Als „Gegendarstellung” bezeichnete und veröffentlichte Kritik an einer Berichterstattung als Meinungsäußerung

Autor: Prof. Dr. Elmar Schuhmacher, RA und FA für Urheber- und Medienrecht, Lungerich Lenz Schuhmacher, Köln
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 05/2013
Mit „Gegendarstellung” überschriebene Äußerungen, die sowohl Tatsachenbehauptungen als auch Werturteile enthalten, können insgesamt als Meinungsäußerung angesehen werden, wenn sie durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind.

OLG Frankfurt, Urt. v. 11.10.2012 - 16 U 25/12

Vorinstanz: LG Frankfurt/M., Urt. v. 22.11.2011 - 2-3 O 325/11

BGB §§ 823 Abs. 1, 1004 analog; GG Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1

Das Problem:

Auf ihrer Website veröffentlicht eine ehemalige Stadtverordnete einen mit „Gegendarstellung” überschriebenen Text, in dem sie sich gegen die Berichterstattung eines Journalisten wendet, der zuvor einen Artikel über eine von ihr gehaltene Rede verfasst hatte, in der sie u.a. über die Judenvernichtung und den Afghanistankrieg gesprochen hatte. Gegen diesen Artikel mit dem Titel „Stadtverordnete vergleicht Judenvernichtung und Krieg in Afghanistan” war die Stadtverordnete erfolglos gerichtlich vorgegangen. Auf ihrer Website führt sie nun aus:

Durch diese Titelwahl und die folgende Berichterstattung suggeriert er, ich hätte beide genannten Ereignisse nicht nur verglichen, sondern sogar gleichgesetzt ... Zu keinem Zeitpunkt, auch nicht in der zitierten Rede, habe ich den Holocaust mit einem anderen historischen oder gegenwärtigen Ereignis verglichen oder gleichgesetzt ... Mit seiner irreführenden Berichterstattung handelt der Journalist unredlich. Da die Rechtsordnung mir keinen Schutz davor und den impliziten ehrverletzenden Behauptungen bietet, sehe ich mich zu dieser Gegendarstellung gezwungen.

Gegen diese Ausführungen wendet sich nunmehr der Journalist, da ihm seiner Ansicht nach unterstellt würde, er habe absichtlich dem Leser seines Artikels ein falsches Bild von der Rede vermitteln wollen. Soweit negiert werde, den Holocaust mit einem anderen historischen oder gegenwärtigen Ereignis verglichen oder gleichgesetzt zu haben, stelle dies aufgrund der entsprechenden Feststellungen des vorausgegangenen Gerichtsverfahrens eine falsche Tatsachenbehauptung dar, mit dem ihm eine Unredlichkeit und irreführende Berichterstattung vorgeworfen werde. Zumindest aber seien die Äußerungen als Schmähkritik zu werten. Der Journalist begehrt Unterlassung und Geldentschädigung. Nachdem das LG die Klage abwies, wendet er sich dagegen im Wege der Berufung.

Die Entscheidung des Gerichts:

Das OLG weist die Berufung zurück.

Meinungsäußerung: Das Gericht führt aus, dass es sich bei dem beanstandeten Text als Ganzes um eine Meinungsäußerung handelt. Zwar sei er mit „Gegendarstellung” überschrieben und enthalte auch Tatsachenbehauptungen, damit verbunden wären aber auch Äußerungen, die durch Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt und damit Werturteile sind. Seien Tatsachenbehauptungen und Werturteile miteinander verbunden bzw. gehen sie ineinander über, komme es für die rechtliche Einordnung darauf an, was im Vordergrund steht und damit überwiegt. Danach sei hier von einer Meinungsäußerung auszugehen. Insbesondere der letzte Satz des Textes mache deutlich, dass es der Stadtverordneten darum gehe, mangels vermeintlich fehlenden Schutzes durch die Rechtsordnung ihre Sicht der Dinge im Hinblick auf die von ihr angegriffene Berichterstattung des Journalisten darzustellen und sich gegen „implizit ehrverletzende Behauptungen” zu wehren. Auch aus dem Vorwurf der Irreführung und Unredlichkeit ergäbe sich, dass eine Bewertung der Berichterstattung vorliegt.

Schmähkritik: Sie läge nur vor, wenn eine Äußerung jeglichen sachlichen Bezug vermissen lässt, die inhaltliche Auseinandersetzung zurücktritt und die Diffamierung im Vordergrund steht, die jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll. Diese Voraussetzungen seien hier aber nicht erfüllt, da es maßgeblich um eine inhaltliche Auseinandersetzung in der Sache gehe. Eine Schmähkritik ergäbe sich auch nicht daraus, dass die Meinung mit der unzutreffenden Tatsachenbehauptung begründet wird, den genannten Vergleich nicht aufgestellt zu haben. Zwar könne das Fehlen jeglicher tatsächlichen Anhaltspunkte, auf die sich eine Meinung stützt, ein maßgebliches Kriterium für die Frage darstellen, ob die Grenze zur Schmähkritik überschritten sei, jedoch sei hier ein entsprechender Kontext festzustellen.

Abwägung: Eine solche zwischen dem Persönlichkeitsrecht nach Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG und der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 GG führe zu keinem anderen Ergebnis. Es sei ein berechtigtes Interesse der ehemaligen Stadtverordneten anzuerkennen, eine eigene Interpretation ihrer Rede gegen jene des Journalisten zu veröffentlichen. Durch den Hinweis auf den fehlenden Schutz der Rechtsordnung werde deutlich, dass dem Journalisten rechtlich keine Vorwürfe gemacht werden können, seine Berichterstattung aber dennoch als irreführend und unredlich empfunden werde. Dies habe er aber im Rahmen eines geistigen Meinungskampfes hinzunehmen.


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