EuGH, Urt. 7.9.2023 - C-832/21

Internationale Gerichtszuständigkeit nach Art. 8 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012/EU für Markenverletzungsklage gegen die Vertragsparteien eines exklusiven Vertriebsvertrags

Autor: Dr. Danjel-Philippe Newerla, Kanzlei Dr. Newerla, Bremerhaven
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 12/2023
Art. 8 Nr. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12.12.2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass mehrere Beklagte, die ihren Wohnsitz in unterschiedlichen Mitgliedstaaten haben, vor dem Gericht des Wohnsitzes eines von ihnen, bei dem vom Inhaber einer Unionsmarke im Rahmen einer Verletzungsklage Klageansprüche gegen alle diese Beklagten geltend gemacht wurden, verklagt werden können, wenn ihnen jeweils eine materiell identische Verletzung dieser Marke vorgeworfen wird und sie durch einen exklusiven Vertriebsvertrag verbunden sind.

VO Nr. 1215/2012 Art. 8 Nr. 1

Das Problem

Die Entscheidung des EuGH beruht auf einem Vorabentscheidungsersuchen des OLG Düsseldorf, betreffend die Auslegung von Art. 8 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012/EU über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (OLG Düsseldorf, Beschl. v. 16.12.2021 – 20 U 128/20).

Im Ausgangsrechtsstreit klagt die Advance Magazine Publishers Inc. gegen die Beverage City & Lifestyle GmbH mit Sitz im Bundesland Brandenburg und gegen die polnische Beverage City Polska Sp. z.o.o. sowie gegen die jeweiligen Geschäftsführer beider Unternehmen, u.a. auf unionsweite Unterlassung, weil sie ihre Unionsmarken „VOGUE“ durch den Energydrink „DIAMANT VOGUE“ verletzt sieht. Die polnische Beklagte ist die Herstellerin des Getränks, die deutsche Beklagte bezog von ihr als deren exklusiver Vertriebspartner für Deutschland diese Produkte. Im Übrigen bestehen jedoch, trotz Namensähnlichkeit, keine rechtlichen Beziehungen zwischen den beiden Gesellschaften, insbesondere auch keine konzernmäßige Verbindung.

Die polnischen Beklagten bestreiten deshalb die internationale Zuständigkeit des LG Düsseldorf.

Der rechtliche Rahmen beinhaltet die Verordnung Nr. 1215/2012/EU sowie die Verordnung 2017/1001/EU über die Unionsmarke. Art. 8 der Verordnung Nr. 1215/2012/EU regelt die Zuständigkeit bei Klagen gegen mehrere Beklagte, die ihren Wohnsitz in verschiedenen Mitgliedstaaten haben, wobei Art. 8 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012/EU die gerichtliche Zuständigkeit in Fällen regelt, in denen mehrere Beklagte, die in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig sind, verklagt werden. Danach kann eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, auch vor dem Gericht des Ortes verklagt werden, an dem einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen können. Das LG Düsseldorf hatte dies für die polnischen Beklagten bejaht und die internationale Zuständigkeit als Unionsmarkengericht für Nordrhein-Westfalen, dem Bundesland in dem der beklagte Geschäftsführer der deutschen GmbH wohnt, angenommen. Dabei war das Landgericht davon ausgegangen, dass hier die Grundsätze gelten, die der Europäische Gerichtshof in der Entscheidung „Nintendo ./. BigBen“ (EuGH, Urt. v. 27.9.2017 – C-24/16, 25/16) aufgestellt hat.

Gegen die antragsgemäße Verurteilung durch das Landgericht wehren sich die beiden polnischen Beklagten vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf. Beverage City Polska und deren Geschäftsführer argumentieren, dass die deutschen Gerichte keine internationale Zuständigkeit für die Entscheidung über die Klage gegen sie haben; es bestehe keine relevante Verbindung zwischen ihnen und der Beverage City & Lifestyle sowie deren Geschäftsführer und ihre Handlungen und die Belieferung ihrer Abnehmer mit den Waren habe ausschließlich in Polen stattgefunden

Die (Wohn-)Sitz-Zuständigkeit der Düsseldorfer Gerichte besteht einzig für den mitverklagten Geschäftsführer der deutschen GmbH, dem sog. „Ankerbeklagten“. Die Zuständigkeit für die polnische Gesellschaft und deren Geschäftsführer kann nur über Art. 8 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2021 erreicht werden. Einziger Anknüpfungspunkt für die „enge Beziehung“ i.S.d. Art. 8 Nr. 1 ist die exklusive Lieferbeziehung. Zur Klärung, ob ein exklusiver Vertriebsvertrag für diese Normvoraussetzung ausreichend ist, hat das OLG Düsseldorf folgende Vorlagefrage an den EuGH gerichtet:

