§ 7 Abs. 2 Nr. 1 TMG wird zum Maßstab im Rahmen von § 4 Nr. 8 UWG

Autor: Jennifer Hort-Boutouil, LL.M. EUR, LOGIN Partners Rechtsanwälte, Pulheim
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 12/2015
Die Betreiber von Internet-Bewertungsportalen verbreiten nicht zu Eigen gemachte Inhalte nicht schon dadurch i.S.v. § 4 Nr. 8 UWG, dass sie die Möglichkeit ihrer inhaltlichen Kenntnisnahme verschaffen. Bei unionsrechtskonformer Auslegung von § 4 Nr. 8 UWG ist nämlich der Maßstab vom § 7 Abs. 2 Satz 1 TMG zu berücksichtigen und im Ergebnis nach dem Prinzip „notice and takedown” zu verfahren.

BGH, Urt. v. 19.3.2015 - I ZR 94/13 (rkr.)

Vorinstanz: KG, Urt. v. 16.4.2013 - 5 U 63/12

UWG § 2 Abs. 1 Nr. 1, § 4 Nr. 8; TMG §§ 8–10

Das Problem

Die Zimmer einer Hotelbetreiberin können über das Internet gebucht werden.

Ein Online-Reisebüro bietet(zu dessen Unterstützung) ein Internetportal zur anonymen Bewertung von Hotels. Die Bewertungen durchlaufen eine Wortfiltersoftware, die Beleidigungen, Schmähkritik und Eigenbewertungen von Hotelbetreibern auffinden soll. Unauffällige Bewertungen werden automatisch veröffentlicht. Ausgefilterte Bewertungen werden von Mitarbeitern des Online-Reisebüros geprüft und, sofern keine Beanstandung besteht, manuell freigegeben. Die Nutzerbewertungen wertet das Online-Reisebüro statistisch aus und errechnet eine Weiterempfehlungsrate. Im Portal des Online-Reisebüros wurden (unstreitig) unwahre Tatsachenbehauptungen über das die Hotelbetreiberin veröffentlicht. Die Hotelbetreiberin mahnte das Online-Reisebüro ab. Diese entfernte den Beitrag, ohne eine Unterlassungserklärung abzugeben. Die Hotelbetreiberin verfolgte den Unterlassungsanspruch – in den Instanzen erfolglos – weiter.

Die Entscheidung des Gerichts

Die Revision vor dem BGH bleibt erfolglos.

Zwar seien die Parteien Wettbewerber i.S.v. § 2 Abs. 1 Nr. 1 UWG, da die Vorteile des Bewertungsportals für das Online-Reisebüro, zum Nachteil der Hotelbetreiberin würden, deren Absatz sinke. Ein Unterlassungsanspruch sei jedoch zu verneinen: Das Online-Reisbüro habe die falschen Tatsachen weder i.S.v. § 4 Nr. 8 UWG behauptet, da zu Eigen gemacht, noch diese verbreitet.

Zu Eigen machen: Nach den Maßstäben des Telemediengesetzes (TMG) würden sich Diensteanbieter i.S.v. § 7 Abs. 1 TMG, wie das Online-Reisebüroeiner sei, Inhalte der von ihnen betriebenen Internetseiten zu Eigen machen, wenn nach außen erkennbar die inhaltlich-redaktionelle Verantwortung übernommen oder der zurechenbare Anschein erweckt werde, der Diensteanbieter identifiziere sich mit den fremden Inhalten. Das sei hier nicht der Fall. Denn Inhalt und Gestaltung des Bewertungsportals erweckten nicht den Eindruck, das Online-Reisebüro identifiziere sich mit den veröffentlichten Inhalten. Dass das Online-Reisebüro die Nutzerbewertungen vor ihrer Veröffentlichung inhaltlich-redaktionell prüfe, sei schon gar nicht behauptet worden. Die statistische Auswertung und die Berechnung einer Weiterempfehlungsrate seien nicht mit einer inhaltlich-redaktionellen Kontrolle vergleichbar, da das Online-Reisebüro dadurch keinen Einfluss auf den Inhalt der Bewertungen ihrer Nutzer nehme.

