OLG Frankfurt, Urt. 16.9.2021 - 6 U 133/20

Zur Irreführung bei Rückgewinnungsversuchen nach Kündigung

Autor: Dr. Anselm Brandi-Dohrn, maître en droit/FA für GewRS, von BOETTICHER Rechtsanwälte, Berlin
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 12/2021
Wendet sich ein Mobilfunkanbieter an seinen Kunden, nachdem dieser die Vertragsbeziehung gekündigt hat, und verspricht diesem ein zusätzliches Datenvolumen bei einem Rückruf, ist dies irreführend, wenn dem Kunden beim Rückruf mitgeteilt wird, dass das Datenvolumen nur dann gewährt wird, wenn er die Kündigung zurücknimmt. Diese Irreführung ist auch geeignet, den Kunden zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er andernfalls nicht getroffen hätte, denn das Verbot des § 5 UWG erfasst auch eine Irreführung, von der lediglich eine Anlockwirkung ausgeht. Die Wiederholungsgefahr entfällt nicht deshalb, weil der Mobilfunkanbieter geltend macht, es habe sich um einen „Ausreißer“ gehandelt, da eine einzelne Mitarbeiterin entgegen seinen Anweisungen gehandelt habe.

UWG §§ 3 Abs. 1, 5 Abs. 1, 5a

Das Problem

Die Verbraucherzentrale greift folgendes Verhalten des beklagten Mobilfunkanbieters als unlauter an: Der Kunde erhielt nach seiner Kündigung des Mobilfunkvertrages eine Mail, in der ihm ein Geschenk (1 GB Datenvolumen) versprochen wurde, wenn er bei der Hotline der Beklagten anrufe. Sowohl in der Hotline wie in einer weiteren Mail eine Woche später wurde das zusätzliche Datenvolumen jedoch daran geknüpft, dass der Kunde seine Kündigung zurückzieht. In der Folge wurde dem Kunden das zusätzliche Datenvolumen dann aber doch ohne Rücknahme der Kündigung gutgeschrieben. Streitig bleibt, ob es sich um einen Einzelfall handelte und ob die Beklagte ihre Mitarbeiter anders instruiert hatte. Das LG hatte die Klage mit der Begründung abgewiesen, es liege kein Verstoß gegen Nr. 21 der Anlage zu § 3 vor, da keine Ware oder Dienstleistung kostenlos angeboten worden sei; zudem fehle es an einer relevanten Irreführung, weil das bloße Verleiten eines Kunden, die Hotline anzurufen, nicht kausal sei, wenn dieser anschließend – aufgrund des Verhandlungsgeschicks des Telefon-Mitarbeiters, geschäftliche Entscheidungen treffe.

Die Entscheidung des Gerichts

Das OLG Frankfurt hebt die Entscheidung auf und verurteilt antragsgemäß.

Die Irreführung liege hier schon in der Vorspiegelung, das Datenvolumen durch einen bloßen Anruf bei der Hotline zu erhalten, während in Wahrheit die Zugabe an die Rücknahme der Kündigung gekoppelt ist. Die Tatsache, dass später das Datenvolumen auch ohne Rücknahme eingeräumt wurde, lässt die einmal entstandene Irreführung nicht wieder entfallen – ansonsten könnte durch spätere Aufklärung die durch die Irreführung geschaffene Vorzugsposition (persönliche Ansprache des Kunden am Telefon möglich) gefahrlos ausgenutzt werden. Deshalb liegt eine Irreführung nicht nur dann vor, wenn sie unmittelbar zum Kauf führt, erfasst werden auch vorgelagerte Entscheidungen des Kunden, z.B. das bloße Betreten eines Geschäfts (EuGH, Urt. v. 19.12.2013 – C-281/12 – Trento Sviluppo, GRUR 2014, 196, Rz. 36).

Das OLG erörtert allerdings nicht, inwieweit der Kunde überhaupt damit rechnen durfte, zusätzliches Datenvolumen zu erhalten, wenn er den Vertrag nicht weiterlaufen lässt.

Die Vermutung der Wiederholungsgefahr kann zwar grundsätzlich auch bei Vorliegen eines Verletzungsfalls widerlegt werden. Der Einwand eines „Ausreißers“ ist aber nach ständiger Rechtsprechung hierfür nicht ausreichend (OLG Hamm, Urt. v. 29.10.2009 – 4 U 145/09, BeckRS 2009, 89543). Das kann anders sein, wenn eine Vertragspflichtverletzung Grundlage des Anspruchs ist; hier mag die bloß versehentliche Pflichtverletzung den Unlauterkeitsvorwurf entfallen lassen (vgl. Köhler in Köhler/Bornkamm/Feddersen, UWG, 39. Aufl. 2021, § 2 Rz. 81a a.E.).


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