BVerfG, Beschl. 30.3.2022 - 1 BvR 2821/16

Keine journalistische Datenhehlerei

Autor: RA Markus Rössel, LL.M. (Informationsrecht), Köln
Aus: IT-Rechtsberater, Heft 09/2022
§ 202d Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 StGB bezweckt einen weiten Ausschluss journalistischer Tätigkeiten vom Tatbestand der Datenhehlerei.

GG Artt. 2 Abs. 1, 3 Abs. 1, 5 Abs. 1 Satz 2, 12 Abs. 1, 103 Abs. 2; StGB § 202d; StPO § 97 Abs. 2 Satz 2

Das Problem

Natürliche Personen und Vereine, die selbst oder unterstützend investigativ journalistisch tätig und dabei auf Datenleaks von Whistleblowern angewiesen sind, wenden sich durch Verfassungsbeschwerde gegen das Inkrafttreten des Straftatbestands der Datenhehlerei gem. § 202d StGB am 18.12.2015 und daraus folgender Einschränkung des Beschlagnahmeverbots nach § 97 Abs. 2 StPO.

Die Entscheidung des Gerichts

Der Nichtannahmebeschluss erfolge mangels Substantiierung einer Grundrechtsverletzung.

Keine dargelegte Beschwerdebefugnis: Nach §§ 23 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1, 92 BVerfGG sei zur Begründung der Verfassungsbeschwerde das angeblich verletzte Recht zu bezeichnen und der seine mögliche Verletzung enthaltende Lebenssachverhalt substantiiert darzulegen. Richte sich die Beschwerde unmittelbar gegen eine gesetzliche Vorschrift, so sei ausreichend geltend zu machen, durch die angegriffene Norm selbst, gegenwärtig und unmittelbar verletzt zu sein (Rz. 16).

Schutzbereich: Das Grundrecht der Presse- und Rundfunkfreiheit gem. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG schütze die berufsmäßig beteiligten Personen von der Informationsgewinnung bis zu digitaler oder analoger Veröffentlichung und Vertrieb. Schutz bestehe nicht nur vor gezielter staatlicher Einflussnahme auf die inhaltliche und formelle Gestaltung, sondern gewährleistet seien auch die unentbehrlichen institutionellen Rahmen- und Funktionsbedingungen der journalistischen Tätigkeit, wozu die grundsätzliche Zugänglichkeit der für diese Tätigkeit benötigten Informationen und damit Quellenschutz und Redaktionsgeheimnis gehörten. Schutz bestehe auch gegen mittelbar über eine Einflussnahme des Staates auf das Verhalten Dritter eintretende, einem Eingriff gleichkommende faktische Wirkungen, die publizistische Möglichkeiten oder finanzielle Erträge des Presseorgans nachteilig beeinflussten (Rz. 18).

Keine Substantiierung von Eingriff und Beschwer: Es sei auch durch Beispielsfälle nicht hinreichend vorgetragen worden, dass ein grundrechtlich geschütztes Verhalten von der angegriffenen Norm nach Wortlaut, Entstehungsgeschichte und Systematik unter Berücksichtigung verfassungskonformer Auslegung betroffen sei (Rz. 20).

Keine rechtswidrige Vortat eines anderen: Sei der Informant grundsätzlich zum Datenzugriff berechtigt, könne er sich durch die Datenweitergabe zwar strafbar gemacht haben. Er hätte die Daten aber nicht durch eine rechtswidrige Vortat i.S.d. § 202d Abs. 1 StGB erlangt (Rz. 21).

Kein Eventualvorsatz: Unabhängig davon sei fraglich, ob sich aus den vorgetragenen Beispielsfällen überhaupt ein mindestens bedingter Vorsatz des Handelnden im Hinblick auf die rechtswidrige Vortat ergebe. Das Bewusstsein, dass die Daten aus irgendeiner rechtswidrigen Tat stammten, reiche nach der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 18/5088, 47) nicht aus (Rz. 22 i.V.m. Rz. 9).

Keine Bereicherungs- oder Schädigungsabsicht: Die (Dritt-)Bereicherung und die Schädigung setzten Absicht voraus (BT-Drucks. 18/5088, 47). Stehe die Aufklärung von Missständen im Vordergrund, richte sich die Absicht des Täters hierauf und nicht auf Steigerung des Honorars bzw. der Einnahmen des Medienunternehmens oder Schädigung z.B. durch Ehrverletzung (Rz. 23 i.V.m. Rz. 7, 9).

Journalistischer Tatbestandsausschluss: In Anbetracht der weiteren Gesetzesbegründung dränge sich ein umfassender Ausschluss journalistischer Tätigkeiten gem. § 202d Abs. 3 Satz 1 StGB auf (vgl. BT-Drucks. 18/5088, 48). Dieser ziele auch dann auf Straflosigkeit ab, wenn Hintergrundrecherchen oder Materialverifizierungen ggf. unergiebig seien und es nicht zu einer „konkreten Veröffentlichung“ komme (Rz. 24 i.V.m. Rz. 11).

Kein schädliches Motivbündel: Das Ausschließlichkeitskriterium des Ausschlusses bzgl. rechtmäßiger dienstlicher oder beruflicher Pflichterfüllung schließe die Verfolgung auch privater Zwecke wegen des umfassenden Schutzes journalistischer Tätigkeit nicht aus. Aus Wortlaut und Systematik des Ausschlusses ergebe sich, dass die Verwendung lediglich einen objektiv funktionalen Zusammenhang zur – hier journalistischen – Aufgabenerfüllung aufweisen müsse (Rz. 25 i.V.m. Rz. 12).

Kein abschreckender Effekt auf Journalisten: Eine eingriffsäquivalente Wirkung eines Strafbarkeitsrisikos oder der Gefahr vorgelagerter Ermittlungsmaßnahmen etwa aufgrund des bei Datenhehlerei eingeschränkten Beschlagnahmeverbots nach § 97 Abs. 5, Abs. 2 Satz 2 StPO n.F. bestehe nicht. Dies decke sich mit der Abfrage i.S.v. § 27a BVerfGG i.V.m. § 22 Abs. 5 GOBVerfG, wonach keine Verfahren gegen Journalisten bekannt seien (Rz. 26 i.V.m. Rz. 9).

Keine Einschüchterungswirkung auf Quellen: Ferner sei nicht nachzuvollziehen, dass die angegriffene Norm einschüchternd auf unmittelbare oder mittelbare Informanten des Journalisten wirken sollten, da sie sich als Vortäter nicht nach § 202d StGB strafbar machten (Rz. 27 i.V.m. Rz. 7, 8).

Keine Abschreckung von Hilfspersonen: Erhielten nur im Einzelfall im Dienst der Presse stehende Hilfspersonen der Journalisten, wie etwa IT-Spezialisten, Daten zur Bearbeitung, so fehle es aufgrund des Tatbestandsausschlusses zugunsten der Journalisten bereits an einer rechtswidrigen Vortat i.S.d. § 202d StGB mit Blick auf diese Hilfspersonen (Rz. 27 i.V.m. Rz. 7, 8, 10).


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