Pflichtteilsergänzung und Wohnrechtsvorbehalt

28.07.2016, Autor: Herr Anton Bernhard Hilbert / Lesedauer ca. 3 Min. (368 mal gelesen)
Bisher war umstritten, ob und unter welchen Umständen eine Schenkung unter Wohnrechtsvorbehalt zur Reduzierung des Pflichtteils führen kann. Der Bundesgerichtshof sorgt jetzt für mehr Klarheit.

Der ungeliebte Pflichtteil darf nicht durch lebzeitige Schenkungen in Todesnähe ausgehöhlt werden. Das Gesetz gibt dem Pflichtteilsberechtigten deshalb das Recht, den Pflichtteil auch vom verschenkten Gegenstand zu verlangen, es sei denn, die Schenkung liege länger als zehn Jahre vor dem Erbfall.

Diese Zehn-Jahres-Frist läuft allerdings dann nicht, wenn der Erblasser sich weiterhin die Nutzungen auch noch nach der Schenkung vorbehält. Der klassische Fall ist die Schenkung eines Grundstücks, bei der der Schenker sich den Nießbrauch, also das umfassende Nutzungsrecht, vorbehält. Dann bleibt er, trotz der Schenkung, nach wie vor „Herr im Haus“. Bei dieser Konstellation fehlenden „Genussverzichts“ kann die Pflichtteilsergänzung auch dann noch verlangt werden, wenn die „Schenkung“ länger als zehn Jahre zurückliegt.

Während beim Nießbrauch die Sache eindeutig ist, gibt es Schwierigkeiten beim Wohnrecht. Das Wohnrecht hat eine wesentlich geringere Nutzungsreichweite als der Nießbrauch. Vor allem darf der Wohnungsberechtigte die Wohnung nicht an dritte Personen vermieten, anders als beim Nießbrauch.

Es war daher bislang umstritten, ob auch die Zehn-Jahres-Frist läuft, wenn der Schenker sich ein Wohnrecht vorbehalten hat. Zu unterscheiden ist, ob sich das Wohnrecht auf das gesamte Objekt bezieht, wie es bei der Schenkung eines Einfamilienhauses typischerweise der Fall ist, oder ob sich das Wohnrecht nur auf eine von mehreren Wohnungen erstreckt, wie es typischerweise bei der Schenkung eines Mehrfamilienhauses der Fall ist. Bei einem Wohnrecht für das komplette Objekt besteht Einigkeit, dass der Schenker in diesem Fall nach wie vor „Herr im Haus“ ist, obwohl er mit der Schenkung das formale Eigentum verloren hat. Die Zehn-Jahres-Frist beginnt in diesem Fall nicht. Der Pflichtteilsberechtigte kann seine Ansprüche geltend machen, auch wenn die Schenkung vor mehr als zehn Jahren vor dem Tod des Schenkers erfolgt ist.

Kompliziert war aber die Frage, ob das auch dann gilt, wenn der Schenker sich das Wohnrecht nicht am gesamten Objekt vorbehalten hat, sondern nur an einer von mehreren Wohnungen. Der Bundesgerichtshof (Urteil vom 29.06.2016 – IV ZR 474/15) hat jetzt Klarheit geschaffen für den Fall, dass sich der Schenker das Wohnrecht an einer von insgesamt drei Wohnungen vorbehalten hat. In diesem Fall läuft die Zehn-Jahres-Frist (ab Eintragung des Eigentums im Grundbuch übrigens), weil der Schenker nicht mehr „Herr im Haus“ ist. Daran ändert auch nichts, dass der Schenker das Recht hat, den Garten und die gemeinschaftlichen Räume mit zu benutzen sowie die Garage alleine zu benutzen. Auch dass, im konkreten Fall, die Eltern als Schenker weiterhin das gesamte Gebäude nutzten, weil der beschenkte Sohn woanders wohnte, schadete nicht. Es kommt nicht entscheidend auf die Fakten, sondern auf die rechtlichen Vereinbarungen an.

Aus der Entscheidung des Bundesgerichtshofs dürfte folgen, dass eine Schenkung zu Lasten des Pflichtteilsberechtigten dann vorgenommen werden kann, wenn sich der Schenker das Wohnrecht nur an einer von mehreren Wohnungen vorbehält. Das kann, bei einem Wohnhaus mit Einliegerwohnung, durchaus auch die Hauptwohnung sein, wobei hier Vorsicht geboten ist. Betrifft das Wohnrecht aber das ganze Objekt, also ein Einfamilienhaus oder eine Eigentumswohnung, so können dadurch Ansprüche des Pflichtteilsberechtigten nicht beeinträchtigt werden. Die Schenkung solcher Objekte unter Wohnrechtsvorbehalt ist als nicht dazu geeignet, Pflichtteilsansprüche zu reduzieren.

Ebenso ungeeignet sind Schenkungen unter Ehegatten oder Lebenspartnern. In solchen Fällen läuft die Zehn-Jahres-Frist für die Pflichtteilsergänzung kraft ausdrücklicher gesetzlicher Anordnung nicht bzw. erst ab der Auflösung der Ehe, § 2325 Abs. 3 BGB.