BGH, Urt. 10.3.2022 - I ZR 1/19

Zum designrechtlichen Teilbereichsschutz komplexer Erzeugnisse durch nicht eingetragene Schutzrechte

Autor: RA Dr. Gabriel Wittmann, GvW Graf von Westphalen, Rechtsanwälte Steuerberater Partnerschaft mbB, München
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 10/2022
Durch die Veröffentlichung der Fotografie eines Fahrzeugs wird ein Gemeinschaftsgeschmacksmuster an einem Bauelement des Fahrzeugs als komplexem Erzeugnis i.S.v. Art. 3 Buchst. c und Art. 4 Abs. 2 GGV der Öffentlichkeit gem. Art. 11 GGV zugänglich gemacht, sofern die Erscheinungsform dieses Bauelements eindeutig erkennbar ist (Anschluss an EuGH, Urt. v. 28.10.2021 – C-123/20, GRUR 2021, 1523 [juris Rz. 52] = WRP 2022, 42 – Ferrari).Die Erscheinungsform des Bauelements hat Eigenart i.S.v. Art. 6 Abs. 1 GGV, wenn es einen sichtbaren Teilbereich des Fahrzeugs darstellt, der durch Linien, Konturen, Farben, die Gestalt oder eine besondere Oberflächenstruktur klar abgegrenzt ist. Dies setzt voraus, dass die Erscheinungsform des Bauelements geeignet sein muss, selbst einen „Gesamteindruck“ hervorzurufen, und nicht vollständig in dem Gesamterzeugnis untergeht (Anschluss an EuGH, Urt. v. 28.10.2021 – C-123/20, GRUR 2021, 1523 [juris Rz. 50] = WRP 2022, 42 – Ferrari). Auf die Merkmale einer gewissen Eigenständigkeit und Geschlossenheit der Form kommt es nicht an.

VO (EG) Nr. 6/2002 (GGV) Art. 3 lit. c, 4 Abs. 2 lit. b, 6 Abs. 1, 11 Abs. 1 u. 2 Satz 1; UWG § 4 Nr. 3 lit. b

Das Problem

Die Klägerin, der italienische Luxussportwagenhersteller Ferrari, befindet sich bereits seit 2016 im gerichtlichen Streit mit den Beklagten, dem in der bayerischen Oberpfalz ansässigen (Luxus-) Fahrzeugveredler „Mansory“ und dessen Geschäftsführer. Mansory vertrieb und verbaute seit 2016 u.a. sog. „front body kits“ als Anbauteil für den „Ferrari 488 GTB“, ein seit 2015 für jedermann zu einem Nettolistenpreis von knapp über 172.000 € erhältliches, unlimitiertes Straßenmodell aus dem Ferrari-Portfolio. Die Beklagten boten zudem auch einen vollständigen Umbau mittels weiterer Bausätze an (Kosten ca. 143.000 €). Das äußerlich nahezu vollständig modifizierte Fahrzeug wurde (und wird) von den Beklagten als „Mansory Siracusa 4XX“ vermarktet. Ferrari sah insbesondere in der Gestaltung der charakteristischen Frontpartie (in zwei Farbvarianten) eine Nachahmung seines 2014 im Rahmen einer Pressemitteilung vorgestellten, in Kleinstserie hergestellten und zum Preis von über 2,2 Mio. Euro verkauften Supersportwagenmodells „FXX-K“ (nicht straßenverkehrzugelassenene Weiterentwicklung des Modells „La Ferrari“). Die nachfolgend eingeblendeten, nur beispielhaften Abbildungen der streitgegenständlichen Fahrzeuge dienen der Veranschaulichung:

