BAG, Urt. 27.9.2022 - 2 AZR 508/21

Verdachtskündigung wegen Nichtbonieren von Warenverkäufen – Darlegungslast

Autor: RA FAArbR Dr. Artur Kühnel, VAHLE KÜHNEL BECKER FAeArbR, Hamburg
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 02/2023
Die bewusste Vereinnahmung von Geldern aus Warenverkäufen ohne Bonierung kann eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen. Bereits die fehlende Erfassung im Kassensystem gefährdet das Vermögen des Arbeitgebers und erschüttert sein Vertrauen in die Redlichkeit des Arbeitnehmers. Auch wenn der Arbeitgeber für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes darlegungs- und beweisbelastet ist, kann den Arbeitnehmer eine sekundäre Darlegungslast treffen. Dies gilt insbesondere, wenn er die wesentlichen Tatsachen kennt, während der Arbeitgeber außerhalb des Geschehensablaufs steht. Soweit der Arbeitnehmer seiner Darlegungslast nicht nachkommt, gilt das Vorbringen des Arbeitgebers, falls es nicht völlig „aus der Luft gegriffen“ ist, als zugestanden.

BGB § 241 Abs. 2, § 626 Abs. 1; ZPO § 138 Abs. 1, 3, § 286 Abs. 1

Das Problem

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier Kündigungen.

Der Kläger war als Kellner bei der Beklagten beschäftigt und hatte seine Verkäufe ordnungsgemäß an einer von ihm allein bedienten Kasse zu bonieren, was bei geöffneter Kasse nicht möglich war. Trinkgelder durften nicht in der Kasse aufbewahrt und nicht mit Umsatz und Wechselgeld vermischt werden.

Nach einem Hinweis auf eine über längere Zeit offenstehende Kassenlade führte die Beklagte eine Kassenkontrolle durch, die eine positive Differenz im Kassenbestand ergab. Nach Anhörung des Klägers kündigte die Beklagte außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich aufgrund zumindest dringenden Verdachts, dass er Verkäufe absichtlich nicht boniert habe.

In den Vorinstanzen unterlag die Beklagte. Mit der Revision verfolgt sie ihren Klageabweisungsantrag weiter.

Die Entscheidung des Gerichts

Das BAG hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache an das LAG zurückverwiesen.

Die Manipulation eines Kassenvorgangs, um sich zu bereichern, sei – ebenso wie der dringende Verdacht – unabhängig von der Höhe eines dadurch entstandenen Schadens aufgrund des damit verbundenen Vertrauensbruchs „an sich“ als wichtiger Grund für eine außerordentliche fristlose Kündigung i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB geeignet.

Dies gelte auch, wenn ein Arbeitnehmer Waren bewusst ohne Bonierung verkaufe. Bereits die fehlende Erfassung im Kassensystem gefährde das Vermögen des Arbeitgebers und erschüttere das Vertrauen in die Redlichkeit des Mitarbeiters.

Dem Arbeitgeber obliege im Kündigungsschutzprozess die volle Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes. Bezüglich Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen des Arbeitnehmers sei diese abgestuft.

Jedoch könne den Arbeitnehmer bereits auf der Tatbestandsebene des wichtigen Grundes eine sekundäre Darlegungslast treffen. Dies sei insb. der Fall, wenn er aufgrund seiner Sachnähe die wesentlichen Tatsachen kenne, während der Arbeitgeber außerhalb des fraglichen Geschehensablaufs stehe. Dann könne er gehalten sein, dem Arbeitgeber durch nähere Angaben zu ermöglichen, weitere Nachforschungen anzustellen und sodann substantiiert zum Kündigungsgrund vorzutragen und ggf. Beweis anzutreten. Komme der Arbeitnehmer dem nicht nach, gelte das tatsächliche Vorbringen des Arbeitgebers, soweit es nicht völlig „aus der Luft gegriffen“ sei, i.S.v. § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden.

Gemessen daran habe das LAG die Anforderungen an die Darlegungen der Beklagten gem. § 138 Abs. 1 ZPO überspannt und verkannt, dass zu Lasten des Klägers eine sekundäre Darlegungslast eingreifen könne. Zudem habe es seine Würdigung nach § 286 Abs. 1 ZPO nicht auf das schlüssige und substantiierte Vorbringen der Parteien dazu beschränkt, wie sich der Kassenüberschuss habe ergeben können.


Wussten Sie schon?

Werden Sie jetzt Teilnehmer beim Anwalt-Suchservice und Sie greifen jederzeit online auf die Zeitschrift „Arbeits-Rechtsberater“ des renommierten juristischen Fachverlags Dr. Otto Schmidt, Köln, zu.

Die Zeitschrift ist speziell auf Praktiker zugeschnitten. Sie lesen aktuelle Urteilsbesprechungen inklusive speziellem Beraterhinweis sowie Fachaufsätze und Kurzbeiträge zum Thema Arbeitsrecht und zwar 24/7, also wo und wann immer Sie wollen.

Infos zur Teilnahme