BVerfG, Beschl. 25.3.2021 - 2 BvF 1/20, 2 BvL 4/20, 2 BvL 5/20

Berliner Mietendeckel: Keine Gesetzgebungszuständigkeit des Landes

Autor: RA FAMuWR Kai-Uwe Agatsy, BerlinDr. Olaf Riecke, Hamburg
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 05/2021
Regelungen zur Miethöhe für frei finanzierten Wohnraum, der auf dem freien Wohnungsmarkt angeboten werden kann (ungebundener Wohnraum), fallen als Teil des sozialen Mietrechts in die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für das bürgerliche Recht i.S.v. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Mit den §§ 556 bis 561 BGB hat der Bundesgesetzgeber von der konkurrierenden Zuständigkeit für das Mietpreisrecht als Teil des bürgerlichen Rechts abschließend Gebrauch gemacht.

BGB §§ 535 ff., 556d-561; GG Art. 73, 74

Das Problem

Am 23.2.2020 trat das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln) in Kraft. In der Konsequenz wurde in etwa 1,5 Mio. Mietverhältnissen die Nettokaltmiete „abgesenkt“. Der Regelungsbereich des „Mietendeckel“ ging deutlich weiter als die Mietpreisbremse der §§ 556d ff. BGB. Er bestand wesentlich aus dem Mietenstopp, einer lageunabhängigen Mietobergrenze im Fall der Wiedervermietung und einem gesetzlichen Verbot überhöhter Mieten. Bereits ab dem 18.6.2019 war es Vermietern „untersagt“, die Nettokaltmiete über die Stichtagsmiete hinaus zu erhöhen. Bei der Miete für erstmals ab dem Jahr 2014 bezugsfertige Neubauten war das Gesetz nicht anwendbar. Infolgedessen waren die Mieten und die maximal zulässigen Modernisierungserhöhungen beschränkt. In der Praxis war umstritten, ob sich der „Mietenstopp“ des § 3 Abs. 1 S. 1 MietenWoG Bln „mittelbar“ auf das zivilrechtliche Vertragsverhältnis und somit auf die Mieterhöhung auswirkte.

Die Entscheidung des Gerichts

Das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin (MietenWoG Bln) ist mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. Art. 72 Abs. 1 GG unvereinbar und nichtig. Nach Art. 70 Abs. 1 GG haben die Länder das Recht zur Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz nicht dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse zuweist. Eine solche Zuweisung von Gesetzgebungskompetenzen an den Bund findet sich ausweislich Art. 70 Abs. 2 GG vor allem in den Vorschriften über die ausschließliche (Art. 73 und Art. 105 Abs. 1 GG) und die konkurrierende Gesetzgebung (Art. 74 und Art. 105 Abs. 2 GG). Das Grundgesetz grenzt die Gesetzgebungskompetenzen insbesondere mit Hilfe der in den Art. 73 und Art. 74 GG enthaltenen Kataloge durchweg alternativ voneinander ab. Nach der Systematik der grundgesetzlichen Kompetenzordnung wird der Kompetenzbereich der Länder daher grundsätzlich durch die Reichweite der Bundeskompetenzen bestimmt, nicht umgekehrt. Aus der in Art. 30 und Art. 70 Abs. 1 GG verwendeten Regelungstechnik ergibt sich keine Zuständigkeitsvermutung zugunsten der Länder. Die verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung ist unverfügbar. Kompetenzen stehen nicht zur Disposition ihrer Träger. Macht der Bund von der konkurrierenden Gesetzgebung Gebrauch, verlieren die Länder gem. Art. 72 Abs. 1 GG das Recht zur Gesetzgebung in dem Zeitpunkt („solange“) und in dem Umfang („soweit“), in dem der Bund die Gesetzgebungskompetenz zulässigerweise in Anspruch nimmt (sog. Sperrwirkung). Die Sperrwirkung verhindert für die Zukunft den Erlass neuer Landesgesetze und entzieht in der Vergangenheit erlassenen Landesgesetzen die Kompetenzgrundlage, so dass sie nichtig sind bzw. werden. Die Sperrwirkung setzt voraus, dass bundes- und landesgesetzliche Regelung denselben Gegenstand betreffen. Maßgeblich ist, welche Sachverhalte der Bundesgesetzgeber gesehen hat und einer Regelung zuführen wollte.

