EuGH, Urt. 16.11.2023 - C-583/21 u.a.

Betriebsübergang bei Neubesetzung einer Notarstelle

Autor: RA FAArbR Axel Braun, Luther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Köln
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 01/2024
Auch der Inhaberwechsel in einem Notariat kann einen Betriebsübergang i.S.d. Betriebsübergangsrichtlinie (RL 2001/23/EG) darstellen. Dass ein Notar durch einseitige Entscheidung einer staatlichen Stelle eingesetzt wird, ändert daran nichts.

RL 2001/23/EG Art. 1 Abs. 1 a) und c)

Das Problem

Die Kläger im Ausgangsverfahren waren in einem Notariat in Madrid beschäftigt, dessen Inhaber zum 30.9.2019 in eine andere Stadt umzog. Ihre Arbeitsverhältnisse hat er gegen Zahlung einer Abfindung gekündigt. Ende Januar 2020 wurde ein neuer Notar als Inhaber des Notariats ernannt. Mitte Februar 2020 schließt dieser mit den Klägern neue Arbeitsverhältnisse mit einer Probezeit von sechs Monaten. Als sie ihn im April 2020 dazu auffordern, Schutzmaßnahmen gegen die Covid-19-Pandemie anzuwenden, kündigt er ihnen wegen angeblichen Nichtbestehens der Probezeit.

Die Kläger setzen sich hiergegen mit einer Klage auf Feststellung zur Wehr, dass die Kündigungen nichtig bzw. missbräuchlich sind und die Dauer ihrer Betriebszugehörigkeit ab dem Tag zu berechnen ist, ab dem sie ihre Tätigkeit bei einem Vorgänger im Notariat aufgenommen haben.

Das hiermit befasste spanische Gericht hat Zweifel, ob ein Betriebsübergang vorliegt. Es legt dem EuGH deshalb die Frage vor, ob Art. 1 Abs. 1 a) RL 2001/23/EG (Betriebsübergangsrichtlinie) und somit die gesamte Richtlinie auf einen Fall anwendbar ist, in dem ein Notar den früheren Inhaber der Notarstelle ablöst und seine Tätigkeit am selben Arbeitsplatz und mit derselben Ausstattung ausübt sowie die Urkundenrolle und das Personal übernimmt, das bereits für den vorherigen Notar gearbeitet hat.

Die Entscheidung des Gerichts

Der EuGH stellt zunächst heraus, dass ein Betriebsübergang i.S.d. Art. 1 Abs. 1 a) RL 2001/23/EG der Übergang einer ihre Identität wahrenden wirtschaftlichen Einheit im Sinn einer organisierten Zusammenfassung von Ressourcen zur Verfolgung einer wirtschaftlichen Haupt- oder Nebentätigkeit ist. Die Richtlinie gelte sowohl für öffentliche als auch private Unternehmen, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben.

Da spanische Notare ihre Dienstleistungen gegen Entgelt und im Wettbewerb mit anderen Notaren anbieten, sei auch dies eine wirtschaftliche Tätigkeit im Sinn der Norm. Etwas anderes komme nur infrage, wenn sie hoheitliche Befugnisse ausüben, was das nationale Gericht zu prüfen habe. Alleine eine Tätigkeit im Allgemeininteresse und unter gerichtlicher Aufsicht genüge dafür nicht.

Dass das Fehlen einer vertraglichen Beziehung zwischen Veräußerer und Erwerber und die Ernennung eines Notars auf der Entscheidung einer staatlichen Stelle beruhe, ändere hieran nichts; maßgeblich sei, dass die natürliche oder juristische Person, die gegenüber den Beschäftigten die Arbeitgeberpflichten eingehe, im Rahmen vertraglicher Beziehung wechsele. Ob die Ernennung eines neuen Notars einen Inhaberwechsel im Sinn der RL 2001/23/EG darstelle, sei unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls zu prüfen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass es in einem Notariat vor allem auf die menschliche Arbeitskraft ankomme, so dass der Übernahme von Personal eine besondere Bedeutung zukomme.


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