Vorsicht bei Wechsel einer privaten Krankenversicherung!

19.05.2014, Autor: Herr Alexander Hammer / Lesedauer ca. 5 Min. (433 mal gelesen)
Vorsicht bei Wechsel einer privaten Krankenversicherung – Anforderungen an die Beratungs- und Dokumentationspflichten eines Versicherungsvermittlers

In Deutschland gibt es zwei Möglichkeiten, sich gegen Kosten abzusichern, die aus Krankheit oder Unfällen herrühren oder durch vorbeugende oder diagnostische Gesundheitsmaßnahmen sowie eine Schwangerschaft entstehen können: Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) und die private Krankenversicherung (PKV). Die gesetzliche Krankenversicherung, in der ca. 90 % der Bevölkerung versichert sind, weil es sich für den überwiegenden Teil der Bevölkerung um eine Pflichtversicherung handelt, zeichnet sich insbesondere durch das sog. Solidaritätsprinzip aus. Die Versicherten zahlen ohne Rücksicht auf ihr persönliches Risikoprofil und die Anzahl der Familienmitglieder einen ihrem Einkommen entsprechenden Beitrag. Bei der privaten Krankenversicherung tritt anstelle des Solidaritätsprinzips das sog. Äquivalenzprinzip (Individualversicherungsprinzip). Dies bedeutet, dass die Beiträge der Versicherten sich nach dem individuellen Risiko richten, also insbesondere von dem Eintrittsalter, dem Gesundheitszustand bei Antragstellung sowie Art und Umfang der versicherten Leistungen abhängen. Eine Unterscheidung nach dem Geschlecht ist auch in der privaten Krankenversicherung seit dem sog. Unisex-Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 01.03.2011 (Az. C-236/09) nicht mehr zulässig. Das demographische Risiko versucht die private Krankenversicherung durch Bildung einer Rückstellung für das mit dem Alter wachsende Krankheitsrisiko in den Griff zu bekommen. Mit dieser sog. Alterungsrückstellung soll erreicht werden, dass einzig wegen des Älterwerdens der Versicherten während der Vertragsdauer eine Erhöhung der Beiträge oder Minderung der Leistungen nicht notwendig ist. Die Bedeutung der jeweiligen Alterungsrückstellung liegt somit auf der Hand.
Dennoch besteht bei einem Versicherungswechsel nach deutschem Recht kein Anspruch darauf, die Alterungsrückstellung auf das neue Versicherungsunternehmen zu übertragen, sie also mitzunehmen. Entsprechende Anfragen werden von den Versicherungsunternehmen grundsätzlich zurückgewiesen. Die Konsequenz für den Versicherungsnehmer ist, dass er bereits nach wenigen Jahren eine so hohe Alterungsrückstellung angespart hat, dass ein Wechsel des Krankenversicherers ökonomisch unsinnig ist. Der Versicherungsnehmer ist faktisch bis an seinen Lebensabend an seinen Versicherer gebunden. Aus diesem Grund ist – über die generelle Gefahr hinaus, beim neuen Versicherer keinen gleichwertigen Versicherungsschutz zu erlangen, weil sich beispielsweise der Gesundheitszustand verschlechtert hat – ein Wechsel des Krankenversicherers, besonders für einen bereits älteren Versicherungsnehmer, eine heikle Angelegenheit, die nur im Ausnahmefall sinnvoll sein kann.
Diese Tatsache hält jedoch einzelne Versicherungsvermittler (egal ob Versicherungsvertreter oder -makler) nicht davon ab, auch ältere Versicherungsnehmer aktiv abzuwerben und zu anderen Versicherungsunternehmen zu vermitteln. Dabei wird den Versicherungsnehmern der Wechsel zu einer anderen Krankenversicherung oft mit dem Argument der teils erheblichen Beitragserhöhungen diverser Gesellschaften und dem niedrigeren Beitrag bei der neuen Krankenversicherung schmackhaft gemacht. Für den Versicherungsvermittler liegt der Anreiz wohl maßgeblich in der zu verdienden Prämie begründet. Ein solches Vorgehen wäre in rechtlicher Hinsicht kaum zu beanstanden, wenn die Versicherungsvermittler in diesen Fällen ihren gesetzlichen Beratungs- und Dokumentationspflichten nachkommen würden. Diese werden aber regelmäßig sträflich vernachlässigt, wie eine neuere Entscheidung des Oberlandesgerichts München (Urteil vom 22.06.2012, Az. 25 U 3343/11) anschaulich zeigt:
Für den dortigen Kläger bestand im Jahr 2009 seit etwa 25 Jahren eine umfassende private Krankenversicherung. Der Gesamtbeitrag belief sich zuletzt auf insgesamt knapp 500,00 € pro Monat. Nach Beratung durch den Beklagten zu 1) unterschrieb der Kläger Anfang Mai 2009 einen Antrag auf Krankenversicherung bei einer anderen privaten Krankenversicherung, der Beklagten zu 2). Versicherungsbeginn sollte der 01.01.2010 sein und der neue monatliche Beitrag betrug knapp 435,00 €, also ca. 65,00 € weniger pro Monat als bisher. Auf der Grundlage seines Antrages kam der Versicherungsvertrag mit der Beklagten zu 2) dann auch zu Stande. Der Kläger kündigte daraufhin den Versicherungsvertrag mit seiner bisherigen privaten Krankenversicherung; wie sich später herausstellte, ein Fehler.
