BAG, Urt. 5.12.2023 - 9 AZR 364/22

Auswirkungen von Krankheit auf den Urlaubsanspruch bei Kurzarbeit „Null“

Autor: RA FAArbR Dr. Henning Hülbach, BOISSERÉE Rechtsanwälte Partnerschaft mbB, Köln, Lehrbeauftragter für Arbeitsrecht (TH Köln)
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 03/2024
Erkrankt ein Arbeitnehmer während zuvor eingeführter Kurzarbeit, stehen die ausgefallenen Arbeitstage Zeiten mit Arbeitspflicht nicht gleich. Sie haben daher keinen Einfluss auf die Berechnung des Urlaubsanspruchs.

BGB § 139, § 306 Abs. 1, § 307 Abs. 1 Satz 1; BUrlG § 1, § 3 Abs. 1, § 7 Abs. 4; RL 2003/88/EG Art. 7 Abs. 1; SGB III § 98 Abs. 3 Nr. 2; SGB V § 47b Abs. 4 Satz 1

Das Problem

Der Kläger war vom 20.3.2020 bis Ende 2020 arbeitsunfähig krank. Aufgrund einer vorangegangenen vertraglichen Vereinbarung führte die beklagte Arbeitgeberin mit Wirkung zum 1.4.2020 Kurzarbeit „Null“ ein, die bis zum Ende des Jahres 2020 andauerte. Das Arbeitsverhältnis endete zum Ablauf des 31.1.2021.

Mit seiner Klage begehrt der Kläger Urlaubsabgeltung für den Zeitraum seines gesetzlichen Urlaubsanspruchs während der Dauer der Kurzarbeit. Beide Vorinstanzen haben das Begehren des Klägers abgelehnt.

Die Entscheidung des Gerichts

Auch die Revision bleibt erfolglos. Der Kläger hat laut BAG keinen Anspruch auf weitere Urlaubsabgeltung.

Der Anspruch auf Urlaubsabgeltung setze voraus, dass zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses noch offene Urlaubsansprüche bestünden, die nicht mehr erfüllt werden können. Die Berechnung der Urlaubstage erfolge u.a. anhand der Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht. Es sei dabei folgende Formel anzuwenden:

24 Werktage × Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht: 312 Werktage (bei einer Sechstagewoche)

Mit Einführung der Kurzarbeit reduziere sich die Anzahl der Tage mit Arbeitspflicht um die Dauer der Kurzarbeit „Null“. Eine Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers ändere an dieser Bewertung nichts.

Dies stehe im Einklang mit dem EU-Recht und bedürfe daher keines Vorabentscheidungsersuchens. Auch nach dem Unionsrecht stelle der Urlaub eine Erholung von tatsächlich abgeleisteter Arbeit dar. Dafür müsse jedoch grds. eine Arbeitspflicht bestanden haben, d.h. die Erkrankung müsse Ursache für den Wegfall der Arbeitspflicht gewesen sein. Durch die Einführung der Kurzarbeit sei jedoch die Arbeitspflicht bereits unabhängig von einer Erkrankung entfallen.

Sowohl die nationalen als auch die unionsrechtlichen Vorschriften bezweckten eine Gleichstellung von arbeitsunfähigen Arbeitnehmern mit Arbeitnehmern, die während dieses Zeitraums tatsächlich gearbeitet haben. Spreche man dem arbeitsunfähigen Arbeitnehmer für den Zeitraum der Kurzarbeit „Null“ jedoch Urlaubstage zu, führe das nicht zur beabsichtigten Gleichstellung mit arbeitsfähigen Arbeitnehmern, sondern zu einer ungewollten Privilegierung von arbeitsunfähigen Arbeitnehmern.

Die vertragliche Vereinbarung zur Einführung der Kurzarbeit sei wirksam gewesen und habe für den streitgegenständlichen Zeitraum die Arbeitspflicht suspendiert. Der Mindestinhalt (Beginn und Dauer, Lage und Verteilung der Arbeitszeit, Auswahl der betroffenen Arbeitnehmer) sei eingehalten.

Die Formulierung, dass die Einführung von Kurzarbeit unter dem Vorbehalt der Bewilligung von Kurzarbeitergeld gem. §§ 95 ff. SGB III durch die Agentur für Arbeit stehe, sei vor dem mit dem Vertrag verfolgten Ziel zu sehen sowie im Hinblick auf rechtsunkundige, verständige und redliche Vertragspartner zu beurteilen. Die Vertragspartner hätten die Kurzarbeit nicht davon abhängig machen wollen, dass der Arbeitnehmer Kurzarbeitergeld von der Agentur für Arbeit erhalte; vielmehr sei es den Vertragsparteien nach Auslegung der Präambel darum gegangen, dass irgendeine staatliche Ersatzleistung für den Zeitraum der Kurzarbeit gezahlt werde. So stehe auch die Zahlung von Krankengeld statt Kurzarbeitergeld an den Kläger der Wirksamkeit der Vereinbarung nicht entgegen.


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