EuG (Zweite Kammer), Urt. 22.9.2021 - T-195/20

Fehlende Warenähnlichkeit zwischen Mineralwasser und alkoholischen Getränken

Autor: RA Dr. Geert Johann Seelig, Fachanwalt für gewerblichen RechtsschutzLuther Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Hamburg
Aus: IP-Rechtsberater, Heft 01/2022
Bei der Beurteilung der Warenähnlichkeit bilden die Art, der Verwendungszweck und die Nutzung der Waren, ihr Charakter als konkurrierende/ergänzende Waren und der Vertriebsweg die maßgeblichen Faktoren.Zwischen alkoholischen Getränken und Mineralwasser besteht keine Warenähnlichkeit, da besonders die Art und der Verwendungszweck bzw. die Nutzung der Waren unterschiedlich sind und sie zudem in keinem Ergänzungs- oder Konkurrenzverhältnis stehen. Der Umstand, dass sowohl alkoholische Getränke als auch Mineralwasser im Lebensmittelhandel oder in der Gastronomie parallel verkauft werden, spricht noch nicht für eine geringe Warenähnlichkeit.

UMV Art. 8 Abs. 1 lit. b

Das Problem

Die Klägerin meldete im Juli 2017 die Unionsmarke (Wort-/Bildmarke)

für – u.a. – die Waren „in Flaschen abgefüllte Wasser; nicht medizinische Mineralwasser; Mineralwässer“ der Klasse 32 an. Gegen die Anmeldung erhob der Inhaber der für die Waren „alkoholische Getränke, ausgenommen Bier; Weine; Schaumweine; Liköre; Spirituosen; Schnaps“ der Klasse 33 eingetragenen älteren Unionswortmarke „CHIC BARCELONA“ im Januar 2018 Widerspruch. Dieser blieb größtenteils erfolglos. Auf die Beschwerde des Widerspruchsführers gab die Vierte Beschwerdekammer des EUIPO der Beschwerde in vollem Umfang statt. Dazu führte sie aus, dass zwischen den Marken Verwechslungsgefahr bestehe. Denn die in Rede stehenden Waren seien zu einem geringen Grad ähnlich. Zudem wiesen die Kollisionsmarken eine hochgradig bildliche, klangliche und begriffliche Ähnlichkeit auf.

Die Entscheidung des Gerichts

Das EuG hob die Entscheidung der Vierten Beschwerdekammer des EUIPO auf.Grundsätze zur Beurteilung der Verwechslungsgefahr:

Gemäß Art. 8 Abs. 1 lit. b UMV sei die angemeldete Marke auf Widerspruch des Inhabers einer älteren Marke von der Eintragung ausgeschlossen, wenn wegen ihrer Identität oder Ähnlichkeit mit der älteren Marke und der Identität oder Ähnlichkeit der durch die beiden Marken erfassten Waren oder Dienstleistungen für das Publikum die Gefahr von Verwechslungen in dem Gebiet bestehe, in dem die ältere Marke Schutz genießt. Dabei liege eine Verwechslungsgefahr vor, wenn das Publikum glauben könne, dass die betreffenden Waren oder Dienstleistungen demselben Unternehmen oder aus wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen stammten. Bei der Beurteilung der Verwechslungsgefahr sei zum einen auf die Wahrnehmung durch die maßgeblichen Verkehrskreise abzustellen. Zum anderen seien die maßgeblichen Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.

Sofern bereits in einem Staat der Union Verwechslungsgefahr bestehe und somit das Eintragungshindernis des Art. 8 Abs. 1 lit. b UMV einschlägig sei, sei die angemeldete Unionsmarke von der Eintragung ausgeschlossen.

Fehlende Warenähnlichkeit:

Den maßgeblichen Verkehrskreis stelle hier für die in Rede stehenden Waren die breite Öffentlichkeit dar. Diese sei im Hinblick auf die von der älteren Marke erfassten Waren der Klasse 33 durchschnittlich informiert, angemessen aufmerksam und verständig. Bezüglich der Waren der Klasse 32 lege die breite Öffentlichkeit bei deren Konsum/Erwerb einen durchschnittlich bis niedrigen Grad an Aufmerksamkeit an den Tag. Die Ausführungen der Beschwerdekammer des EUIPO hierzu seien auch nicht zu beanstanden.

