OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. 26.4.2019 - OVG 5 S 24.18

Wohnraumzweckentfremdung: Befristete Unterbringung von Artisten

Autor: RA Dr. Joachim Wichert, aclanz Partnerschaft von Rechtsanwälten, Frankfurt/M./Berlin, www.aclanz.de
Aus: Miet-Rechtsberater, Heft 10/2019
„Wohnen” ist die Gesamtheit der mit der Führung des häuslichen Lebens und des Haushalts verbundenen Tätigkeiten. Dazu gehört, dass wenigstens ein Raum während des gesamten Tages zur privaten Verfügung steht und die Möglichkeit bietet, sich von der Außenwelt in einen Privatbereich zurückzuziehen.

OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 26.4.2019 - OVG 5 S 24.18

Vorinstanz: VG Berlin - 6 L 258.18

BGB § 549; WoZwEntfrV BE §§ 1, 4

Das Problem

Es geht um eine 3-Zimmer-Wohnung, 73,38 qm groß, in Berlin-Mitte. Die Mieterin vermietet die Wohnung möbliert an die Firma FSP unter. Diese stellt die Wohnung jeweils zwei Artistinnen zur Verfügung, die sie für mehrmonatige Veranstaltungen in Berlin engagiert. In den Arbeitsverträgen zwischen den Artistinnen und der FSP ist u.a. vereinbart, dass die FSP für die Dauer des Engagements eine möblierte 2-Zimmer-Wohnung zur Verfügung stellt, die mit einer anderen Artistin derselben Artistengruppe zu beziehen ist. Die beiden Artistinnen haben in der Wohnung jeweils ein eigenes Schlafzimmer; Wohnraum, Küche, Bad und Flur werden gemeinsam genutzt. Die Mieterin erbringt für die untergebrachten Artistinnen keine beherbergungstypischen Dienstleistungen

Das Bezirksamt Mitte von Berlin sieht in dieser Nutzung eine erlaubnispflichtige Fremdenbeherbergung und damit eine Wohnraumzweckentfremdung. Mit sofort vollziehbarem Bescheid fordert es die Mieterin unter Androhung von Zwangsgeld auf, die Wohnung wieder Wohnzwecken zuzuführen. Die Mieterin beantragt die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung.

Die Entscheidung des Gerichts

Das OVG gibt der Mieterin Recht. An der sofortigen Vollziehung des Beschlusses bestehe kein öffentliches Interesse i.S.v. § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4, Abs. 5 VwGO, weil die Anordnung des Bezirksamts Mitte von Berlin nach summarischer Prüfung rechtswidrig sei. Es spreche Überwiegendes dafür, dass die Mieträume nicht zum Zwecke der Fremdenbeherbergung, sondern zu Wohnzwecken genutzt würden.

„Wohnen” sei die Gesamtheit der mit der Führung des häuslichen Lebens und des Haushalts verbundenen Tätigkeiten. Auf die subjektiven Vorstellungen und Bedürfnisse der Nutzer komme es nicht an. Der Begriff des Wohnens bestimme sich nach objektiven Kriterien. Er setze ein Mindestmaß an Abgeschlossenheit der räumlichen Verhältnisse zur eigenständigen Gestaltung des häuslichen Lebens voraus, was auch gewisse Rückzugsmöglichkeiten einschließe. Zum Begriff des Wohnens gehöre, dass wenigstens ein Raum dem oder den Wohnungsinhaber(n) während des gesamten Tages zur privaten Verfügung stehe und die Möglichkeit biete, darin den Tätigkeiten und Nutzungsweisen nachzugehen, die zum Begriff des Wohnens gehörten. Es müsse den Bewohnern die Möglichkeit geben, sich von der Außenwelt in einen Privatbereich zurückzuziehen.

Demgegenüber liege eine Vermietung zum Zwecke der Fremdenbeherbergung vor, wenn Räume ständig wechselnden Gästen zum vorübergehenden Aufenthalt zur Verfügung gestellt würden, ohne dass diese dort ihren häuslichen Wirkungskreis unabhängig gestalten können. Bei einer Fremdenbeherbergung bestehe in der Regel keine Kochgelegenheit; häufig seien die Räume mangels ausreichender Sitz- und Essmöglichkeiten eher nicht zu längeren Aufenthalten auch tagsüber geeignet.

Nach diesen Maßstäben dienten die Räume der Wohnnutzung. Die beiden Bewohnerinnen hätten in der Drei-Zimmer-Wohnung jeweils ein eigenes Schlafzimmer, das eine hinreichende Rückzugsmöglichkeit ins Private gestatte. Anders als im Fall der Fremdenbeherbergung stünde den beiden Bewohnerinnen eine Kochmöglichkeit in Form einer Küche zur Verfügung. Jede der beiden Bewohnerinnen könne ihren häuslichen Wirkungskreis unabhängig gestalten. Zwar würden die Räume nur vorübergehend genutzt. Jedoch überschreite die Dauer des Aufenthalts das Maß der „ständig wechselnden Gäste”, wie es für die Fremdenbeherbergung kennzeichnend sei. Zwar lasse sich das „Wohnen” gegen die „Fremdenbeherbergung” nicht anhand einer bestimmten Nutzungsdauer abgrenzen; die Zeitdauer stelle vielmehr nur ein Indiz für die eine bzw. die andere Nutzungsform dar. Die Dauer von mehreren Monaten überschreite jedenfalls das für eine Fremdenbeherbergung übliche Maß.

Der Begriff des Wohnens sei nicht an eine Rechtsform gebunden, insbesondere nicht an einen Mieterschutz auslösenden Wohnraummietvertrag i.S.d. § 549 Abs. 1 BGB. Dass die Mieterin durch die Untervermietung eine erhebliche Gewinnspanne erziele und die Wohnung möbliert überlassen werde, sei nicht entscheidend.


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