BGH, Urt. 9.9.2021 - I ZR 90/20

Schleichwerbung bei Instagram durch Tap Tags zu Herstellerseiten – Influencer I

Autor: RA Markus Rössel, LL.M. (Informationsrecht), Köln
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 11/2021
Der Umstand, dass eine Influencerin Bilder mit Tap Tags versehen hat, um die Hersteller der abgebildeten Waren zu bezeichnen, genügt als solcher nicht, um einen werblichen Überschuss der Instagram-Beiträge anzunehmen. Die Verlinkung auf eine Internetseite des Herstellers des abgebildeten Produkts beinhaltet hingegen regelmäßig einen werblichen Überschuss, auch wenn auf der verlinkten Seite des Herstellers der Erwerb von Produkten nicht unmittelbar möglich ist.

UWG §§ 2 Abs. 1 Nr. 1, 3 Abs. 1, Abs. 4, 5a Abs. 6, 8 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 2; TMG §§ 1 Abs. 1 Satz 1, 2 Satz 1 Nr. 1, Nr. 5, 6 Abs. 1 Nr. 1; RStV § 58 Abs. 1 Satz 1; MStV § 22 Abs. 1 Satz 1

Das Problem

Eine Influencerin veröffentlicht auf Instagram regelmäßig Bilder und Videos zu Ernährungstipps und unterhält einen Onlineshop für Fitnesskurse. Ihre Textbeiträge enthalten zum Teil auf Bildern von ihr eingefügte Tap Tags. Klickt man sie an, erscheinen die Firmen bzw. Marken der Hersteller, insb. der abgebildeten Kleidung der Influencerin. Durch einen weiteren Klick erfolgt eine Weiterleitung auf das Profil der Hersteller.

Die Entscheidung des Gerichts

Ein Anspruch eines Wettbewerbsverbands auf Unterlassung von Schleichwerbung gegen die Influencerin gem. §§ 8 Abs. 1 Satz 1, 3 Abs. 1, 5a Abs. 6 UWG bestehe nicht.

Eigenförderung: Die Influencerin sei unternehmerisch tätig, da sie gegen Entgelt zum einen Fitnesskurse anbiete und zum anderen Werbung für fremde Unternehmen veröffentliche. Das Instagramprofil sei mit den darin veröffentlichen Beiträgen geeignet, die Bekanntheit ihrer eigenen Marke zu steigern, Follower zu binden und die Zahl der Kommentare und Likes zu erhöhen, um den Werbewert und das Interesse an Werbekooperationen zu erhöhen (Rz. 37, 40).

Unerheblichkeit privaten Charakters: Ein Unternehmer, der private Äußerungen für eine glaubwürdigere, nahbarere und sympathischere Wirkung zur Förderung eigenen Wettbewerbs nutze, gebe diesen eine geschäftliche Wendung, selbst wenn das Streben nach Aufmerksamkeit inhärent für Influencer sei (Rz. 43).

Unerheblichkeit redaktionellen Charakters: Ein den Absatz oder Werbewert steigerndes Instagramprofils sei unabhängig von dort veröffentlichten redaktionellen Beiträgen eine geschäftliche Handlung. Dies stehe im Einklang mit presserechtlichen Grundsätzen, wenn die Förderung eigenen Wettbewerbs durch Veröffentlichung redaktioneller Beiträge nicht bloß notwendige Begleiterscheinung funktionsgerechten Pressehandelns sei, sondern in den Vordergrund rücke (Rz. 44 f.).

Unerheblichkeit einer Unentgeltlichkeit: Die „kommerzielle Mitteilung“ sei lediglich eine Erscheinungsform von mehreren einer Geschäftspraxis i.S.v. Art. 2 lit. d RL 2005/29/EG. Die Veröffentlichung eines Instagrambeitrags könne daher auch dann als Geschäftspraxis einzustufen sein, wenn keine kommerzielle Kommunikation i.S.v. Art. 2 lit. f Spiegelstrich 2 ECRL vorliege, weil der Influencer keine Gegenleistung erhalte (Rz. 48).

