BGH, Urt. 25.10.2023 - VIII ZR 147/22

Kündigung: unwahre Behauptungen im Prozess

Autor: RA FAMuWR Norbert Monschau, Anwaltskanzlei Schneider | Monschau, Neunkirchen-Seelscheid, Erftstadt, Köln
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 01/2024
1. Bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen des Mieters im Rechtsstreit mit seinem Vermieter können eine ordentliche Kündigung rechtfertigen. Dabei ist die Bedeutung und Tragweite der unwahren Behauptung unter Berücksichtigung des Sinnzusammenhangs zu bewerten und ein vorangegangenes vertragswidriges Verhalten des Vermieters einzubeziehen (vgl. BGH v. 4.6.2014 – VIII ZR 289/13, MDR 2014, 950 = MietRB 2014, 253 [Elzer]).2. § 573 Abs. 3 S. 2 BGB, wonach Kündigungsgründe, die im Kündigungsschreiben nicht angegeben wurden, (ausnahmsweise) dann berücksichtigt werden können, wenn sie nachträglich entstanden sind, ist nur dann anwendbar, wenn die ursprüngliche Kündigungserklärung zum Zeitpunkt ihres Ausspruchs wirksam war.

BGB § 573 Abs. 1, 2 Nr. 1, Abs. 3 S. 2

Das Problem

Berechtigen unwahre Tatsachenbehauptungen im Rechtsstreit zur Kündigung? Unter welchen Voraussetzungen dürfen nicht im Kündigungsschreiben angegebene, nachträgliche Kündigungsgründe berücksichtigt werden? Über diese Fragen hatte der BGH zu entscheiden.

Die Vermieterin einer Mehrfamilienhauswohnung hatte ihren Mietern wegen angeblich vertragswidriger Hundehaltung ordentlich gekündigt. Vor Gericht warf die Mieterin der Vermieterin vor, sie aus dem Haus mobben zu wollen. Auch vom Hausverwalter seien die Mieter beleidigt worden („Scheiß Ausländer“, „Assis“). Zudem habe sie zufällig ein Gespräch zwischen der Eigentümerin/Vermieterin und einem Kaufinteressenten mitgehört, wonach das Haus verkauft werden solle. Der Kaufinteressent habe gesagt, er könne das Haus nur kaufen, wenn alle Mieter ausgezogen seien. Gestützt auf diese Aussage kündigte die Vermieterin nun fristlos, hilfsweise ordentlich.

Nachdem die Räumungsklage vor dem AG erfolglos geblieben war, gab das LG der Klage statt. Es ließ offen, ob die Kündigung wegen der Hundehaltung wirksam war. Auf jeden Fall sei die zweite Kündigung wirksam, weil der Mieterin wahrheitswidrig von einem angeblichen Gespräch der Vermieter mit einem potentiellen Käufer berichtet habe.

Die Entscheidung des Gerichts

Die Revision hatte Erfolg und führte zur Zurückverweisung. Ein bewusst unrichtiges Vorbringen eines Mieters in einem Mietrechtsstreit könne eine Pflichtverletzung darstellen, die eine ordentliche Kündigung nach § 573 Abs. 2 Nr. 1 BGB rechtfertige, so der Senat. Das LG habe aber übersehen, dass es mit dem Rechtsstaatsprinzip unvereinbar sei, wenn redliche Äußerungen in einem Zivilprozess oder die redliche Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte und Pflichten in einem Strafverfahren aus Gründen des Ehrenschutzes zu straf- oder zivilrechtlichen Nachteilen führen würden, weil die Behauptung sich später im Prozess oder nach behördlicher Prüfung als unrichtig oder unaufklärbar erweise. Demgemäß dürfen die Parteien in einem Gerichtsverfahren – ohne darauf gestützte straf- oder zivilrechtliche Nachteile befürchten zu müssen – regelmäßig alles vortragen, was sie zur Wahrung ihrer Rechte für erforderlich halten würden, selbst wenn hierdurch die Ehre des Prozessgegners berührt werde. Maßgeblich sei, ob diese Äußerungen im Hinblick auf die konkrete Prozesssituation zur Rechtswahrung geeignet und unter Berücksichtigung der Bedeutung des Mietverhältnisses angemessen seien. Missbräuchliche Äußerungen, die in keinem inneren Zusammenhang mit dem verfolgten berechtigten Anliegen stehen oder wissentlich unwahre oder leichtfertig aufgestellte unhaltbare Behauptungen, seien nicht geschützt. Das sei hier aber nicht der Fall. Der Mieter habe seine Einschätzung für den Grund der Kündigung vorgetragen. Auch vorherige schwere Beleidigungen des Mieters müssten in die Abwägung mit einbezogen werden. Zwar könnten nach § 573 Abs. 3 S. 2 BGB Gründe, die im Kündigungsschreiben nicht angegeben wurden, (ausnahmsweise) dann berücksichtigt werden, wenn sie nachträglich entstanden seien; jedoch sei diese Ausnahmevorschrift ausschließlich dann anwendbar, wenn die ursprüngliche Kündigungserklärung zum Zeitpunkt ihres Ausspruchs wirksam gewesen sei. Sie sei also auf Fälle beschränkt, in denen ein zunächst gegebener, möglicherweise aber später weggefallener Kündigungsgrund nachträglich durch einen anderen ersetzt oder ergänzt werde. Demgegenüber führe eine wegen Fehlens der Voraussetzungen von Anfang an unwirksame Kündigung auch dann nicht zu einer Vertragsbeendigung, wenn nach ihrem Ausspruch neue Kündigungsgründe entstehen.


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