Jedoch seien die in Rede stehenden Waren einander unähnlich. Bei der Beurteilung der Warenähnlichkeit seien die Art, der Verwendungszweck und die Nutzung der Waren, der Vertriebsweg sowie ihr Charakter als konkurrierende/ergänzende Waren die maßgebliche Faktoren.

Aufgrund des Fehlens von Alkohol unterschieden sich die Waren „Mineralwässer“ ihrer Art nach von den erfassten Waren der älteren Marke. Denn das Vorhandensein von Alkohol werde von der breiten Öffentlichkeit gezielt wahrgenommen. Diese unterscheide selbst dann zwischen alkoholischen und nicht-alkoholischen Getränken, wenn sie ihre Wahl jeweils „aus dem Bauch heraus“ treffe. Eine solche Unterscheidung sei auch notwendig, da bestimmte Verbraucher keinen Alkohol konsumieren möchten oder könnten.

Zudem unterschieden sich die Zweckbestimmung und die Verwendung der in Rede stehenden Waren. Im Gegensatz zu Mineralwasser seien alkoholische Getränke – auch solche mit niedrigem Alkoholgehalt – nicht dazu bestimmt, den Durst zu stillen, sondern seien reine Genussmittel. Eine große Anzahl der von der älteren Marke erfassten Getränke würden lediglich zu besonderen Anlässen und nicht täglich getrunken. Im Übrigen sei der Konsum alkoholischer Getränke nicht lebensnotwendig und könne sogar zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen.

Die in Rede stehenden Waren stünden auch nicht in einem Ergänzungsverhältnis. Waren und Dienstleistungen ergänzten sich einander, wenn zwischen ihnen ein enger Zusammenhang gegeben sei. Dieser bestehe darin, dass die eine Ware für die Verwendung der anderen unentbehrlich oder so wichtig sei, so dass Verbraucher denken könnten, die Verantwortung für die Herstellung dieser Waren liege bei demselben Unternehmen. Bei dem Kauf von Mineralwasser sei der Verbraucher nicht dazu gezwungen, die in Rede stehenden Waren der älteren Marke aus Klasse 33 zu erwerben. Das Gleiche gelte im umgekehrten Fall. Dem stehe auch nicht entgegen, dass Mineralwasser sehr häufig mi alkoholischen Getränken der Klasse 33 gemischt werde. Denn die bloße Möglichkeit der Vermischung von alkoholischen und nicht-alkoholischen Getränken reiche für die Annahme eines Ergänzungsverhältnisses gerade nicht aus.

Die in Rede stehenden Waren wiesen auch keinen konkurrierenden Charakter auf. Dafür fehle es an einem Substituierbarkeitsverhältnis. Gerade der Unterschied zwischen Alkoholhaltigkeit und -freiheit sowie der unterschiedliche Geschmack hätten zur Folge, dass der Durchschnittsverbraucher, der Mineralwasser kaufen wolle, diese Ware grundsätzlich nicht mit den in Rede stehenden Waren der Klasse 33 vergleichen werde. Er werde vielmehr entweder Mineralwasser oder eines dieser alkoholischen Getränke kaufen. Zudem fehle es an einem Austauschverhältnis aufgrund des stark divergierenden Preisunterschieds zwischen Wasser und den in Rede stehenden Waren der Klasse 33.

Zuletzt könnten auch diverse Überschneidungen des Vertriebswegs der in Rede stehenden Waren keine Warenähnlichkeit begründen. Der Umstand, dass in Supermärkten die in Rede stehenden Waren beider Kollisionsmarken zu erwerben seien, sei nicht sonderlich aussagekräftig, da an solchen Verkaufsstätten äußerst verschiedenartige Waren zu kaufen seien. Der Verbraucher schreibe diesen Waren gerade nicht automatisch dieselbe Herkunft zu. Gegen eine Warenähnlichkeit spreche auch, dass die in Rede stehenden Waren zwar in benachbarten, jedoch grundsätzlich nicht in derselben Abteilung verkauft werden würden.

Auch der Umstand, dass die in Rede stehenden Waren in Bars und Cafés häufig „an derselben Theke“ ausgeschenkt würden, rechtfertige die Annahme einer geringen Warenähnlichkeit nicht. Der Verbraucher achte gleichwohl auf die Unterschiede hinsichtlich des Alkoholgehalts.


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