EuGH, Urt. 19.10.2023 - C-660/20

Ungleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten bei der Überstundenvergütung durch gleiche Schwellenwerte

Autor: RAin FAinArbR Eva Einfeldt, Ebner Stolz Mönning Bachem Wirtschaftsprüfer Steuerberater Rechtsanwälte Partnerschaft mbH
Aus: Arbeits-Rechtsberater, Heft 12/2023
Einheitliche Schwellenwerte für Vollzeit- und Teilzeitbeschäftigte, ab denen eine Überstundenvergütung zu leisten ist, stellen eine Ungleichbehandlung der Teilzeitbeschäftigten dar und lassen die individuellen Belastungen der Teilzeitbeschäftigten außer Acht.

AEUV Art. 267; EG RL 81/97 Anhang der Rahmenvereinbarung § 3, § 2 Nr. 1, § 4 Nr. 1; AGG § 3 Abs. 2; TzBfG § 4 Abs. 1; BGB § 134

Das Problem

Der Kläger ist als Pilot in Teilzeit mit einer Arbeitszeit von 90 % einer Vollzeitkraft bei der Beklagten beschäftigt. Entsprechend der anwendbaren tariflichen Regelungen erhalten Piloten eine erhöhte Vergütung für solche Flugdienststunden, die über bestimmte Grenzen im Monat hinaus geleistet werden.

Der Tarifvertrag sieht insoweit keine Anpassung dieser Auslösewerte für Teilzeitkräfte vor. Als Folge hiervon erhält der Kläger erst dann die erhöhte Mehrflugdienststundenvergütung, wenn er die für Vollzeitbeschäftigte geltenden Auslösegrenzen überschreitet.

Der Kläger sieht hierin einen Verstoß gegen § 4 TzBfG und verlangt die Differenz zwischen der bereits gezahlten und der erhöhten Mehrflugdienststundenvergütung auf Grundlage der entsprechend seiner Teilzeit abgesenkten Auslösegrenzen.

Das BAG hat das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH die Frage vorgelegt, ob eine nationale Regelung, nach der ein Teilzeitbeschäftigter die gleiche Zahl Arbeitsstunden wie ein Vollzeitbeschäftigter leisten muss, um eine zusätzliche Vergütung zu erhalten, eine Schlechterbehandlung von Teilzeitbeschäftigten darstellt, und wenn ja, ob eine solche Schlechterbehandlung nach Unionsrecht mit dem Ausgleich einer besonderen Arbeitsbelastung gerechtfertigt werden kann.

Die Entscheidung des Gerichts

Zunächst bestätigt der EuGH, dass bei der Beurteilung einer möglichen Ungleichbehandlung jeweils die einzelnen Entgeltbestandteile isoliert zu betrachten sind. Er folgert hieraus, dass im streitigen Fall durch die identischen Auslösegrenzen bzgl. der Überstundenvergütung eine schlechtere Behandlung von Teilzeitbeschäftigten vorliegt. Dies verstoße gegen das Unionsrecht. Bei gleicher Aufgabenwahrnehmung wie Vollzeitbeschäftigte erfüllten Teilzeitbeschäftigte die Anspruchsvoraussetzungen für die Mehrvergütung bei gleichen Auslösegrenzen weitaus seltener.

Bezüglich der Frage, ob der Ausgleich einer besonderen Arbeitsbelastung einen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung darstellen könne, stellt der EuGH klar, dass zum einen dieser Grund im Tarifvertrag nicht genannt werde und zum anderen die Auslösegrenzen weder auf objektiv ermittelten Werten oder wissenschaftlichen Erkenntnissen noch auf allgemeinen Erfahrungswerten beruhten.

Auch blieben die individuellen Auswirkungen der Arbeitsbelastung und damit die eigentlichen Gründe für die Teilzeit, z.B. außerberufliche Belastungen, außer Betracht.


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