BGH, Urt. 27.1.2022 - III ZR 3/21

Keine Klarnamenpflicht bei Profilnamen

Autor: RA Markus Rössel, LL.M. (Informationsrecht), Köln
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 04/2022
Bei vor Geltung der DSGVO in einen Vertrag über die Nutzung eines sozialen Netzwerks einbezogenen AGB, nach welchen abweichend von § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG der im täglichen Leben gebrauchte Name zu verwenden ist, ist im Zweifel eine unangemessene Benachteiligung anzunehmen.

RL 95/46/EG Artt. 6, 7; BGB § 307 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1; TMG § 13 Abs. 6 Satz 1 a.F.

Das Problem

Ein Nutzer stimmte am 30.4.2018 den kurz zuvor geänderten Nutzungsbedingungen von Facebook zu, nach deren Nr. 3.1 der im täglichen Leben gebrauchte Name zu verwenden ist.

Die Entscheidung des Gerichts

Der Nutzer habe einen Anspruch gegen Facebook Ireland Ltd. (jetzt Meta Platforms Ireland Ltd.), eine Änderung seines Profilnamens in ein Pseudonym zu dulden. Die Anwendung deutschen Rechts folge unabhängig von der Rechtswahl auch aus dem vorliegenden Verbrauchervertrag gem. Artt. 3 Abs. 1, 6 Abs. 1 lit. b, Abs. 2 VO (EG) 593/2008 (Rz. 12, 15).

Unangemessene Benachteiligung: Zwar ergebe sich mangels inhaltlicher Vergleichbarkeit aus der rechtskräftigen Entscheidung zur Vorgängerklausel (vgl. BGH v. 27.1.2022 – III ZR 4/21 [im nächsten Heft] zu LG Berlin v. 16.1.2018 – 16 O 341/15, CR 2018, 256 = ITRB 2018, 108 [Rössel]) nicht gem. § 11 Satz 1 UKlaG die Unwirksamkeit der vorliegenden Klarnamenklausel. Diese halte aber ebenfalls einer Inhaltskontrolle gem. §§ 307 ff. BGB i.V.m. dem Leitbild zumutbarer pseudonymer Nutzung aus § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG a.F. nicht stand, so dass eine Nichtigkeit nach § 134 BGB dahinstehen könne (Rz. 16–19).

Kein entgegenstehendes Herkunftslandprinzip: Das Herkunftslandprinzip stehe dem unabhängig von der getroffenen Rechtswahl nicht entgegen, weil es gem. § 3 Abs. 3 Nr. 4 TMG nicht für das § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG a.F. umfassende Datenschutzrecht gelte (Rz. 20 f.).

Keine Anwendung der DSGVO: Da der Nutzer der Einbeziehung der AGB vor Inkrafttreten der DSGVO am 25.5.2018 zugestimmt habe, komme es auf sie nicht an. Beim Individualprozess könne eine nachträgliche Rechtsänderung nicht zur Heilung der bei Einbeziehung bestehenden Unwirksamkeit führen (Rz. 22 f.; vgl. Art. 4 Abs. 1 DSRL).

Kein konträrer Anwendungsvorrang der DSRL: Im Rahmen ihres Umsetzungsermessens nach Art. 5 DSRL hätten die Mitgliedstaaten keine anderen als die Grundsätze i.S.v. Art. 7 DSRL einführen oder deren Tragweite verändern dürfen (EuGH v. 24.11.2011 – C-468/10 u.a. – ASNEF Rz. 35 f., ITRB 2012, 51 [Kunczik]). Dies sei nicht der Fall (Rz. 25).

Konkretisierung des Sparsamkeitsgebots: § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG a.F. stelle eine bereichsspezifische Konkretisierung des Grundsatzes der Datenvermeidung i.S.v. Art. 6 Abs. 1 lit. c DSRL dar (vgl. zum Grundsatz EuGH v. 11.12.2019 – C-708/18 – M5A-ScaraA Rz. 48, CR 2020, 94 = ITRB 2020, 79 [Vogt]). Letztere Bestimmung bringe zugleich den zur Grundrechtsabwägung führenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zum Ausdruck (vgl. zu Art. 5 Abs. 1 lit. c DSGVO EuGH v. 22.6.2021 – C-439/19 – Latvijas Republikas Saeima Rz. 98, ITRB 2021, 228 [Dovas]). Ob eine solche Abwägung im vorliegenden Fall u.U. ausscheide, sei entscheidungsunerheblich (Rz. 26–29).

