BAG, Urt. 17.12.2020 - 8 AZR 171/20

Nichteinladung eines schwerbehinderten Bewerbers zum Vorstellungsgespräch mangels Kenntnis von der Schwerbehinderung

Autor: RA FAArbR Dr. Sascha Schewiola, Heuking Kühn Lüer Wojtek, Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 05/2021
Eine schwerbehinderte Person, die sich bei einem öffentlichen Arbeitgeber bewirbt und nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wird, kann nur dann eine Entschädigung verlangen, wenn sie rechtzeitig im Bewerbungsprozess auf ihre Schwerbehinderung hingewiesen hat.

AGG §§ 3, 15 Abs. 2, § 22; SGB IX a.F. § 82; SGB IX n.F. § 165

Das Problem

Die Beklagte ist eine öffentliche Arbeitgeberin. Der Kläger ist Beamter und ehemaliger Bürgermeister. Er hat einen Grad der Behinderung von 50.

Die Beklagte schrieb im September 2017 eine Stelle als Leitung im Sachgebiet Bauen und Wohnen aus. Der Kläger bewarb sich auf diese Stelle. In seiner Bewerbung gab er seine Schwerbehinderung nicht an. Die Beklagte lud in der Folgezeit mehrere von ihr als geeignet erachtete Personen zu Vorstellungsgesprächen ein, nicht jedoch den Kläger. Am 6.11.2017 entschied sich das Auswahlgremium für einen Bewerber. Am 15.11.2017 übersandte die Beklagte eine Ladung an die Mitglieder des Stadtrats mit einem Beschlussvorschlag zur Auswahlentscheidung des Auswahlgremiums. Am 21.11.2017 um 13:35 Uhr teilte der Kläger der Beklagten erstmals per E-Mail seine Schwerbehinderung mit. Noch am selben Tag stimmte der Stadtrat einstimmig der Einstellung des vom Auswahlgremiums vorgeschlagenen Bewerbers zu. Am 2.12.2017 erhielt der Kläger sein Ablehnungsschreiben.

Mit seiner Klage verlangt der Kläger eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG i.H.v. ca. 25.000 €. Zur Begründung beruft er sich auf einen Verstoß gegen § 82 Satz 2 SGB IX a.F. (§ 165 Satz 3 SGB IX n.F.). Die Beklagte als öffentliche Arbeitgeberin habe zu einem Vorstellungsgespräch einladen müssen. Durch den Verstoß sei eine Benachteiligung wegen seiner Schwerbehinderung nach § 22 AGG indiziert.

Die Entscheidung des Gerichts

Die Klage hat in allen drei Instanzen keinen Erfolg. Die Nichteinladung zum Vorstellungsgespräch sei zwar eine weniger günstigere Behandlung des Klägers und damit eine unmittelbare Benachteiligung i.S.v. § 3 Abs. 1 AGG. Allerdings sei diese nicht wegen der Schwerbehinderung erfolgt.

Eine Indizwirkung nach § 22 AGG sei nicht eingetreten. Der Kläger habe nach § 241 Abs. 2 BGB i.V.m. § 311 Abs. 2 Nr. 1 BGB die Pflicht gehabt, seine Schwerbehinderung rechtzeitig mitzuteilen. Rechtzeitig bedeute nach der Auffassung des BAG regelmäßig in der Bewerbung selbst oder bis zum Ablauf einer etwaigen Bewerbungsfrist. Der Arbeitgeber müsse frühzeitig in der Lage sein, zu prüfen und zu entscheiden, ob und ggf. welche besonderen Verfahrens- und/oder Förderpflichten zugunsten schwerbehinderter Menschen er beachten müsse.

Die Mitteilung des Klägers sei im vorliegenden Fall nicht rechtzeitig gewesen. Daher sei ein AGG-Verstoß nicht indiziert. Da der Kläger auch keine weiteren Umstände vorgetragen habe, die eine Diskriminierung belegen, sei die Klage abzuweisen.


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