Regelungen zur Miethöhe für frei finanzierten Wohnraum, der auf dem freien Wohnungsmarkt angeboten werden kann (ungebundener Wohnraum), fallen als Teil des sozialen Mietrechts in die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit für das bürgerliche Recht i.S.v. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. Das Recht der Mietverhältnisse ist seit dem Inkrafttreten des BGB am 1.1.1900 in den §§ 535 ff. BGB geregelt und – ungeachtet zahlreicher Änderungen – ein essentieller Bestandteil des bürgerlichen Rechts. Das gilt insbesondere für Mietverhältnisse über Wohnungen (§ 549 BGB). Das heute vollständig im BGB geregelte soziale Mietrecht geht auf das Mietrechtsreformgesetz v. 19.6.2001 (BGBl. I, 1149) zurück, mit dem der Gesetzgeber das zersplitterte Wohnraummietrecht reformieren und das Mietpreisrecht für ungebundenen Wohnraum (§§ 558 ff. BGB a.F.) in das BGB überführen wollte (vgl. BT-Drucks. 14/4553, 1, 53 f.). Dementsprechend hat der Bundesgesetzgeber – insbesondere seit dem Mietrechtsreformgesetz vom 19.6.2001 – Gesetze zur Regelung der Miethöhe jeweils allein auf der Grundlage von Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG erlassen.

Das gilt für die – vorliegend besonders bedeutsame – Einführung der Mietpreisbremse (§§ 556d ff. BGB) mit dem Mietrechtsnovellierungsgesetz v. 21.4.2015 (BGBl. I, 610), das ausweislich der Entwurfsbegründung auf Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG gestützt wurde. Mit den §§ 556 bis 561 BGB hat der Bundesgesetzgeber von der konkurrierenden Zuständigkeit für das Mietpreisrecht als Teil des bürgerlichen Rechts abschließend Gebrauch gemacht (Art. 72 Abs. 1 GG). Er hat damit ein umfassendes Regelungskonzept für die Miete für ungebundenen Wohnraum auf angespannten Wohnungsmärkten geschaffen. Das ergibt sich nicht nur aus dem Regelungsgegenstand, sondern auch aus den jeweiligen Gesetzesbegründungen und hat zur Folge, dass die Länder insoweit von der Gesetzgebungszuständigkeit ausgeschlossen sind. Schon Regelungsintensität und Häufigkeit dieser bundesgesetzlichen Nachsteuerung legen nahe, dass es sich bei den §§ 556 ff. BGB um eine umfassende und abschließende Regelung handelt. Die §§ 556 ff. BGB enthalten außerdem keine Regelungsvorbehalte, Öffnungsklauseln oder Ermächtigungsvorschriften, die den Ländern den Erlass eigener oder abweichender mietpreisrechtlicher Vorschriften ermöglichen würden. Das ausdifferenzierte Regelungssystem und der Zusammenhang mit dem Kündigungsschutzrecht machen vielmehr deutlich, dass der Bundesgesetzgeber eine abschließende Regelung treffen wollte. Die abschließende Regelung der Miethöhe durch die §§ 556 ff., 556d ff. BGB wird auch nicht durch die in § 556d Abs. 2 BGB normierte Verordnungsermächtigung der Länder in Frage gestellt. Sie ändert nichts an der durch die abschließende bundesgesetzliche Regelung bewirkten Sperrwirkung für den Landesgesetzgeber aus Art. 72 Abs. 1 GG. Die Länder können daher nur innerhalb des engen bundesgesetzlich vorgegebenen Rahmens regelnd tätig werden und sind darauf beschränkt, die Vollziehbarkeit der bundesgesetzlichen Regulierung für ihren Bereich sicherzustellen. § 1 i.V.m. § 3, § 4, § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 bis Abs. 4, § 7 MietenWoG Bln regelt ebenfalls die zulässige Miete für ungebundenen Wohnraum und unterfällt dem „bürgerlichen Recht“ i.S.v. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG. „Berliner Mietendeckel“ und bundesgesetzliche Mietpreisbremse regeln im Wesentlichen denselben Gegenstand, nämlich den Schutz des Mieters vor überhöhten Mieten für ungebundenen Wohnraum (vgl. Herrlein/Tuschl, NZM 2020, 217, 229).

