BAG, Urt. 22.8.2019 - 2 AZR 111/19

Zugang einer Kündigung bei Einwurf in den Hausbriefkasten – Gewandelte Verkehrsanschauung

Autor: RAin FAinArbR Daniela Range-Ditz, Dr. Ditz und Partner, Rastatt
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 12/2019
Eine in den Hausbriefkasten eingeworfene Kündigungserklärung geht zu, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Leerung des Briefkastens durch den Empfänger zu rechnen ist. Die Fortdauer des Bestehens einer Verkehrsanschauung wird nicht vermutet. Zu den tatsächlichen Grundlagen einer gewandelten Verkehrsanschauung muss das LAG Feststellungen treffen.

BAG, Urt. v. 22.8.2019 - 2 AZR 111/19

Vorinstanz: LAG Baden-Württemberg - 9 Sa 69/18

BGB § 130 Abs. 1 Satz 1

Das Problem

Die Mitarbeiter der Beklagten haben dem Kläger, der im Elsass wohnt, am Freitag, den 27.1.2017 um 13:25 Uhr eine außerordentliche fristlose Kündigung in seinen Briefkasten eingeworfen. Die hiergegen gerichtete Klage ist beim Arbeitsgericht am Montag, den 20.2.2017 eingegangen. Der Kläger behauptet, die übliche Postzustellung sei bis 11:00 Uhr vormittags beendet gewesen. Er habe daher – wie üblich – die Post und somit auch die Kündigung erst am Montag, den 30.1.2017 aus dem Briefkasten entnommen. Die Beklagte geht demgegenüber von einer Zustellung am 27.1. aus, weshalb die Klage verspätet erhoben worden sei. Zu Recht?

Die Entscheidung des Gerichts

Das BAG hebt das die Klage abweisende Urteil der Vorinstanzen auf und verweist zur erneuten Verhandlung zurück. Der Zugang einer Willenserklärung unter Abwesenden i.S.v. § 130 Abs. 1 Satz 1 BGB sei anzunehmen, sobald diese in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt sei. Bei einer Zustellung durch Einwurf in den Briefkasten sei der Zugang bewirkt, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen sei. Im Interesse der Rechtssicherheit blieben dabei individuelle Verhältnisse wie Krankheit oder zeitweilige Abwesenheit außer Betracht.

BAG und BGH (BGH, Urt. v. 21.1.2004 – XII ZR 214/00, MDR 2004, 560 = ArbRB online) hätten bislang die Annahme einer Verkehrsanschauung nicht beanstandet, dass im Allgemeinen mit einer Leerung unmittelbar nach Abschluss der üblichen Postzustellzeiten, die allerdings stark variieren könnten, zu rechnen sei. Der Tatrichter könne nur in Ausnahmefällen ohne sachverständige Hilfe ermitteln, ob eine durch geänderte Lebensumstände gewandelte Verkehrsanschauung zur Postentnahme nach dem jeweiligen Arbeitsende festgestellt werden könne. Nicht ausreichend seien für die Feststellung einer gewandelten Verkehrsanschauung die Heranziehung sog. „Normalarbeitsverhältnisse” von Erwerbstätigen und ihre üblichen Arbeitszeiten. Vielmehr seien neben den diversen verschiedenen Arbeitszeiten auch die besonderen regionalen Umstände der Postzustellung zu berücksichtigen.


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