BGH, Beschl. 23.2.2023 - I ZR 157/21

Vorlagefragen zur Änderung von Variablenwerten durch Cheating-Software – Action Replay

Autor: RA Markus Rössel, LL.M. (Informationsrecht), Köln
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 05/2023
Es stellt sich die Frage, ob in den Schutzbereich des Art. 1 Abs. 1-3 RL 2009/24/EG eingegriffen wird oder eine Umarbeitung i.S.v. Art. 4 Abs. 1 lit. b RL 2009/24/EG vorliegt, wenn nicht der Programmcode, sondern der Inhalt seiner Variablen im Arbeitsspeicher durch gleichzeitig laufende, fremde Software verändert wird.

RL 2009/24/EG Artt. 1 Abs. 1, Abs. 2, Abs. 3, 4 Abs. 1 lit. b; UrhG §§ 69a Abs. 1, Abs. 3, 69c Nr. 2 Satz 1

Das Problem

Softwareanbieter entwickeln und vertreiben Ergänzungsprodukte für die PlayStation Portable (PSP), wie zusätzliche Software und Bewegungssensoren. Dazu wird die PSP samt eingestecktem Memory Stick mit einem PC verbunden und mit der Ergänzungssoftware beschrieben. Nach Neustart ist ein Menüpunkt zum Sensorbetrieb bzw. zur Aufhebung der Beschränkungen von PSP-Spielen verfügbar. Dagegen klagt urheber- und hilfsweise lauterkeitsrechtlich eine Händlerin, die solche Spiele exklusiv in Europa vertreibt.

Die Entscheidung des Gerichts

Das Klageverfahren hänge davon ab, ob die Ergänzungssoftware das ausschließliche Recht zur Umarbeitung gem. § 69c Nr. 2 UrhG im Licht von Art. 1 Abs. 1–3 Software-RL 2009/24/EG (Schutzbereich) und Art. 4 Abs. 1 lit. b Software-RL (Umarbeitungsbegriff) verletze (Rz. 14 f.).

Frage zum Schutzbereich: Es sei zweifelhaft, ob in den urheberrechtlichen Schutzbereich eingegriffen werde, wenn nicht Programmcode inkl. Variablenkategorien verändert würden, sondern nur der Variableninhalt im Arbeitsspeicher durch die zeitgleich laufende Ergänzungssoftware mit Zutun des Nutzers, so dass sich etwa Zeitpunkt und Häufigkeit der Befehlsausführung in der Spielesoftware ändere (Rz. 16–21).

Schutzumfang: Software werde inkl. Entwurfsmaterial als literarisches Werk gem. RBÜ geschützt, aber ohne zugrunde liegende Ideen (Art. 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 Software-RL; § 69a Abs. 1, Abs. 2 Satz 2, Abs. 4 UrhG). Der Schutz beinhalte alle Ausdrucksformen und erstrecke sich auf individuelle Werke, die Ergebnis eigener geistiger Schöpfung seien; andere Kriterien seien nicht anzuwenden. Der nicht definierte Begriff der Ausdrucksform sei auch aufgrund Völkerrechts auszulegen (vgl. noch zu Art. 1 Abs. 2 RL 91/250/EWG EuGH v. 22.12.2010 – C-393/09 – BSA Rz. 30, K&R 2011, 105 = CR 2011, 221). Umfasst seien Quell- und Objektcode i.S.v. Art. 10 Abs. 1 TRIPS (Rz. 22–25; vgl. EuGH v. 6.10.2021 – C-13/20 – Top System Rz. 36, CR 2022, 219; vgl. Erwgrd. 15 Software-RL).

Keine Codeveränderung: Während des Gesetzgebungsprozesses sei davon ausgegangen worden, dass ein Computerprogramm als Folge von Befehlen verstanden werden solle, um eine bestimmte Funktion oder Aufgabe auszuführen, vgl. KOM(88) 816 endg., 5, 9; so auch § 1 Abs. 1 WIPO-Mustervorschriften für den Schutz von Computersoftware, GRUR-Int. 1978, 286. Daher liege im Streitfall mangels Änderung der Verkörperung kein Schutzbereichseingriff vor (Rz. 26 f.).

Keine Monopolisierung des Nutzungsergebnisses: Soweit man mit § 1 Abs. 1 WIPO-Mustervorschriften auf eine Finalität der Programmstrukturen abstelle, die durch ein Zusammenwirken von Code und Variableninhalten gewährleistet werden solle, sei fraglich, ob der Wille des Entwicklers, nur spielregelkonforme variable Daten zu nutzen, für den Schutzbereich relevant sei. Denn würden von diesem auch Ideen oder Funktionalität entgegen Art. 2 WCT und Art. 9 Abs. 2 TRIPS umfasst, würden sie zum Schaden des technischen Fortschritts monopolisiert (Rz. 30 f.; EuGH v. 2.5.2012 – C-406/10 – SAS Institute Rz. 35–40, CR 2012, 428 = ITRB 2012, 147 [Kartheuser]).

Kein Schutz der Nutzereinwirkung: Zwar könne vom literarischen Schutz i.S.v. Art. 1 Abs. 1 Satz 1 Software-RL, etwa bei einem Roman, über die konkrete Textfassung hinaus auch Szenenausgestaltung und Handlungsverlauf, der auch durch Programmcode gemeinsam mit Variableninhalte zum Ausdruck gebracht werden könne, umfasst sein. Dies gelte aber nicht für Inhalte, die nicht Ausdruck individueller Gestaltung des Urhebers seien, sondern durch das Nutzerverhalten generiert würden und Handlungsverläufe oder Szenenausgestaltung nicht änderten, sondern allein Reihenfolge und Häufigkeit deren Wiedergabe als nicht schutzfähige Funktionalität (Rz. 32 ff.).

Frage zum Umarbeitungsbegriff: Fraglich sei, ob eine Umarbeitung gem. Art. 4 Abs. 1 lit. b Software-RL nur vorliege, wenn durch Substanzeingriff Quell- oder Objektcode verändert würden (so zur Programmteilunterdrückung LG München I v. 27.5.2015 – 37 O 11673/14 Rz. 288 f., CR 2015, 738; zur Beeinflussung von Datenstrukturen erzeugt vom Browser LG Hamburg v. 14.1.2022 – 308 O 130/19 – Adblocker Rz. 52, CR 2022, 195 = ITRB 2022, 58 [Rössel], anhängig OLG Hamburg – 5 U 20/22), oder auch beim Ablaufeingriff durch verändernde Variableninhalte (so OLG Hamburg v. 13.4.2012 – 5 U 11/11 – Replay PSP Rz. 62 f., CR 2012, 503). Bereits der Wortlaut „Umarbeitungen“ spreche dafür, dass eine bloße Beeinflussung variabler Funktionsergebnisse nicht ausreiche (Rz. 39).


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