Ablauf und Inhalt der Beratung durch den Beklagten zu 1) sind im Einzelnen zwischen den Parteien umstritten. Der Kläger machte im Rahmen des Gerichtsverfahrens geltend, dass er bei der Beratung durch den Beklagten zu 1) nicht ausreichend darauf hingewiesen worden sei, dass der Versicherungsvertrag mit der neuen privaten Krankenversicherung für ihn – trotz eines derzeit geringeren Monatsbeitrages – diverse erhebliche Nachteile aufweise. Insbesondere habe der Beklagte zu 1) ihn nicht ausreichend darauf hingewiesen, dass durch den Wegfall der durch die Länge der Vorversicherung angesparten Altersrückstellung eine im Ergebnis immer höhere Versicherungsprämie zu Lasten des Klägers anfallen werde.
Nachdem das Landgericht in erster Instanz die Klage abgewiesen hatte, stellte das Oberlandesgericht in zweiter Instanz fest, dass die Beklagten dem Kläger für den Schaden haften, der aufgrund des durch fehlerhafte Beratung erfolgten Versicherungswechsels zum 01.01.2010 entstehen wird; also insbesondere für die immer höheren Versicherungsprämien zu Lasten des Klägers. Hinsichtlich des Beklagten zu 1) stellte das Oberlandesgericht fest, dass dieser bei der erfolgten Beratung des Klägers seine gesetzlichen Pflichten aus §§ 60 Abs. 2, 61 Abs. 1 S. 1 VVG verletzt hatte. Zur Begründung führte es aus, dass grundsätzlich zwar der Kläger als Versicherungsnehmer die Beweislast für die Voraussetzungen des § 63 S. 1 VVG, also für eine Pflichtverletzung nach den vorgenannten Paragraphen und einen daraus entstehenden Schaden, trägt. Vorliegend kamen ihm aber Beweiserleichterungen zugute, weil mit der im vorliegenden Fall interessierenden „Beratungsdokumentation Krankenversicherung” den einschlägigen Vorschriften (§§ 61 Abs. 1 S. 2, 62 Abs. 1 VVG) nicht genügt worden war. Denn aus der von dem Beklagten zu 1) vorgenommenen Dokumentation (schematisches Ankreuzen nach bestimmten Themenbereichen) konnte nicht im Ansatz nachvollzogen werden, was der wesentliche Gesprächs- und Beratungsinhalt gewesen war. Dies führte dazu, dass der Beklagte zu 1) eine pflichtgemäße Beratung des Klägers hätte beweisen müssen, was ihm aber letztlich nicht gelang.
Der Beklagte zu 1) schuldete, weil er kein Versicherungsmakler, sondern Versicherungs­vertreter war, zwar nur eine eingeschränkte Produktberatung. Denn diese bezieht sich zunächst nur auf diejenigen Versicherungsprodukte, die von seiner Beratungsgrundlage umfasst sind. Aber auch ein Versicherungsvertreter hat über solche Punkte, die für den Abschluss des konkreten Vertrages üblicherweise von wesentlicher Bedeutung sind, aufzuklären. Stellt der Versicherungsvertreter fest, dass der Versicherungsnehmer in zentralen Punkten falsche Vorstellungen hegt, muss er den Irrtum richtig stellen. Auch halbwahre oder beschönigende Angaben stellen einen Beratungsmangel dar. Der Beratungsbedarf eines Versicherungsnehmers ist besonders groß, wenn er beabsichtigt, zu einem neuen Versicherer zu wechseln. In diesen Fällen tritt der Kunde typischerweise mit einer besonderen Erwartungs­haltung in die Vertragsverhandlungen ein, weil er für seinen Versicherungsschutz einen nahtlosen Übergang möchte und im Zweifel seinem bisherigen Schutz nicht verschlechtern will. Dadurch steigt die Aufklärungsverantwortlichkeit des den Antrag aufnehmenden Versicherungsvertreters an.
Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes stellte das Oberlandesgericht fest, dass bei einem 58-jährigen Versicherungsnehmer, dessen bisherige private Krankenversicherung seit etwa 25 Jahren besteht und der dort sogar einen zusätzlichen Tarif zur Beitragsentlastung im Alter abgeschlossen hatte, der Versicherungsvertreter abklären muss, ob dieser sich der Tatsache und wirtschaftlichen Bedeutung des Verlustes der dortigen Altersrückstellungen durch den Wechsel bewusst ist und hier nicht etwa einer erheblichen Fehlvorstellung unterliegt. Diese Abklärung war durch den Beklagten zu 1), was sich die Beklagte zu 2) letztlich zurechnen lassen muss, nicht erfolgt. Da die pflichtwidrige Beratung auch kausal für den Versicherungs­wechsel des Klägers war, haben die Beklagten dem Kläger den Schaden zu ersetzen, der diesem zukünftig dadurch entsteht, dass er durch die erfolgte pflichtwidrige Beratung zu einem für ihn wirtschaftlich nachteiligen Versicherungswechsel bewegt worden ist.
Dieser aktuelle – aber in vergleichbarer Konstellation in der Praxis häufige – Fall zeigt: Egal, ob Sie Versicherungsvermittler oder Versicherungsnehmer sind: Vorsicht bei Wechsel einer privaten Krankenversicherung!

Alexander Hammer, LL.M., Rechtsanwalt


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