EuGH, Beschl. 3.10.2019 - C-759/18

Internationale Scheidungszuständigkeit nach Art. 3 VO (EG) Nr. 2201/2003

Autor: RiOLG Jörg Michael Dimmler, Stuttgart
Aus: Familien-Rechtsberater, Heft 02/2020
Befindet sich der gewöhnliche Aufenthalt von Ehegatten mit derselben Staatsangehörigkeit in einem anderen EU-Mitgliedstaat, so kann der Antrag auf Scheidung aufgrund der Gleichrangigkeit der Anknüpfungsalternativen des Art. 3 Abs. 1 VO (EG) Nr. 2201/2003 auch im Mitgliedstaat der gemeinsamen Staatsangehörigkeit ohne Zustimmung des anderen Ehegatten gestellt werden. Sind die Gerichte der gemeinsamen Staatsangehörigkeit für das Scheidungsverfahren international zuständig, besteht indessen keine automatische amtswegige Zuständigkeit für eine Regelung wegen der Ausübung der elterlichen Sorge, sofern die Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 1 VO (EG) Nr. 2201/2003 nicht vorliegen.

VO (EG) Nr. 2201/2203 Art. 3 Abs. 1, Art. 12 Abs. 1, Art. 17

Das Problem

Aus einer im Jahr 2000 in Rumänien geschlossenen Ehe ging ein 2001 geborenes Kind hervor. Die Beteiligten sind rumänische Staatsangehörige. Kurz nach der Geburt des Kindes übersiedelte die Familie nach Italien. Mit Urteil vom 21.11.2012 stellte das Tribunale di Aosta die tatsächliche Trennung der Eheleute fest, sprach der Mutter das alleinige Sorgerecht zu und verpflichtete den Vater zu Unterhaltszahlungen. Der Vater beantragte am 3.9.2018 beim Amtsgericht Rădăuti in Rumänien die Scheidung. Nach rumänischem Recht müssen die Gerichte bei einem anhängigen Scheidungsantrag auch ohne einen Antrag von Amts wegen über die Ausübung der elterlichen Sorge bei gemeinsamen minderjährigen Kindern und die Verpflichtung zur Zahlung von Unterhalt entscheiden (Art. 919 Abs. 2 der rumänischen Zivilprozessordnung). Das AG Rădăuti hat Zweifel an seiner internationalen Zuständigkeit und den EuGH zur Frage der internationalen Zuständigkeit hinsichtlich der Ehescheidung und der elterlichen Sorge angerufen.

Die Entscheidung des Gerichts

Zur Frage der internationalen Zuständigkeit entscheidet der EuGH, dass es entgegen der Ansicht des vorlegenden rumänischen Gerichts nicht auf eine stillschweigende Anerkennung der Zuständigkeit ankommt. Vielmehr eröffnet Art. 3 Abs. 1 lit. b VO (EG) Nr. 2201/2003 (EuEheVO; Brüssel IIa-VO) neben den sechs Spiegelstrichalternativen des Art. 3 Abs. 1 lit. a VO (EG) Nr. 2201/2003 die weitere Möglichkeit, einen Scheidungsantrag im Gerichtsstaat der gemeinsamen Staatsangehörigkeit einzureichen; eine (ausdrückliche) Zustimmung des Scheidungsgegners ist hierfür gerade nicht erforderlich. Dem angerufenen Gericht ist es daher verwehrt, sich amtswegig nach Art. 17 VO (EG) Nr. 2201/2003 für unzuständig zu erklären. Eine automatische internationale Zuständigkeit für Fragen der elterlichen Verantwortung besteht indessen nicht, selbst wenn der Antragsgegner nicht erschienen ist. Eine solche lässt sich nur unter den speziellen Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 1 VO (EG) Nr. 2201/2003 bejahen.


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