BGH, Urt. 28.4.2021 - VIII ZR 22/20

Mieterhöhung; Gutachten trotz Mietspiegel; maßgeblicher Zeitraum der Vergleichsmieten

Autor: Dr. Olaf Riecke, Hamburg
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 07/2021
1. Die Gerichte sind grundsätzlich auch dann berechtigt, zur Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete ein Sachverständigengutachten einzuholen, wenn ein Mietspiegel vorliegt, der tabellarisch Mietspannen ausweist und zusätzlich eine Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung enthält. Das gilt nicht nur in Fällen, in denen Streit über die Voraussetzungen für das Eingreifen bzw. die Reichweite der Vermutungs- oder Indizwirkung des Mietspiegels herrscht, sondern in der Regel auch dann, wenn die ortsübliche Vergleichsmiete unstreitig innerhalb der für das einschlägige Mietspiegelfeld ausgewiesenen Spanne liegt und deshalb lediglich die Einordnung der konkreten Einzelvergleichsmiete in diese Spanne einer Klärung bedarf.2. Maßgebend für die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete ist der Zeitpunkt, zu dem das Erhöhungsverlangen dem Mieter zugeht und nicht der Zeitpunkt, ab dem der Mieter die erhöhte Miete ggf. schuldet.

BGB § 558, 558c, 558d Abs. 1, 558d Abs. 3

Das Problem

Die Wohnung in Berlin war bei Heranziehung des Mietspiegels 2017 nach Alter, Wohnlage, Ausstattung und Wohnfläche in das Feld I 2 der Mietspiegeltabelle einzuordnen. Dieses weist eine Nettokaltmietenspanne von 5,52 €/qm bis 9,20 €/qm aus. Begehrt wurde seitens des Vermieters die Zustimmung zur Erhöhung der Nettokaltmiete ab dem 1.10.2017 um 66,86 € auf 654,64 € (Erhöhung der Nettokaltmiete auf 8,10 €/qm). Dieses Verlangen ging den Mietern am 20.7.2017 zu. Das LG Berlin hat der Klage nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Höhe der ortsüblichen Vergleichsmiete stattgegeben. Im Beweisbeschluss wurde für den Gutachter als maßgeblich der Zeitpunkt vorgegeben, ab dem die Mieter/Beklagten die erhöhte Miete (ggf.) schuldeten (1.10.2017).

Die Entscheidung des Gerichts

Die Gerichte sind grundsätzlich auch dann berechtigt, zur Bestimmung der ortsüblichen Vergleichsmiete ein von der beweisbelasteten Partei angebotenes Sachverständigengutachten einzuholen, wenn ein Mietspiegel vorliegt, der tabellarisch Mietspannen ausweist und zusätzlich eine Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung enthält. Das LG war nicht verpflichtet, zu prüfen, ob der Berliner Mietenspiegel 2017 ein qualifizierter ist und musste ihn auch nicht wenigstens als einfachen Mietspiegel heranziehen oder vorab klären, ob dem Mietspiegel die Indizwirkung eines einfachen Mietspiegels zukommt. Die Gerichte sind nicht verpflichtet, ihre Überzeugungsbildung auf Indizien, die einen Schluss auf die Haupttatsache zulassen, zu stützen und von der Erhebung des von der beweisbelasteten Partei zum Nachweis der Haupttatsache angebotenen Beweises abzusehen.

Die dem Berliner Mietspiegel 2017 zukommende Indizwirkung erstreckt sich aufgrund seiner besonderen Gestaltung als Tabellenspiegel mit einer – auf eine bloße Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO ausgerichteten – Orientierungshilfe für die Spanneneinordnung nur auf die Daten, die in die Erstellung der Mietspiegelfelder eingeflossen sind (BGH v. 18.11.2020 – VIII ZR 123/20 Rz. 38 ff., MDR 2021, 551 = MietRB 2021, 33 [Kunze] zu demselben Mietspiegel). Das Gericht war zwar berechtigt, aber eben nicht verpflichtet, die gebotene Spanneneinordnung anhand einer – sich als Grundlage für eine Schätzung nach § 287 Abs. 2 ZPO grundsätzlich eignenden – Orientierungshilfe vorzunehmen, die der Mietspiegel hierfür bereitstellt. Auch die größere Breite der Datengrundlage eines Mietspiegels führt allein nicht dazu, dass dieser einem Sachverständigengutachten überlegen wäre.

Maßgebend für die Ermittlung der ortsüblichen Vergleichsmiete ist der Zeitpunkt, zu dem das Erhöhungsverlangen dem Mieter zugeht (BGH v. 29.2.2012 – VIII ZR 346/10, MDR 2012, 453 = MietRB 2012, 129 [Kunze] = NJW 2012, 1351 Rz. 30; vgl. auch BGH v. 26.10.2005 – VIII ZR 41/05, MDR 2006, 503 = MietRB 2006, 260 [Ott] = NJW-RR 2006, 227 Rz. 15) und nicht der Zeitpunkt, ab dem der Mieter die erhöhte Miete ggf. schuldet. Die nach § 558 Abs. 2 BGB a.F. hier noch maßgebliche 4-Jahres-Frist erstreckt sich demnach vom Zugang des Erhöhungsverlangens (20.7.2017) an vier Jahre zurück.


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