Verbreiten: Das Online-Reisebüro habe die falschen Tatsachenbehauptungen durch seine Freigabe zur inhaltlichen Kenntnisnahme auch nicht i.S.v. § 4 Nr. 8 UWG verbreitet. In Abgrenzung von der noch zu § 14 UWG a.F. ergangenen Rechtsprechung des Senats selbst, könne es für ein Verbreiten fremder Tatsachenbehauptungen im Falle der Weitergabe derselben über ein Bewertungsportal im Internet nicht ausreichen, wenn diese weitergegeben und so Dritten die Möglichkeit inhaltlicher Kenntnisnahme verschafft werde, ohne dass es auf ein zu Eigen machen ankommen würde (so: BGH, Urt. v. 23.2.1995 – I ZR 75/93). Der Betreiber eines Internet-Bewertungsportals könne einer Verbreitungshaftung sonst nur durch eine umfassende inhaltliche Überprüfung der von Nutzern in das Portal eingestellten Beiträge vor deren Veröffentlichung entgehen.

Unionsrechtskonforme Auslegung von § 4 Nr. 8 UWG: Einer solchen allgemeinen Prüfpflicht stehe jedoch § 7 Abs. 2 S. 1 TMG entgegen, der Art. 15 Abs. 1 RiLi 2000/31/EG umsetze. Danach sind Diensteanbieter gerade nicht verpflichtet, die von ihnen übermittelten oder gespeicherten Informationen zu überwachen oder nach Umständen zu forschen, die auf eine rechtswidrige Tätigkeit hindeuten. Nicht ausgeschlossen seien hingegen Überwachungspflichten in spezifischen Fällen sowie die Pflicht zur Anwendung der nach vernünftigem Ermessen zu erwartenden Sorgfalt zur Aufdeckung und Verhinderung bestimmter Arten rechtswidriger Tätigkeiten. Das gelte solange, wie der Diensteanbieter eine rein neutrale Vermittlerposition und keine aktive Rolle einnehme, die ihm Kenntnis oder Kontrolle über die eingebrachten Daten verschaffe. Bei unionsrechtskonformer Auslegung des Tatbestandsmerkmals habe die Beklagte, die falschen Tatsachenbehauptungen deshalb nicht i.S.v. § 4 Nr. 8 UWG verbreitet. Denn eine über die Aussonderung von gegen die Nutzungsbedingungen verstoßenden Beiträgen hinausgehende inhaltliche Einflussnahme habe gerade nicht stattgefunden.

Spezifische Überwachungspflichten: Auch spezifische Überwachungspflichten, deren Bestimmung sich nach der Zumutbarkeit im Einzelfall richte, seien nicht verletzt worden. Entscheidend sei, ob die Rechtsverletzung offensichtlich ist oder eine unklare Rechtslage erst der Prüfung bedarf sowie die Anfälligkeit des angebotenen Dienstes für Rechtsverstöße. Vorliegend schaffe das Online-Reisebüro im Hinblick auf die Rechte der betroffenen Tourismusunternehmen zwar eine besondere Gefahrenlage, betreibe aber ein grundsätzlich mit der Rechtsordnung im Einklang stehendes Geschäftsmodell. Deshalb dürften dem Online-Reisebüro keine Prüfpflichten auferlegt werden, die dieses Geschäftsmodell wirtschaftlich gefährden oder unverhältnismäßig erschweren. Den Interessen der Hotelbetreiberin sei genüge getan, wenn das Online-Reisebüro die konkrete Bewertung sperren müsse, sobald sie auf die klare Rechtsgutverletzung hingewiesen werde. Das habe sie jedoch getan.


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