EuG (Zweite Kammer), Urt. 16.12.2020 - T-118/20

Unterscheidungskraft eines dreidimensionalen Zeichens für den Dentalbereich

Autor: RA Dr. Geert Johann Seelig, Fachanwalt für gewerblichen RechtsschutzLuther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hamburg
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 09/2021
Für dreidimensionale Marken gelten die gleichen Kriterien zur Beurteilung der Unterscheidungskraft wie für die übrigen Markenkategorien. Jedoch wird eine dreidimensionale Marke, welche aus dem Erscheinungsbild der Ware selbst besteht, vom Durchschnittsverbraucher anders wahrgenommen als Wort- oder Bildmarken.Für das Vorliegen der Unterscheidungskraft kommt es darauf an, dass der Durchschnittsverbraucher der betreffenden Ware diese von den Waren anderer Unternehmen unterscheiden kann, ohne eine Untersuchung oder einen Vergleich vorzunehmen und ohne eine besondere Aufmerksamkeit an den Tag zu legen. Sofern das EUIPO die behauptete fehlende Unterscheidungskraft der dreidimensionalen Marke darauf stützt, dass sie nicht erheblich von der branchenüblichen Verpackungsform abweicht, so ist das Amt dafür nachweispflichtig.

UMV Art. 4, Art. 7 Abs. 1 Buchst. b, Art. 95 Abs. 1

Das Problem

Die Klägerin, Herstellerin von Dentalprodukten, meldete am 19.9.2018 folgende Unionsmarke

für Waren in den Klassen 5 („Zahnmedizinische Präparate und Erzeugnisse“) und 16 („Verpackungsmaterialien; Blisterpäckchen für Verpackungszwecke“) erfolgslos an. Die darauffolgende Beschwerde wies die Fünfte Beschwerdekammer des EUIPO mit Entscheidung vom 4.12.2019 zurück. Die von der Klägerin angeführte sechseckige Grundform des Anmeldezeichens ähnele sehr einem Rechteck. Diese Form unterscheide sich nicht wesentlich von den auf dem Dentalmarkt üblichen Verpackungen, wie den nachfolgenden Beispielen zu entnehmen sei:

Die Linien und Kreise des Anmeldezeichens hätten zudem lediglich funktionalen Charakter, welcher von Fachkreisen im Dentalbereich erkannt würden. Daher weise das Zeichen kein Merkmal auf, welches es dem Verbraucher ermöglichen würde, den betrieblichen Ursprung der Ware zu bestimmen. Ferner sei es für die Annahme einer fehlenden Unterscheidungskraft nicht notwendig, dass das Zeichen bereits auf dem Markt verwendet werde.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Klage, gestützt auf einen Verstoß gegen Art. 7 Abs. 1 Buchst. b UMV. Die vom Prüfer des EUIPO vorgelegten Beispiele hätten nichts mit dem flachen Sechseck des Anmeldezeichens gemein. Zudem komme den Linien und Kreisen des Anmeldezeichens kein ausschließlich funktionaler Charakter zu. Eine solche Verpackung sei ungewöhnlich. Da das EUIPO keine andere dem Anmeldezeichen ähnliche Form auf dem Dentalmarkt habe ermitteln können, bestätige sich die Auffassung der Klägerin.

Die Entscheidung des Gerichts:

Das EuG hob die Entscheidung der Beschwerdekammer des EUIPO auf.

Unterscheidungskraft einer dreidimensionalen Marke:

Gemäß Art. 4 UMV könne die Form oder Verpackung eine Unionsmarke sein, sowie sie geeignet sei, Waren eines Unternehmens von denjenigen anderer Unternehmen zu unterscheiden. Nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. b UMV seien Marken von der Eintragung ausgeschlossen, die keine Unterscheidungskraft hätten. Die Unterscheidungskraft sei im Hinblick auf die angemeldeten Waren und Dienstleistungen sowie im Hinblick auf die Wahrnehmung durch die maßgeblichen Verkehrskreise zu beurteilen. Dabei gelten für dreidimensionale Marken die gleichen Kriterien zur Beurteilung der Unterscheidungskraft wie für die übrigen Markenkategorien. Jedoch werde eine dreidimensionale Marke, welche im Erscheinungsbild der Ware selbst bestehe, vom Durchschnittsverbraucher anders wahrgenommen als Wort- oder Bildmarken. Denn letztere bestünden aus Zeichen, die vom Erscheinungsbild der Waren/Dienstleistungen unterschiedlich seien. Die Unterscheidungskraft von dreidimensionalen Marken könne also schwieriger nachzuweisen sein. Je mehr sich die angemeldete Form der Form annähere, in der die betreffende Ware am wahrscheinlichsten in Erscheinung trete, umso eher sei zu erwarten, dass dieser Form die Unterscheidungskraft fehle. Daher besitze eine solche Marke nur Unterscheidungskraft, deren Form von der Norm bzw. Branchenüblichkeit abweiche und deshalb ihre herkunftskennzeichnende Funktion erfülle. Außerdem werde der Verbraucher die Verpackung eines flüssigen Produkts grundsätzlich als Behältnis wahrnehmen. Es komme für das Vorliegen der Unterscheidungskraft folglich darauf an, dass der Durchschnittsverbraucher der betreffenden Ware diese von den Waren anderer Unternehmen unterscheiden könne, ohne eine Untersuchung oder einen Vergleich vorzunehmen und ohne eine besondere Aufmerksamkeit an den Tag zu legen.

Fehlender Nachweis der Unterscheidungskraft durch das EUIPO:

Die vorgelegten Beispiele belegten nicht die Üblichkeit flacher rechteckiger Verpackungen auf dem Dentalmarkt. Denn die abgebildeten Produkte – sollten sie überhaupt Verpackungen darstellen – hätten im Gegensatz zu der flachen Verpackung der Klägerin hohe Ränder. Daher seien die Beispiele, auf die die Beschwerdekammer abgestellt habe, weder relevant noch ausreichend, die Üblichkeit von flachen Verpackungen auf dem Dentalmarkt nachzuweisen. Gemäß Art. 95 Abs. 1 UMV habe das EUIPO bei der Prüfung absoluter Eintragungshindernisse (hier: Art. 7 Abs. 1 Buchst. b UMV) den einschlägigen Sachverhalt, aufgrund dessen es von einem solchen Hindernis ausgehen könnte, von Amts wegen zu prüfen. Eine Nachweispflicht seitens der Klägerin ergebe sich indes nur, wenn sie sich ungeachtet der Untersuchung des EUIPO auf die Unterscheidungskraft einer angemeldeten Marke berufe.


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