„Ist eine „so enge Beziehung“ zwischen den Klagen, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um einander widersprechende Entscheidungen zu verhindern, i.S.v. Art. 8 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012/EU gegeben, wenn bei der Verletzungsklage wegen Verletzung einer Unionsmarke der Zusammenhang darin besteht, dass die in einem Mitgliedstaat (hier: Republik Polen) ansässige Beklagte die eine Unionsmarke verletzenden Waren an eine in einem anderen Mitgliedstaat (hier: Bundesrepublik Deutschland) ansässige Beklagte, deren ebenfalls als Verletzer verklagter gesetzlicher Vertreter der Ankerbeklagte ist, geliefert hat, wenn die Parteien nur über die reine Lieferbeziehung miteinander verbunden sind und weder rechtlich noch tatsächlich ein darüber hinausgehender Zusammenhang besteht?“

Die Entscheidung des Gerichts

Der EuGH hat die Vorlagefrage, wie aus dem obigen Leitsatz ersichtlich, beantwortet.

In seiner Begründung stellt der EuGH zunächst fest, dass Art. 8 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012/EU auf Klagen wegen der Verletzung einer Unionsmarke anwendbar sei. Der Schutz einer Unionsmarke gewähre dem Inhaber ein ausschließliches Recht, das für die gesamte Union einheitlich sei. Die Voraussetzung für die Anwendung von Art. 8 Nr. 1 sei das Vorliegen einer so engen Beziehung zwischen den Klagen, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheine, um widersprechende Entscheidungen zu vermeiden.

Der EuGH betont insoweit, dass in getrennten Verfahren ergehende Entscheidungen nicht schon deswegen als einander widersprechend betrachtet werden können, weil es zu einer abweichenden Entscheidung der Rechtsstreitigkeiten kommt, sondern die Abweichung außerdem bei derselben Sach- und Rechtslage auftreten muss.

Im vorliegenden Fall verfolgt die Klägerin den Schutz ihres ausschließlichen Rechts an Unionsmarken. Die hier erhobene Verletzungsklage bezwecke den Schutz dieses ausschließlichen Rechts, so dass die Voraussetzungen des Vorliegens derselben Rechtslage erfüllt scheinen, was letztlich aber das OLG Düsseldorf prüfen müsse.

Zum Vorliegen derselben Sachlage betont der EuGH, dass das Bestehen eines Zusammenhangs zwischen den betreffenden Klagen hauptsächlich von der Beziehung zwischen allen begangenen Verletzungshandlungen herrührt und nicht von den Organisations- oder Kapitalbeziehungen zwischen den betroffenen Gesellschaften. Desgleichen sei für die Feststellung, ob dieselbe Sachlage vorliegt, auch besonderes Augenmerk auf die Art der Vertragsbeziehungen zwischen dem Abnehmer und dem Lieferanten zu legen. Der exklusive Vertriebsvertrag zwischen Beverage City Lifestyle und Beverage City Polska vermag es, laut EuGH, „vorhersehbar zu machen“, dass bei den ihnen vorgeworfenen Verletzungshandlungen möglicherweise davon ausgegangen wird, dass sie dieselbe Sachlage betreffen, was zur Zuständigkeit eines einzigen Gerichts für die Entscheidung über die Klageansprüche gegen sämtliche Akteure führen kann. Gemeint ist damit wohl eine entsprechende „Indizwirkung“ des Exklusivliefervertrages. Die enge Zusammenarbeit der Gesellschaften manifestiere sich auch im Betrieb zweier Websites, deren Domaininhaber einer der Mitbeklagten allein ist und über die durch Verweise zwischen diesen Seiten die im Ausgangsverfahren streitgegenständlichen Waren vertrieben wurden. Dieser Umstand könne das Bestehen eines Zusammenhangs zwischen den Klageansprüchen von Advance Magazine Publishers bestärken. Die entsprechenden Feststellungen der Einzelfallumstände zur Beurteilung, ob hinsichtlich der Klageansprüche gegen verschiedene Beklagte dieselbe Rechts- und Sachlage vorliegt, ist Sache des vorlegenden Gerichts, betont der EuGH. Dieses müsse sich auch vergewissern, dass die Klageansprüche, die gegen den einzigen der Mitbeklagten gerichtet sind, dessen Wohnsitz die Zuständigkeit des angerufenen Gerichts begründet, nicht bezwecken, die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 8 Nr. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012/EU „künstlich zu erfüllen“ (Missbrauchsargument).


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