenen Anrainer des Flugha-fens Berlin-Schönefeld vom BVerwG nicht ordnungsgemäß berücksich-tigt worden sind. Sie wurden in erheblicher Weise unterbewertet und traten daher zu Unrecht gegenüber anderen Belangen zurück.
10. Endgültige Klarheit über die konkrete Argumentationsweise des Gerichts werden wir erst haben, wenn das im März angesprochene Urteil irgendwann auch begründet wird (nach Auskunft des Gerichts nicht vor Mitte Juni 2006). Dann wird auch festzustellen sein, ob eventuelle Verfahrensfehler von ver-fassungsrechtlicher Relevanz gemacht worden sind.
II. Besonderheiten bei „unmittelbar“ Grundstücksbetroffenen
Wessen Eigentum in Anspruch genommen wird, ist besonders betroffen und kann im Rahmen des Planfeststellungsverfahrens typischerweise sämtliche ihn und sei-ne Rechtspositionen unterstützenden Gesichtspunkte ins Feld führen. Im Hin-blick auf einen Kläger, der mit seinem Grund und Boden, seinem Wohnhaus und einem Beherbergungsbetrieb mitten im Flughafengelände liegen wird, kann von Brisanz sein, wie das BVerwG die Enteignungsvorwirkung ausgehebelt hat. Da der betreffende Grundeigentümer bei einer Zwangsumsiedlung auch seinen Be-herbergungsbetrieb schließen müsste, ist er nicht nur in Art. 2 Abs. 2, 14 GG, son-dern auch in seiner Berufsfreiheit ganz erheblich betroffen (Art. 12 GG).
III. Die Zulässigkeit einer Verfassungsbeschwerde zum Bundesverfas-sungsgericht (§ 90 Abs. 1 BVerfGG)
Die Anrufung des BVerfG im Wege der Verfassungsbeschwerde setzt voraus, dass eine Grundrechtsrüge erhoben wird. Der Beschwerdeführer muss behaupten, in einem seiner Grundrechte verletzt zu sein (§ 90 Abs. 1 BVerfGG).
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich sowohl gegen den Planfeststellungsbe-schluss als auch gegen das Urteil des BVerwG, soweit sie eine die Kläger betref-fende Negativentscheidung enthalten. Verfassungsbeschwerde können dabei sämtliche Kläger erheben, über deren Klage entschieden worden ist.
Die Frist beträgt bei Verfassungsbeschwerden gegen Gerichtsentscheidungen ei-nen Monat nach Bekanntgabe der in vollständiger Form abgefassten Entschei-dung (§ 90 Abs. 1 BVerfGG). Zur Begründung des schriftlichen Antrags (§ 23 Abs. 1 BVerfGG) gehört die Angabe des Grundrechts, dessen Verletzung der Be-schwerdeführer behauptet, sowie des angegriffenen Hoheitsakts. Die Verletzung muss substantiiert dargelegt werden (ständige Rechtssprechung, vgl. BVerfGE 89, 155, 171 ff).
IV. Eilverfahren zum Bundesverfassungsgericht?
Gemäß § 32 BVerfGG kann das BVerfG im Streitfall den Zustand durch einstwei-lige Anordnung vorläufig regeln, wenn „dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist“.
Die Funktion des vorläufigen Rechtsschutzes liegt darin, die Zeit bis zur Hauptsa-cheentscheidung aus verfassungsrechtlichen Gründen (Art. 19 Abs. 4 GG) zu ü-berbrücken. Im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde geht es darum, Eingriffe in Grundrechte, die nicht mehr rückgängig gemacht werden könnten (vollendete Tatsachen), zu verhindern. Dies betrifft insbesondere Kläger, deren Grund und Boden in Anspruch genommen werden soll, z.B. deren Anwesen planiert würde, wenn nicht rechtzeitig verfassungsgerichtlicher Rechtsschutz gewährt würde.
Voraussetzung für einen Eilantrag ist nicht, dass schon ein Verfahren vor dem BVerfG anhängig ist. Es genügt, dass es sich um einen Streitfall handelt, der über-haupt zur Zuständigkeit des BVerfG gehört.
Im vorliegenden Fall kann zwar noch nicht Verfassungsbeschwerde erhoben wer-den, weil das Urteil noch nicht begründet wurde. Allerdings ist das Urteil schon rechtskräftig, denn Urteile des BVerwG sind mit ihrer Verkündung unanfechtbar. Gleichwohl kann schon jetzt ein Eilverfahren zum BVerfG durchgeführt werden.