Drittförderung auch ohne Gegenleistung: Erhalte ein Influencer für einen werblichen Beitrag eine Gegenleistung, stelle diese Veröffentlichung ohne weiteres eine geschäftliche Handlung zugunsten des beworbenen Unternehmens dar. Andererseits sei eine zur Eigengeschäftsförderung führende Überschreitung des rein Privaten kein Indiz für eine Drittförderung. Letztere folge auch nicht aus dem weit verbreiteten allgemeinen Interesse, Anzeigenkunden durch das Setzen von auf Hersteller verweisende Tap Tags erst zu gewinnen. Bei der Frage, ob der Internetauftritt vorrangig nicht wettbewerbsfördernden, insb. redaktionellen Zielen diene, sei vergleichbar klassischen Modezeitschriften das berechtigte Informations- und Unterhaltungsinteresse der Follower etwa bzgl. getragener Kleidungsstücke zur Nachahmung des Lebensstils der Influencer in Betracht zu ziehen (Rz. 50–58).

Pressegrundsätze werblichen Überschusses: Auch wenn ein klassisches Medienunternehmen für eine scheinbar redaktionelle Veröffentlichung keine Gegenleistung erhalte, könne es sich dennoch um eine geschäftliche Handlung handeln, wenn der Beitrag aus der Perspektive eines durchschnittlichen Adressaten etwa wegen fehlender kritischer Distanz, einer Anempfehlung, namentlicher Anpreisung oder werbetypisch euphorischer Darstellung übertrieben werblich sei, so dass die Drittförderung eine größere als nur notwendigerweise begleitende Rolle spiele (Rz. 60 f.).

Kein Werbeüberschuss allein wegen Tap Tags: Dass die Bilder zur Bezeichnung der Hersteller der abgebildeten Kleidung mit Tap Tags versehen würden, genüge als solches selbst bei einer erheblichen Zahl von Followern nicht für einen werblichen Überschuss. Weiterführende Angaben zu den Herstellern könnten dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit dienen, sofern nicht eine geschäftliche Handlung mangels Bezugs zum Text- oder Bildbeitrag anzunehmen sei (Rz. 65 f.).

Werblicher Überschuss durch Verlinkung: Auch wenn im Allgemeinen Verlinkungen zusätzliche Informationsquellen im Internet erschlössen (vgl. BGH v. 14.10.2010 – I ZR 191/08 – AnyDVD Rz. 22, CR 2011, 401 = ITRB 2011, 124 [Rössel]), führe bei Instagram eine Verlinkung direkt in den werblichen Einflussbereich des Herstellers unabhängig davon, ob auf der verlinkten Seite das abgebildete Produkt unmittelbar erworben werden könne. Zur Prüfung der geschäftlichen Handlung seien umfassend die Einzelfallumstände des Zusammenwirkens von Produktfoto, redaktionellen Kontext und Verlinkung zu berücksichtigen (Rz. 67 f.).

Verbot der Schleichwerbung: Der kommerzielle Zweck folge hier im Ergebnis aus der geschäftlichen Handlung (Rz. 77). Die Kennzeichnung der Werbung müsse so deutlich erfolgen, dass der kommerzielle Zweck für den verständigen Durchschnittsverbraucher der Zielgruppe auf den ersten Blick hervortrete (Rz. 80).

Keine ausreichende Kenntlichmachung: Bei der in den Fließtext eingebetteten Angabe „*Werbung: gibt's ab morgen neu im Shop“ sei schon zweifelhaft, ob er die Drittförderung und nicht eher den eigenen Shop betreffe. Jedenfalls sei nicht hinreichend deutlich, ob der Hinweis sich auf den erst nach einem Klick sichtbaren Tap Tag beziehen solle. Zudem sei das Wort „Werbung“ nicht ausreichend hervorgehoben (Rz. 83 ff.).

Keine Entbehrlichkeit der Kennzeichnung: Eine Kennzeichnung sei dann nicht erforderlich, wenn das äußere Erscheinungsbild der geschäftlichen Handlung so gestaltet sei, dass der kommerzielle Zweck klar und eindeutig auf den ersten Blick zu erkennen sei. Nicht ausreichend sei, wenn sich der werbliche Charakter eines Beitrags erst erschließe, wenn er bereits zur Kenntnis genommen worden sei, denn dann sei der Leser der zu unterbindenden Anlockwirkung bereits erlegen (Rz. 87 ff.).