Ferrari 488 GTB



Ferrari FXX-K



Mansory Siracusa 4XX



Mansory Siracusa 4XX



Frontpartie Mansory 4XX



Frontpartie Ferrari FXX-K



Im Klageverfahren vor dem Landgericht (LG Düsseldorf, Urt. v. 20.7.2017 – 14c O 137/16) stützte sich die Klägerin auf insgesamt drei unterschiedliche, nicht eingetragene Gemeinschaftsgeschmacksmuster (im Folgenden „neGGM“), und zwar an einem „Teilbereich“ des „Ferrari FXX-K“ (Klagemuster 1), einem „Teil des zweischichtigen Frontspoilers“ des „Ferrari FXX-K“ (Klagemuster 2) sowie an der Gesamtgestaltung des „Ferrari FXX-K“ (Klagemuster 3). Zusätzlich machte die Klägerin ergänzenden lauterkeitsrechtlichen Leistungsschutz aus § 4 Nr. 3 lit. b UWG (Ausnutzung/Beeinträchtigung der Wertschätzung) geltend. Dem Fahrzeug „Ferrari FXX-K“ (in seiner Gesamtheit) käme wettbewerbliche Eigenart zu, die sich auf die Gestaltung der drei prägenden Merkmale im Frontbereich – dem Gesicht des Fahrzeugs – gründe. Die V-förmige Gestaltung der Fronthaube weise dabei allein auf sie selbst, weil sie als Erste, bereits ab 2002, für das Modell „Enzo Ferrari“ und ab 2005 für ihr Modell „Ferrari FXX“ ein derartiges Element verwendet habe.

Nach Abweisung der Klage durch das Landgericht und Zurückweisung der Berufung durch das Berufungsgericht (OLG Düsseldorf, Urt. v. 6.12.2018 – 20 U 124/17, GRUR-RR 2019, 231) hatte der BGH im Revisionsverfahren den EuGH zur Frage angerufen, ob durch die Offenbarung einer Gesamtabbildung eines Erzeugnisses überhaupt neGGM an Teilen desselben entstehen können (konkret Klagemuster 1 und 2), und welcher Maßstab ggf. für die Beurteilung des Gesamteindrucks im Falle eines Bauteils eines komplexen Erzeugnisses (z.B. Teil einer Fahrzeugkarosserie) anzulegen wäre (BGH, EuGH-Vorlage v. 30.1.2020 – I ZR 1/19, GRUR 2020, 392 – Front kit). Der BGH, der für eingetragene Designs/Geschmacksmuster einen Teil-Geschmacksmusterschutz (sog. Elementenschutz) bisher ausdrücklich ablehnt (BGH, Urt. v. 8.3.2012 – I ZR 124/10 – Weinkaraffe), ging davon auch für das neGGM aus. Ein Teil-Schutz dürfe nicht entstehen, weil aus Gründen der Rechtssicherheit für den Verkehr erkennbar sein müsse, für welchen Gegenstand durch Offenbarung Schutz erlangt werde. Dem – und den vom OLG Düsseldorf zusätzlich geforderten Schutzvoraussetzungen einer „gewissen Eigenart und Geschlossenheit der Form“ bzw. einer „gewissen Eigenständigkeit und Geschlossenheit der Form“ – hatte der EuGH eine deutliche Absage erteilt (EuGH, Urt. v. 28.10.2021 – C-123/20, GRUR 2021, 1523 – Ferrari). Würden Abbildungen eines Erzeugnisses der Öffentlichkeit zugänglich gemacht (wie bei der Veröffentlichung von Fotografien des FXX-K), sei ein Geschmacksmuster auch an einem Teil dieses Erzeugnisses oder an einem Bauelement dieses Erzeugnisses als komplexem Erzeugnis der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, sofern die Erscheinungsform dieses Teils oder Bauelements bei dieser Offenbarung eindeutig erkennbar ist. Um zu prüfen, ob diese Erscheinungsform die Voraussetzung der Eigenart erfüllt, ist es erforderlich, dass der in Rede stehende Teil oder das in Rede stehende Bauelement einen sichtbaren Teilbereich des Erzeugnisses oder des komplexen Erzeugnisses darstellt, der durch Linien, Konturen, Farben, die Gestalt oder eine besondere Oberflächenstruktur klar abgegrenzt ist.