Interessen von Facebook: Die unternehmerische Freiheit aus Art. 16 GRC erstrecke sich auf die Entscheidung von Facebook, in der Ausgestaltung des von ihr angebotenen Diensts Klarnamen als Profilnamen zu verlangen sowie dadurch entsprechend dem Geschäftsmodell effizienter zielgruppenorientierte Werbung platzieren zu können (BGH v. 29.7.2021 – III ZR 179/20 – Hassredevorwurf Rz. 73 m.w.N., ITRB 2021, 229 [Rössel]) und werbewerterhöhend ein Nutzer anziehendes, angemessenes Diskussionsniveau zu gewährleisten sowie persönlichkeitsrechtsverletzenden und strafbaren Äußerungen vorzubeugen. Unter die freie Meinungsäußerung aus Art. 11 Abs. 1 GRC und Art. 10 Abs. 1 EMRK falle, dass Facebook als Netzwerkbetreiberin „unverzichtbare Mittlerperson“ für den Meinungsaustausch der Nutzer sei. Außerdem wirke sie durch ihre Nutzungsbedingungen auf den Kommunikationsprozess der Nutzer ein (Rz. 34–37).

Interessen der Nutzer: Auf Seiten der Nutzer streite aus der einheitliche Schutzverbürgung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts aus Artt. 7, 8 Abs. 1 GRC das Recht auf informationelle Selbstbestimmung sowie aus Art. 11 Abs. 1 GRC das Recht auf freie Meinungsäußerung, das wegen der Gefahr einer Selbstzensur auch anonyme und pseudonyme Meinungsäußerungen erfasse (Rz. 38; vgl. zu Art. 5 GG: BGH v. 23.6.2009 – VI ZR 196/08 – spickmich.de Rz. 38, ITRB 2009, 195 [Rössel]).

Klarnamenpflicht im Innenverhältnis: Ob § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG a.F. von vornherein nur das Außenverhältnis betreffe, könne dahinstehen, da im Innenverhältnis gegenüber Facebook (vgl. zum Erlaubnisgrundsatz der Bestandsdatenerhebung § 14 Abs. 1 TMG a.F.) die Grundrechtsabwägung zuungunsten der Nutzer ausfalle. Facebook habe unter dem Aspekt der Störerhaftung für Diensteanbieter ein legitimes Bedürfnis nach Identifizierung, um im Fall von Rechtsverletzungen durch Nutzer bei diesen Regress nehmen zu können und seiner Drittauskunftspflicht gegenüber verletzten Dritten gem. § 14 Abs. 3 TMG a.F. bzw. § 21 Abs. 2 TTDSG nachzukommen (Rz. 31 ff., 40 f., 44 f.).

Keine Klarnamenpflicht im Außenverhältnis: Wegen der erheblichen politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedeutung von Facebook sei das Recht der Nutzer auf informationelle Selbstbestimmung in besonderer Weise betroffen (vgl. BGH v. 23.6.2020 – KVR 69/19 – Facebook Rz. 103 ff., CR 2020, 660 = ITRB 2020, 253 [Rössel]). Im Rahmen der öffentlichen Selbstdarstellung durch die Profildaten gäben die Nutzer zum Teil sehr persönliche Informationen preis (Rz. 42 f.).

Datenverknüpfung von Nutzungsdaten: Eingriffsintensivierend komme hinzu, dass in Kombination mit Nutzungsaktivitäten zur Erstellung von Persönlichkeitsprofilen zwecks Platzierung von personalisierter Werbung (vgl. Nrn. 1, 3.3 der AGB) immense Mengen an Daten verarbeitet würden, die, miteinander durch algorithmische Systeme verknüpft (Social Media Monitoring), weitreichende Schlüsse mit diskriminierender oder stigmatisierender Wirkung erlaubten oder Rückschlussmöglichkeiten auf besonders schutzwürdige Daten des Nutzers ergäben. Die Verwendung des Klarnamens könne zudem eine plattformübergreifende Anreicherung der Daten ermöglichen, für die es ansonsten an einem personenbezogenen Identifizierungsmerkmal fehlen würde (Rz. 46 ff.).