Die Berliner Regelung verengt dabei die durch die bundesrechtlichen Regelungen belassenen Spielräume der Vertragsparteien (vgl. Farahat, JZ 2020, 602, 605 f.) und führt ein paralleles Mietpreisrecht auf Landesebene mit statischen und marktunabhängigen Festlegungen ein (vgl. Ackermann, JZ 2021, 7, 9). § 1 i.V.m. § 3, § 4, § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 bis Abs. 4, § 7 MietenWoG Bln statuiert gesetzliche Verbote i.S.v. § 134 BGB, die die Privatautonomie der Parteien beim Abschluss von Mietverträgen über Wohnraum über das nach §§ 556 ff. BGB erlaubte Maß hinaus begrenzen. Er modifiziert damit die durch das Bundesrecht angeordneten Rechtsfolgen und verschiebt die von diesem angeordnete Austarierung der beteiligten Interessen. § 3 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 S. 2 MietenWoG Bln verbietet die nach § 557 Abs. 1 BGB zulässige Mieterhöhung im laufenden Mietverhältnis bzw. für Neuvermietungen. Durch § 3 Abs. 1 S. 2 MietenWoG Bln sind die nach §§ 557a, 557b BGB zulässigen Staffel- oder Indexmieten auf die zum Stichtag geschuldete Miete eingefroren; eine nach dem Bundesrecht zulässige Staffel- oder Indexmiete wird somit ebenfalls außer Kraft gesetzt. § 7 MietenWoG Bln begrenzt die mieterhöhungsrelevanten Modernisierungsmaßnahmen auf einen Katalog, der enger ist als die Maßnahmen nach § 555b Nr. 1, Nr. 3 bis Nr. 6 BGB; die Erhöhung des Gebrauchswerts der Mietsache oder die Verbesserung der allgemeinen Wohnverhältnisse wird insoweit nicht berücksichtigt. Zudem begrenzt § 7 MietenWoG Bln die zulässige Mieterhöhung nach Modernisierungsmaßnahmen stärker als § 559 Abs. 1 BGB.

Der Anwendungsbereich der Mietpreisregulierung wird durch die Regelungen des Gesetzes zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin ausgeweitet, und nach Bundesrecht zulässige Mieterhöhungen werden ebenso wie nach Bundesrecht zulässige Vereinbarungen über die Miethöhe bei Mietbeginn verboten. Während § 556f S. 2 BGB die Mietpreisbremse auf die erste Vermietung nach umfassender Modernisierung für unanwendbar erklärt, sieht § 1 Nr. 3 Mieten-WoG Bln eine Ausnahme vom Anwendungsbereich nur bei einem Neubau oder der Wiederherstellung von ansonsten dauerhaft unbewohnbarem Wohnraum vor. Damit ist im Ergebnis die Vereinbarung einer nach § 556g Abs. 1 S. 2 BGB wirksamen Miete verboten, weil die nach den §§ 556 ff. BGB zulässige Miete höher liegen kann als die nach § 6 Abs. 1 bis Abs. 3 MietenWoG Bln gestatteten Mietobergrenzen. Mit diesen Beschränkungen tritt das Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin neben das Regelungsregime der Mietpreisbremse gem. §§ 556d ff. BGB.

Da die zulässige Miethöhe im BGB abschließend geregelt ist, fehlt dem Land Berlin die Gesetzgebungskompetenz zum Erlass von § 1 i.V.m. § 3, § 4, § 5 Abs. 1, § 6 Abs. 1 bis Abs. 4, § 7 MietenWoG Bln. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Art. 28 VvB, der ein „Recht auf Wohnen“ als Staatszielbestimmung normiert.


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