EuGH, Urt. 14.12.2023 - C-340/21

Immaterieller Schaden durch Hackerangriff

Autor: RA Dr. Patrick Grosmann, M.A., zert. Datenschutzbeauftragter (TÜV), FPS PartGmbB, Frankfurt/M.Dr. Christoph Bausewein, Assistant General Counsel, Data Protection & Policy, CrowdStrike, Frankfurt/M.
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 02/2024
Ein Cyberangriff führt für sich genommen nicht automatisch zum Beweis der Ungeeignetheit der getroffenen Schutzmaßnahmen. Der Verantwortliche trägt die Beweislast für die Geeignetheit der getroffenen Schutzmaßnahmen.Für die Offenlegung personenbezogener Daten durch Cyberkriminelle trägt der Verantwortliche die Verantwortung, es sei denn, er kann nachweisen, in keinerlei Hinsicht für den Schaden verantwortlich zu sein. Die bloße Befürchtung einer missbräuchlichen Nutzung personenbezogener Daten kann einen immateriellen Schaden begründen. Erfoderlich ist jedoch ein entsprechender Nachweis.

DSGVO Art. 4 Nr. 12, 5 Abs. 1, 2, Art. 24 Abs. 1, 2, Art. 32 Abs. 1, 2, Art. 82 Abs. 1, 2, 3

Das Problem

Die Daten einer natürlichen Person wurden bei einem Cyberangriff auf eine bulgarische Finanzbehörde (NAP) im Jahr 2019 Cyberkriminellen zugänglich. In der Folge des Angriffs kam es zu einer Veröffentlichung entwendeter Daten. Einige hundert Personen, darunter auch die Betroffene, erhoben Klage gegen die NAP auf Zahlung des Ersatzes eines immateriellen Schadens. Den Schaden begründete die Betroffene mit der Befürchtung einer möglichen künftigen missbräuchlichen Nutzung der veröffentlichten Daten.

Die Entscheidung des Gerichts

Der EuGH hatte über fünf Vorlagefragen zu entscheiden, die insb. Beweisfragen im Zusammenhang der Geeignetheit getroffener Schutzmaßnahmen und der bloßen Befürchtung eines künftigen Datenmissbrauchs als Haftungsgrund eines immateriellen Schadensersatzanspruchs betrafen.

Kein Beweis der Ungeeignetheit von ergriffenen technischen und organisatorischen Maßnahmen (TOM): Ein Cyberangriff genüge für sich genommen nicht für die Annahme ungeeigneter Maßnahmen des Verantwortlichen zum Schutz vor Vernichtung, Verlust, Veränderung, oder unbefugter Offenlegung von bzw. unbefugtem Zugang zu personenbezogenen Daten i.S.d. Art. 24 Abs. 1 Satz 1, 32 DSGVO. Dem Verantwortlichen müsse die Möglichkeit bleiben, Beweis dafür zu erbringen, dass die von ihm getroffenen Schutzmaßnahmen i.S.v. Art. 32 DSGVO geeignet gewesen seien. Die Rechenschaftspflicht des Verantwortlichen aus Art. 5 Abs. 2 DSGVO laufe ansonsten ins Leere. Nach dem risikobasierten Ansatz habe der Verantwortliche zwar jede Verletzung des Schutzes personenbezogener Daten so weit wie möglich zu verhindern. Gleichwohl sei jedoch anzuerkennen, dass ein absoluter Schutz in der Praxis weder gewährt werden könne, noch durch den Verordnungsgeber als Voraussetzung formuliert worden sei.

Verarbeitungsrisiko: Die Geeignetheit der TOM beurteile sich stets konkret mit Blick auf den jeweiligen Verarbeitungsvorgang. Durch die Anknüpfung an die jeweilige Verarbeitungstätigkeit sei weder die Wirksamkeit der durch den Verantwortlichen zu treffenden Maßnahmen noch die Wirksamkeit der gerichtlichen Rechtsbehelfe gegen den Verantwortlichen eingeschränkt. Für die Geeignetheitsprüfung sei eine Zweischritt-Prüfung vorzunehmen: Zunächst seien die konkreten Risiken der jeweiligen Verarbeitungstätigkeit zu bestimmen. danach sei über die Angemessenheit der getroffenen Maßnahmen unter Berücksichtigung des Stands der Technik, der Implementierungskosten und der Art, des Umfangs, der Umstände und der Zwecke der Verarbeitung (Art. 32 Abs. 1 DSGVO) zu befinden. Dieser einer vollen gerichtlichen Überprüfbarkeit unterliegende Prüfungsmaßstab korrespondiere mit der Systematik und dem durch Art. 35 Abs. 1 Satz 1 DSGVO vorgesehenen Ablauf einer Datenschutz-Folgenabschätzung.

Beweislastumkehr: Aus dem Wortlaut der Art. 5 Abs. 2, 24 Abs. 1, 32 Abs. 1 DSGVO gehe hervor, dass der Verantwortliche die Beweislast für die Gewährleistung eines angemessenen Schutzniveaus durch die getroffenen TOM trage. Mangels gegenteiliger Anhaltspunkte in der DSGVO sei diese Beweislastumkehr auch auf Schadensersatzansprüche anwendbar (vgl. gegen eine Beweislastumkehr LG München I v. 9.12.2021 – 31 O 16606/20, RDV 2022, 107 m.w.N. = ITRB 2022, 227 [Rössel]). Der Verantwortliche solle mittels der ihm obliegenden Beweislast für die Geeignetheit dieser Maßnahmen dazu angehalten werden, alles zu unternehmen, um Verarbeitungsvorgänge zu verhindern, die nicht im Einklang mit der DSGVO stünden. Ohne Beweislastumkehr ergebe sich in der Praxis eine starke Einschränkung der Wirksamkeit des Schadensersatzanspruchs. Für die Beurteilung der Geeignetheit der TOM bilde ein gerichtliches Sachverständigengutachten kein generell notwendiges und ausreichendes Beweismittel.

Keine Haftungsbefreiung wegen Offenlegung durch Dritte: Der Verantwortliche sei nicht allein aufgrund einer unbefugten Offenlegung der Daten durch Dritte von der Haftung befreit. Auf Basis des Art. 82 Abs. 3 DSGVO könne sich der Verantwortliche nur dann von einer Haftung freizeichnen, wenn ihm der Nachweis gelinge, dass es keinen Kausalzusammenhang zwischen der etwaigen Verletzung der Verpflichtung zum Datenschutz durch ihn und dem der natürlichen Person entstandenen Schaden gebe.

Möglichkeit eines immateriellen Schadens: Ein immaterieller Schaden könne bereits aus der bloßen Befürchtung einer (zukünftigen) missbräuchlichen Nutzung der personenbezogenen Daten resultieren. Aus dem Wortlaut des Art. 82 Abs. 1 DSGVO sei zu schließen, dass für einen immateriellen Schaden nicht zwischen einer bereits erfolgten missbräuchlichen Nutzung und der Angst vor einer solchen zu unterscheiden sei. Dafür spreche auch die intendierte Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für natürliche Personen. Auch der bloße Kontrollverlust könne zu einem Schaden führen.

Beweislast: Die Beweislast für einen kausalen, immateriellen Schaden obliege dem Betroffenen. Das entscheidende Gericht des Mitgliedstaats müsse konkret feststellen, ob diese Befürchtung unter den gegebenen besonderen Umständen und im Hinblick auf die betroffene Person als begründet angesehen werden könne.


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