BGH, Urt. 29.11.2023 - VIII ZR 211/22

Fristlose Kündigung: Alleinige „Zerrüttung“ ist unzureichend

Autor: RA Dr. Rainer Burbulla, Langguth & Burbulla Rechtsanwälte PartG mbB, Düsseldorf
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 03/2024
Im Wohnraummietrecht reicht eine Zerrüttung des Mietverhältnisses im Sinne einer Zerstörung der das Schuldverhältnis tragenden Vertrauensgrundlage allein, ohne dass festgestellt werden kann, dass diese zumindest auch durch ein pflichtwidriges Verhalten des anderen Vertragsteils verursacht worden ist, grundsätzlich nicht aus, um einer Mietvertragspartei ein Recht zur außerordentlichen fristlosen Kündigung des Mietverhältnisses gem. § 543 Abs. 1 BGB zuzubilligen.

BGB §§ 543 Abs. 1, 568 Abs. 1, 573 a Abs. 1

Das Problem

Die Mieter bewohnen eine im 1. Obergeschoss gelegene 4-Zimmer-Wohnung seit 2011 und die Vermieter bewohnen eine Wohnung im Erdgeschoss desselben Mehrfamilienhauses. Seit dem Jahre 2014 kam es zwischen den Parteien zu regelmäßigen Auseinandersetzungen wegen angeblicher beidseitiger Vertragsverletzungen, wie etwa Verstöße gegen die Haus- und Reinigungsordnung, Lärmbelästigungen, fehlerhaftem Befüllen und Abstellen von Mülltonnen sowie Zuparken von Einfahrten. Im Mai 2020 erstatteten die Mieter eine Strafanzeige gegen die Vermieter wegen Verleumdung, in der sie u.a. angaben, die Vermieter hätten behauptet, die Mieter hätten sich rassistisch über türkisch stämmige Mitbürger geäußert. Zudem hätten die Vermieter die Mieter und ihre Familie mehrfach als „asozial“ und als „Penner“ beleidigt und sich im Treppenhaus schreiend über das mangelnde Putzverhalten der Mieter diesen gegenüber geäußert. Ferner parkte die Vermieterin die von den Mietern angemietete Garage absichtlich zu. Wegen der Strafanzeige und des „zerrütteten“ Mietverhältnisses erklärten die Vermieter die außerordentliche fristlose, hilfsweise die fristgemäße Kündigung des Mietverhältnisses. Mit ihrer Klage verlangen sie Räumung und Herausgabe der Mietwohnung.

Die Entscheidung des Gerichts

Der Senat verneint einen Anspruch auf Räumung und Herausgabe der gemieteten Wohnung aus § 546 Abs. 1 BGB. Die Kündigungserklärung habe nicht zur Beendigung des Mietverhältnisses geführt. Die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund (§§ 543 Abs. 1, 568 Abs. 1, 569 Abs. 2 BGB) lägen nicht vor.

Das Mietverhältnis sei zwar nachhaltig zerrüttet. Die Zerrüttung der Vertrauensgrundlage allein genüge für eine fristlose Kündigung gem. § 543 Abs. 1 BGB aber nicht. Nach der Rechtsprechung des Senats sei ein wichtiger Grund zur Kündigung von Dauerschuldverhältnissen nach den Vorschriften der §§ 626 Abs. 1, 543 Abs. 1, 314 Abs. 1 BGB im Allgemeinen nur dann gegeben, wenn der Grund, auf den die Kündigung gestützt wird, im Risikobereich des anderen Vertragsteils liegt (Hinweis auf BGH v. 19.4.2023 – XII ZR 24/22, MDR 2023, 759 = ZIP 2023, 1249; BGH v. 7.3.2013 – III ZR 231/12, MDR 2013, 450 = NJW 2013, 2021; s. auch Streyl in Schmidt-Futterer, Mietrecht, 15. Aufl., § 543 BGB Rz. 13 f.; Kraemer, WuM 2001, 163, 168). Diese Grundsätze gelten in gleicher Weise für den Bereich des Gewerberaummietrechts und des Wohnraummietrechts. Auch § 573a Abs. 1 BGB könne vorliegend nichts anderes entnommen werden, insbesondere nicht, dass bei einem Dauerkonflikt – unabhängig von dessen Ursachen – dem Mieter fristlos gekündigt werden könne. Denn § 573a Abs. 1 BGB regele lediglich die ordentliche Kündigung des Vermieters bei einem von ihm selbst bewohnten Gebäude mit nicht mehr als 2 Wohnungen. Zur außerordentlichen fristlosen Kündigung bei einem Mehrfamilienhaus – wie hier – verhalte sich § 573a Abs. 1 BGB dagegen nicht. Eine Verletzung mietvertraglicher Pflichten, welche die außerordentliche fristlose Kündigung des streitgegenständlichen Mietverhältnisses rechtfertigen könnte, sei hier auch nicht in der Erstattung der gegen die Vermieter gerichteten Strafanzeige durch die Mieter zu sehen. Denn bei der einzelfallbezogenen Gesamtabwägung sei auch zu berücksichtigen, ob der Anzeigeerstatter zur Wahrnehmung berechtigter eigener oder staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten gehandelt hat. Gemessen hieran sei die vom Berufungsgericht vorgenommene Einzelfallwürdigung nicht zu beanstanden.


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