Die Entscheidung des Gerichts

Auf dieser Grundlage hob der BGH sodann das Urteil des Berufungsgerichts insoweit auf, als die Klägerin mit den auf neGGM gestützten Anträgen (insb. Klagemuster 1 und 2) unterlegen war.

Soweit die Klage auf eine Verletzung des § 4 Nr. 3 lit. b UWG gestützt war, bestätigte der BGH zwar, dass der Ferrari FXX-K über „wettbewerbliche Eigenart“ verfüge und der „Mansory Siracusa 4XX“ eine nachschaffende Leistungsübernahme des Originals darstelle. Eine unlautere Ausnutzung oder Beeinträchtigung der Wertschätzung sei aber nicht unabhängig vom Aussehen des restlichen Fahrzeugs feststellbar. Die Wertschätzung, die neben der Qualität auch auf der Exklusivität des Originals beruhen könne, werde durch den Vertrieb der Produkte der Beklagten nicht beeinträchtigt. Mangels einer Herkunftstäuschung werde die Exklusivität im Streitfall nicht aufgehoben und führe zu keinem Nachteil für den Besitzer des limitierten Modells. Vielmehr komme sogar in Betracht, dass die Wertschätzung aufgrund der Nachfrage im Markt, Designmerkmale teilweise zu nutzen, gesteigert werde. Eine abweichende Bewertung lasse sich auch nicht aus der Entscheidung „Tchibo/Rolex“ folgern, wonach ein Anhängen an fremden Ruf unabhängig vom Eintreten einer betrieblichen Herkunftstäuschung vorliegen kann (BGH, Urt. v. 8.11.1985 – I ZR 128/82, WRP 1985, 197 = MDR 1985, 735 – Tchibo/Rolex). Der beanstandete „Mansory Siracusa 4XX“ sei lediglich eine nachschaffende Übernahme, nicht eine nahezu identische Nachahmung des Originals. Im Fall Tchibo/Rolex bestand nach den tatsächlichen Feststellungen die Gefahr der Täuschung zwar nicht bei den Käufern der Nachahmungen, wohl aber bei dem Publikum, das bei den Käufern die Nachahmungen sieht und zu irrigen Vorstellungen über die Echtheit verleitet wird. Daran fehle es im Streitfall aber.

Die von der Klägerin als Geschmacksmuster in Anspruch genommenen Teilbereiche des Fahrzeugs Ferrari FXX K (Klagemuster 1 und 2) stellen Bauelemente eines komplexen Erzeugnisses i.S.d. Art. 4 Abs. 2 GGV dar. Dieser Teilbereich bestehe aus Einzelteilen, die zu einem industriell gefertigten Fahrzeug zusammengebaut werden sollen und sich ersetzen lassen, so dass das Fahrzeug auseinander- und wieder zusammengebaut werden kann, und deren Fehlen dazu führen würde, dass das Fahrzeug nicht bestimmungsgemäß verwendet werden kann. Die vom OLG zugrunde gelegte Mindestvoraussetzung für die Entstehung eines nicht eingetragenen Gemeinschaftsgeschmacksmusters – nämlich „eine gewisse Eigenständigkeit und Geschlossenheit der Form“ – entsprächen nicht dem unionsrechtlich vorgegebenen Maßstab, weshalb im Streitfall den Klagemustern 1 und 2 die Geschmacksmusterfähigkeit nicht mit der Begründung abgesprochen werden könne, es fehle ihnen an einer gewissen Eigenständigkeit und Geschlossenheit der Form. Für solche Erfordernisse lasse der vom Gerichtshof festgelegte Maßstab keinen Raum.

Da die Sache nicht entscheidungsreif ist hat der BGH die Sache an das OLG zur erneuten Prüfung zurückverwiesen.


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