Elektronische Leseplätze II

Autor: RA Markus Rössel, LL.M. (Informationsrecht), Köln
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 01/2016
Betreiber elektronischer Leseplätze können für unbefugte Vervielfältigungen eines Werks durch Nutzer der elektronischen Leseplätze haften, wenn sie nicht die ihnen möglichen und zumutbaren Vorkehrungen getroffen haben, um solche Rechtsverletzungen zu verhindern.

BGH, Urt. v. 16.4.2015 - I ZR 69/11

Vorinstanz: EuGH, Urt. v. 11.9.2014 - Rs. C-117/13
Vorinstanz: BGH, Beschl. v. 20.9.2012 - I ZR 69/11
Vorinstanz: LG Frankfurt/M., Urt. v. 16.3.2011 - 2-6 O 378/10

UrhG § 52b Satz 1, 2

Das Problem

Der Betreiber einer öffentlichen Bibliothek hat elektronische Leseplätze eingerichtet, an denen er bestimmte Werke aus dem Bibliotheksbestand zugänglich macht. Er hatte zu diesem Zweck ein Lehrbuch digitalisiert. An den Leseplätzen konnten nicht mehr Exemplare des Werks gleichzeitig aufgerufen werden, als im Bibliotheksbestand vorhanden waren. Die Nutzer der Leseplätze konnten das Werk ganz oder teilweise ausdrucken oder auf einem USB-Stick abspeichern und jeweils in dieser Form mitnehmen. Auf ein Angebot des Verlags, das von ihm herausgegebene Buch als E-Book zu erwerben und zu nutzen, wurde nicht eingegangen.

Die Entscheidung des Gerichts

Die vom Verlag gegen den Bibliothekbetreiber geltend gemachten Ansprüche insb. auf Unterlassung seien nicht begründet.

Unbeachtlichkeit des Lizenzangebots: Der Eingriff in das ausschließliche Recht der unkörperlichen öffentlichen Wiedergabe (§ 15 Abs. 2 Satz 1 UrhG) durch die Leseplätze sei nicht widerrechtlich, da der Bibliotheksbetreiber sich mit Erfolg auf die Schrankenregelung des § 52b Satz 1 und 2 UrhG berufen könne. Dem Zugänglichmachen eines Werks i.S.d. Bestimmung stünden keine vertraglichen Regelungen entgegen (vgl. Art. 5 Abs. 3 Buchst. n RL 2001/29/EG), wenn lediglich das Angebot zum Abschluss eines entsprechenden Vertrags vorliege.

Akzessorisches Digitalisierungsrecht: Der Eingriff in das Vervielfältigungsrecht (§§ 15 Abs. 1 Nr. 1, 16 UrhG) durch die Digitalisierung sei nicht widerrechtlich, da der Bibliotheksbetreiber sich auf eine entsprechende Anwendung von § 52a Abs. 3 UrhG berufen könne. Art. 5 Abs. 3 Buchst. n i.V.m. Art. 5 Abs. 2 Buchst. c RL 2001/29/EG lasse akzessorisch eine Digitalisierung nur in analoger Form vorliegender Werke zu Zwecken der Zugänglichmachung zu, da widrigenfalls die Bestimmung ihre praktische Wirksamkeit zu verlieren drohe.

Ausdrucken und Abspeichern: Die Beschränkung nach Art. 5 Abs. 3 Buchst. n RL 2001/29/EG erfasse nur bestimmte Handlungen der Wiedergabe i.S.v. Art. 3 RL 2001/29/EG wie das Zugänglichmachen, und nicht Vervielfältigungen i.S.v. Art. 2 RL 2001/29/EG wie das Ausdrucken und Abspeichern der Werke durch die Nutzer. Die Mitgliedstaaten könnten in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht Ausnahmen nach Art. 5 Abs. 2 Buchst. a und b RL 2001/29/EG (umgesetzt durch § 53 UrhG) vorsehen. Die Vervielfältigungshandlungen gem. § 53 UrhG aufgrund der Vorlagen nach § 52b UrhG seien mit einer angemessenen Vergütung nach §§ 54 ff. UrhG verbunden. Die zahlreichen einschränkenden Voraussetzungen des § 53 UrhG gewährleisteten grundsätzlich, dass der Umfang der vervielfältigten Texte die berechtigten Interessen des Urheberrechtsinhabers nicht i.S.v. Art. 5 Abs. 5 RL 2001/29/EG ungebührlich verletze.

Privatgebrauch: § 53 Abs. 1 Satz 1 UrhG gestatte das Ausdrucken und Abspeichern der von dem Bibliotheksbetreiber an den elektronischen Leseplätzen zugänglich gemachten Werke durch Nutzer zum privaten Gebrauch. Auch das Vervielfältigen „zur Forschung und für private Studien” i.S.v. § 52b Abs. 1 UrhG sei ein Vervielfältigen „zum privaten Gebrauch”, sofern es nicht Erwerbszwecken diene (zum – mittelbar Erwerbszwecken dienenden – Vervielfältigen zu Ausbildungszwecken vgl. BGH, Urt. v. 28.11.2013 – I ZR 76/12 – Meilensteine der Psychologie, Rz. 72, CR 2014, 686).

Eigener wissenschaftlicher Gebrauch: Dem „eigenen wissenschaftlichen Gebrauch” gem. § 53 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UrhG diene auch ein Vervielfältigen „zur Forschung und für private Studien” i.S.v. § 52b Abs. 1 UrhG durch Personen, die sich über den Erkenntnisstand der Wissenschaft informieren wollten. Werde nur ein kleiner Teil eines Werks zum wissenschaftlichen Gebrauch benötigt, sei es im Allgemeinen auch nicht zumutbar, das gesamte Werk zu erwerben oder auszuleihen (vgl. zum Vervielfältigen durch Studierende BGH, Urt. v. 28.11.2013 – I ZR 76/12 – Meilensteine der Psychologie – Rz. 70, CR 2014, 686).

Sonstiger eigener Gebrauch: Darüber hinaus sei es nach § 53 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4, Satz 2 Nr. 1 und 2, Satz 3 UrhG zulässig, einzelne Vervielfältigungsstücke eines Werks zum sonstigen eigenen Gebrauch herzustellen, wenn es sich um kleine Teile eines erschienenen Werks, um einzelne Zeitschriftenbeiträge oder um ein seit mindestens zwei Jahren vergriffenes Werk handle, und zwar jeweils unter der weiteren Voraussetzung, dass die Vervielfältigung auf Papier vorgenommen werde oder eine ausschließlich analoge Nutzung stattfinde.

Eingeschränkte vollständige Vervielfältigung: Die im Wesentlichen vollständige Vervielfältigung eines Buchs oder einer Zeitschrift zum eigenen Gebrauch sei allerdings gem. § 53 Abs. 4 UrhG nur zulässig, wenn es sich um ein seit mindestens zwei Jahren vergriffenes Werk handele.


Wussten Sie schon?

Werden Sie jetzt Teilnehmer beim Anwalt-Suchservice und Sie greifen jederzeit online auf die Zeitschrift „IT-Rechtsberater“ des renommierten juristischen Fachverlags Dr. Otto Schmidt, Köln, zu.

Die Zeitschrift ist speziell auf Praktiker zugeschnitten. Sie lesen aktuelle Urteilsbesprechungen inklusive speziellem Beraterhinweis sowie Fachaufsätze und Kurzbeiträge zum Thema IT-Recht und zwar 24/7, also wo und wann immer Sie wollen.

Infos zur Teilnahme