Vermischung mit nicht werblichem Inhalt: Bei der häufig anzutreffenden Vermischung nicht werblicher und werblicher Beiträge ergebe sich der kommerzielle Zweck einzelner Beiträge nicht bereits aus einer etwaigen Verifizierung des Profils, einer besonders hohen Anzahl der Follower oder aus einer generellen Bekanntheit des Influencers. Es liege gerade in der Natur der Influencerbeiträge, dass der werbliche Charakter im Allgemeinen nicht auf den ersten Blick erkennbar sei. Vorliegend ergebe sich der kommerzielle Zweck weder aus dem Profilkopf, eindeutigen Begriffen wie „Werbung“ bzw. „Anzeige“ oder der Nutzung eines Business-Accounts. Die Erkennbarkeit der Eigenförderung zu kommerziellen Zwecken genüge nicht für die Erkennbarkeit der Drittförderung, da jeder mit einem Kommunikationsakt verfolgte kommerzielle Zweck erkennbar sein müsse (Rz. 90 ff.).

Beeinflussungseignung: Die Follower folgten dem Vorbild der Influencerin bei der Produktauswahl wie einer Empfehlung, der sie aufgrund ihrer scheinbar privaten Natur eine größere Objektivität und Neutralität beimessen würden als einer als solchen gekennzeichneten Werbung (Rz. 94).

Unmittelbarer Zusammenhang zur Entscheidung: Der Begriff „geschäftliche Entscheidung“ gem. § 2 Abs. 1 Nr. 9 UWG erfasse außer der Entscheidung über den Erwerb oder Nichterwerb auch damit unmittelbar zusammenhängende Entscheidungen wie den Aufruf der Internetseite eines Unternehmens. Dagegen stelle die Befassung mit einer Werbeanzeige für sich gesehen mangels eines unmittelbaren Zusammenhangs mit einem Erwerbsvorgang noch keine geschäftliche Entscheidung dar. Deshalb handle es sich beim ersten Klick auf die Abbildung zur Anzeige des Tap Tags noch nicht um eine geschäftliche Entscheidung, sondern erst beim zweiten Klick zur Anzeige des verlinkten, nicht notwendigerweise bereits konkrete Produktangebote enthaltenden Instagramprofils des Unternehmens (Rz. 95 f.).

Eignung zur geschäftlichen Entscheidung: Den Unternehmer treffe wegen des Regelfalls der Veranlassung der Entscheidung durch die Informationspflichtverletzung die sekundäre Darlegungslast für Umstände, die gegen die Relevanz des Kennzeichnungsverstoßes sprächen. Der Relevanz stehe nicht entgegen, dass die Nutzer im Allgemeinen wüssten, dass auf den Seiten der Influencer nicht nur redaktionelle Beiträge erscheinen, sondern auch Drittwerbung (Rz. 98 ff.).

Vorrangige medienrechtliche Spezialvorschriften: Die Annahme, dass die geschäftliche Handlung zur Drittförderung nach § 5a Abs. 6 UWG unlauter sei, stünden die Spezialvorschriften der § 6 Abs. 1 Nr. 1 TMG, § 58 Abs. 1 Satz 1 RStV und § 22 Abs. 1 Satz 1 MStV nicht entgegen, da auch gegen diese Bestimmungen verstoßen werde (Rz. 101).

Gegenleistungserfordernis: Keine kommerzielle Kommunikation stellten nach § 2 Satz 1 Nr. 5 lit. b TMG Angaben dar, die unabhängig und insb. ohne finanzielle Gegenleistung oder sonstige Vorteile von natürlichen Personen gemacht würden, die eine unmittelbare Verbindung zu einem Nutzerkonto von weiteren natürlichen Personen bei Diensteanbietern ermöglichten. Für die nicht klar erkennbare kommerzielle Kommunikation gelte das Gleiche wie nach Rz. 79–92 beim kommerziellen Zweck gem. § 5a Abs. 6 UWG (Rz. 109 ff.).

Werbung in Telemedien: Dass die Definition nach § 2 Abs. 2 Nr. 7 RStV dem Wortlaut nach nur Werbung „im Rundfunk“ erfasse, stelle einen redaktionellen Fehler dar, der in § 2 Abs. 2 Nr. 7 MStV korrigiert worden sei. Wegen der Lücke sei § 2 Abs. 2 Nr. 7 RStV analog auf Telemedien nach § 58 Abs. 1 RStV anzuwenden. Der Instagrambeitrag erfülle auch hier die Erfordernisse von Gegenleistung und nicht klar erkennbarer Werbung (Rz. 117 f.).


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