Mangelnde Risikobeherrschung: Einstellungsoptionen zur Eingrenzung des zur Kenntnisnahme befugten Personenkreises bewirkten keinen angemessenen Interessenausgleich, da die Kommunikation mit Dritten gerade Wesenskern von Facebook sei. Darüber hinaus sei für viele Nutzer nicht überschaubar, worüber die eigene Selbstdarstellung Aufschluss gebe (etwa zur Kreditwürdigkeit). Durch die Verknüpfung von Daten könne sich deren Informationswert insb. für erst 13-jährige Nutzer schwer abschätzbar verändern (Rz. 49).

Pseudonym für Selbstschutz: Durch die Verwendung eines Pseudonyms werde der Identifizierung durch Dritte, die automatisierte Verarbeitung von Profil- und Nutzungsdaten durch Facebook und ihre plattformübergreifende Verknüpfung mit anderen Daten zumindest erschwert. Pseudonyme förderten Diskussionsteilnahme und damit die Meinungsfreiheit von Personen, die sich wegen weltweiter Abrufbarkeit, praktisch unbegrenzter Speicherdauer, „Shitstorm“-Phänomen, verfolgter Minderheiten, Whistleblower oder religiös und politisch Verfolgter sonst zurückhalten würden (Rz. 50 f.).

Geringeres Gewicht der Gegeninteressen: Soziale Enthemmung erfolge auch – unbeeinflusst durch eine Klarnamenpflicht – durch fehlenden Blickkontakt, wodurch die Empathiefähigkeit des sich äußernden Nutzers ebenfalls gesenkt werde (vgl. WD10-3000-003/20, 9 f.). Eine Zivilisierungswirkung folge bereits aus Klarnamenpflicht im Innenverhältnis und Drittauskunftspflicht gem. § 14 Abs. 3 TMG a.F. Eine authentische Kommunikation insb. mit Freunden und Familienmitgliedern sowie interessenbezogene Werbung sei auch mit Pseudonymen möglich. Die Kommunikation unter Nicknames sei gängig und habe zum Aufbau digitaler Identitäten geführt. Insb. wegen des hohen Marktanteils sei dem Nutzer die Meinungsäußerung an einem anderen Ort unzumutbar (Rz. 52–55; BGH v. 29.7.2021 – III ZR 179/20 – Hassredevorwurf Rz. 66, ITRB 2021, 229 [Rössel]).

Gesamtunwirksamkeit und Ersatzlosigkeit: Weder sei die Missachtung von § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG a.F. sachlich gerechtfertigt noch sein Schutzzweck auf andere Weise sichergestellt, so dass die Regelvermutung unangemessener Benachteiligung gem. § 307 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht widerlegt sei. Da die Klausel nicht zwischen Innen- und Außenverhältnis unterscheide, sei sie mangels geltungserhaltender Reduktion insgesamt unwirksam. Sie falle ersatzlos weg, da keine gesetzliche Vorschrift i.S.v. § 306 Abs. 2 BGB an ihre Stelle trete und der ersatzlose Wegfall zu einer typischen interessengerechten Lösung führe. Der nur im Ausnahmefall eine Klarnamenpflicht zulassende § 13 Abs. 6 Satz 1 TMG a.F. bzw. § 19 Abs. 2 TTDSG sei eine datenschutz- und keine vertragsrechtliche Vorschrift (Rz. 56–62, 67).

Keine Klarnamenpflicht aus Vertragsnatur: Dem Internet sei die anonyme Nutzung immanent (BGH v. 20.2.2018 – VI ZR 30/17 – jameda.de III Rz. 14, CR 2018, 500 = ITRB 2018, 153 [Rössel]). Im Zweifel sei der Vertrag über die Nutzung eines sozialen Netzwerks daher so zu verstehen, dass als Profilname auch ein Pseudonym verwendet werden könne. Die Hauptleistungspflichten seien nicht namens‑, sondern kontobezogen (Rz. 62–66; vgl. BGH v. 12.7.2018 – III ZR 183/17 – Digitaler Nachlass Rz. 35, 41, CR 2018, 734 = ITRB 2018, 224 [Rössel]).


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